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R.I.P., lieber Neonfisch

Leben

R.I.P., lieber Neonfisch

  • Text: Sven Broder; Foto: iStockPhoto / Mirko Rosenau

Reportageleiter Sven Broder über das Leben und Sterben von Haustieren – und warum ihn seine Tochter bald zum Vegetarier machen könnte.

Ich habe mir das mit den Haustieren wirklich nicht einfach gemacht: Wie oft betonte ich, dass man damit niemandem einen Gefallen tut; dem Tier nicht, das von Natur aus auf Freiheit programmiert ist, und letztlich auch dem Kind nicht, dem noch das süsseste Fellknäuel irgendwann zur Bürde wird – das Versprechen, sich ganz allein darum zu kümmern, «ich schwörs!», jedenfalls ganz sicher.

Als meine Tochter nach den Heugümpern und den Hüslischnägge aber auch noch mit diesem Schuhkarton voller Kellerasseln angetanzt kam, die sie unter dem Gartengrill hervorgepopelt hatte, um sie in ihrem Zimmer zu züchten, musste ich mir eingestehen: Sven, so geht das nicht weiter.

Und so kam es, dass ich mich erweichen liess. Ein Aquarium, meinte ich zu ihr, damit könnte ich noch leben. Meine Tochter liess sich – nur fürs Erste, natürlich – damit abspeisen. Und mir selbst redete ich ein, dass so ein Fischli ja wohl dumm genug sei, um in sechzig Liter aufgeblöterletem Leitungswasser, plus Dekostein und Immergrün, die Weite des Meeres zu fühlen. Wer konnte da erahnen, dass ich mir mit Haustieren eben nicht nur noch mehr Leben, sondern vor allem auch mehr Sterben ins Haus holen würde?

Nun, obwohl ich Tiere sehr mag, breche ich nicht gleich in Tränen aus, wenn ich beim Einkaufen an einer offenen Pouletschenkel-Theke vorbeimarschiere. Auch Gehacktes hat für mich eher was Abstraktes. Als neulich jedoch dieser kleine Fisch, keine drei Zentimeter lang, kopfüber im Aquariumgrün hing und ganz jämmerlich mit seinem Neonschwänzchen zuckte, traf dieser Anblick einen Nerv in meinem Herzen, der für gewöhnlich lahmt, selbst dann, wenn ich mir in der Kantine – selten, aber doch ab und zu – ein Stück Kälbchen gönne.

Ich hätte nun einfach abdrehen können, in der Küche einen Kaffee machen, warten, bis der Todeskampf vorbei ist. Oder zuschauen, das natürliche Ableben dieses Fischs biologisch betrachten. Aber irgendwas, man nennt es gern das Gewissen, hielt mich an, das Tier zu erlösen. Also fischte ich es aus dem Gras, atmete zweimal tief durch – und klatschte es über die Tischkante. Der kleine Kerl war sofort tot. Obwohl ich überzeugt war, das Richtige getan zu haben, fühlte es sich falsch an. Irgendwie.

Schon merkwürdig, oder – was uns Menschen so berührt und was nicht? Ich meine, in Anbetracht der weltweit grassierenden Massentierhaltung und der frittierten «Fischfinger» aus China, die uns in der Kantine alle paar Wochen aufgetischt werden, was man gemeinhin ja beides eher nüchtern zur Kenntnis nimmt, ist die aktive Sterbebegleitung eines altersschwachen Neonfischchens nun echt keine Gefühlsregung wert. Muss man sagen.

Aber vielleicht bin ich einfach zu sensibel gerade. Ist ja auch unsägliches Pech, dass ausgerechnet jetzt auch noch Lulu, unser süsses Zwergkaninchen, das Zeitliche segnen musste. Als ich Lulu aus dem Käfig hievte, da steckte ihr der Tod noch steif in den Knochen. Und ganz ehrlich: Ich fühlte mich wie ein erbärmlicher Sünder.

Noch ein totes Tier in meinem Haushalt und ich werde Vegetarier. Danke, Tochter.

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