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Sorry, war nett gemeint

Leben

Sorry, war nett gemeint

  • Text: Sven Broder

Reportagen-Leiter Sven Broder darüber, warum Komplimente an seine Redaktionskolleginnen nicht immer gut ankommen.

Ich bin ja im Grunde ein netter Kerl, aber das mit den Komplimenten an meine Redaktionskolleginnen sollte ich dringend bleiben lassen. Das mag jetzt erst mal paradox klingen, hat aber durchaus seine Folgerichtigkeit. Das Problem liegt einerseits bei mir beziehungsweise in meinem offensichtlich angeborenen Talent, nicht nur in Fettnäpfchen zu treten, sondern mich auch noch genüsslich darin zu suhlen. Zum anderen am nicht minder biologischen Talent von Frau, aus jedem nett gemeinten Kompliment einen vermeintlich fiesen Hintergedanken herauszufiltern.

Mann kennt das, und meist fängt es total unschuldig an. Ich betrete zum Beispiel das Büro und sage zu H.: «H., du siehst toll aus heute Morgen.» H., keine zwanzig mehr und sich selbst nie zu schade, explizit darauf hinzuweisen, dreht sich um, lächelt und fragt zurück: «Nur heute? Wie sah ich denn gestern aus?» – Tja, schon wirds kompliziert. «Nein, H., natürlich nicht nur heute», sage ich dann – und meine es durchaus ernst, weil ich Frauen reiferen Alters ganz ernsthaft toll finde und weil ich es mag, wenn sich das Leben in den Gesichtspartien eines Menschen widerspiegelt, und die Haut ist nun mal kein Seidenhemd und das Leben kein Bügeleisen. Doch dies alles zu betonen, vermeide ich an dieser Stelle tunlichst, weil so viel Fettnäpfchentalent nicht mal ich besitze. Jedenfalls nicht auf Anhieb. H., noch immer nicht gewillt, den ausgelegten Fisch zu schlucken, meint also: «Naja, wenn du findest. Dabei habe ich total mies geschlafen diese Nacht und sehe garantiert alt aus.» – «Schwachsinn.» – «Ach, Sven, keiner lügt so nett wie du.» Tja, als wärs ein Hustenreflex, fühlt sich mein Hirn nun herausgefordert und meint, es wie gewünscht mal mit der Wahrheit versuchen zu müssen: «H.», sage ich, «du weisst doch: Ich mag reife Frauen. Und die Haut ist nun mal kein …» Ein Fehler!

Mann weiss: Es gibt Fragen, auf die will Frau keine Antwort hören – und erst recht nicht die Wahrheit. Zu diesen gehören Klassiker wie: Findest du auch, dass ich zugenommen habe? Es gibt aber eben auch Komplimente, die keine Frau von einem Mann hören möchte, obwohl sie selbst die Sichtweise, die sich hinter einem solchen Kompliment verbirgt, gern und ganz laut in die Welt hinausschreien würde, nämlich die, dass auch reife Frauen schön sind. Nämli!

Den prächtigsten Vogel habe ich neulich abgeschossen. Es kam so: Ich befand mich auf dem Weg zur Toilette, als ich vor mir im Gang eine Frau erblickte, den Rücken zu mir gewandt, deren Silhouette – ich probiers mal vorsichtig zu formulieren: sehr viel versprechend aussah. Rückblickend betrachtet muss man sogar sagen: zu viel versprechend. Jedenfalls drehte sich diese Frau, die ich instinktiv für eine junge Modepraktikantin gehalten hatte, plötzlich um – und ich war baff. Ganz ehrlich. Total unschuldig. Und dies nicht, weil in dem Gesicht, das sich da offenbarte, irgendwas Erschreckendes zutage getreten wäre, ausser eben: K., die alte Kollegin vom Bürotrakt nebenan. Ich meinte verblüfft und verstand dies tatsächlich als Kompliment, ich schwörs: «Wow, K., von hinten siehst du wahnsinnig jung aus.»

Von hinten – wie konnte ich nur.

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