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Wenn man an einer Frauen-Uni studiert

Leben

Wenn man an einer Frauen-Uni studiert

  • Aufgezeichnet von Melanie Keim; Foto: Unsplash

Hello, my name is Nora. My preferred pronouns are «she» and «her» *. So habe ich mich in jedem Kurs am Wellesley College vorgestellt. Die Universität im US-Bundesstaat Massachusetts gilt zwar als reine Frauen-Uni, doch schon während meiner Zeit studierten in Wellesley vereinzelt Transfrauen oder -männer, die bei der Geburt als weiblich identifiziert wurden – daher der Hinweis auf das Geschlecht. Nur Cis-Männer, das heisst Männer, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, sind nicht zum Studium zugelassen.

Was das bedeutet? Wellesley ist der sicherste Ort, den man sich vorstellen kann. Die Universität befindet sich in einem riesigen Park mit einem See, Teichen und verschlungenen Wegen, von wo aus man keine anderen Häuser als die neogotischen Uni-Gebäude sieht. In diesem männerfreien Raum konnte ich als 19-Jährige meine Identität erforschen, ohne dass mein Geschlecht eine Rolle spielte. Und ich konnte herausfinden, was mich wirklich interessiert. In einer Wirtschaftsvorlesung mit nur Frauen ist Wirtschaft nicht männlich besetzt, sondern einfach nur Wirtschaft. Ob ich mich sonst auch für Sicherheitspolitik interessiert hätte und meine Dissertation über die Strategien von Guerilla-Organisationen in Ost-Timor geschrieben hätte? Ich weiss es nicht.

Untypisch war mein Weg jedenfalls nicht. Überdurchschnittlich viele Wellesley-Alumnae machen in männerdominierten Domänen wie Wirtschaft und Politik Karriere. Hillary Clinton und Madeleine Albright etwa haben in Wellesley studiert. Über ihre Biografien bin ich während meiner Zeit am Gymnasium auch überhaupt erst auf Wellesley gekommen. Auf dem Campus ging es durchaus ein bisschen zu wie bei Hanni und Nanni. Kaum jemand trug Make- up, und wenn man zu spät war, ging man eben mit dem Pyjama in die Vorlesung. Vor den Prüfungen machten wir jeweils ein Mitternachtsessen, und zur Stressprävention wurde ein Streichelzoo aufgestellt. In Wellesley gibt es immer noch viele geschlechterstereotype Traditionen, schliesslich war die Uni für die Töchter der High Society von Boston gegründet worden. Für den «High Tea» am Sonntag zogen wir etwa schicke Kleider und Perlenohrringe an, an einem Tag zur Brustkrebs-Prävention machten wir Busen-Cookies, und in der Bibliothek konnte man stricken. Aber hey, wieso auch nicht?

Natürlich wurde ich mit vielen Klischees konfrontiert, in der Schweiz noch mehr als in den USA, wo geschlechtergetrennte Bildung verbreiteter ist. Ob das Leben auf einem Campus ohne Männer nicht langweilig sei, ob in Wellesley nicht alle lesbisch seien und ob es nicht ständig Zickenkrieg gebe, waren die Klassiker. Ja, in Wellesley gibt es viele Lesben und nach vier Jahren auf dem Campus weiss man mit Sicherheit, ob man auf Frauen steht. Aber Zickenkrieg? Viele Wellesley-Studierende waren ehrgeizig, doch unter uns Frauen gab es auffällig wenig Konkurrenz und Eifersucht, vermutlich gerade weil keine Typen im Spiel waren. Langweilig war es deswegen nie. Es ist auch keineswegs so, dass ich Männer nicht mag. Damals ging ich am Wochenende oft nach Boston an Parties mit College-Jungs – der Bus dahin wurde bei uns übrigens ironisch «Fuck Truck» genannt. Doch es war schön, unter der Woche in einem männerfreien Raum zu leben. In einer Welt, die immer noch stark patriarchalisch geprägt ist, braucht es solche sicheren Räume, in denen sich Frauen gegenseitig unterstützen. Jetzt, wo das wieder stärker thematisiert wird, erfahre ich auch mehr Verständnis für das Konzept Frauen-Uni.

Während meines PhD in New York erlebte ich dann, was es heisst, als Frau nicht ernst genommen zu werden. Die einzige persönliche Frage meines Professors an mich war, ob ich gern Cookies backe. Das Studium unter Frauen hat mir geholfen, mich in solchen Situationen zu behaupten. Wiederholt etwa heute ein Mann etwas, das ich gesagt habe, und erntet dafür Lob, so kann ich das kritisch ansprechen.

 

Nora Keller (31), Projektmanagerin, Zürich