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Wie ist es eigentlich in Nicaragua Banditen in die Hände zu fallen?

Leben

Wie ist es eigentlich in Nicaragua Banditen in die Hände zu fallen?

  • Text: Flurina DecasperFoto: Getty

Sarita (31), Flugbegleiterin aus Genf

«Cierra los ojos!», schliess die Augen, schreien die zwei Männer aus heiterem Himmel. Im selben Augenblick packen die Frauen meine Arme und drücken meinen Kopf nach unten. Es ist von Beginn an unangenehm heiss und schwül im Auto. Jetzt macht das Adrenalin in meinem Blut die Hitze beinahe unerträglich. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, wie mir geschieht. Doch dann sehe ich absolut klar. Ich werde überfallen, am helllichten Tag, in einem Land, das mir fremd ist.

Wie immer auf meinen Reisen wollte ich auf eigene Faust einen Teil der Erde für mich entdecken. Mein Plan war, während vier Wochen von Managua aus durch Nicaragua und Costa Rica zu touren und von Panama heimzufliegen. Es war erst der dritte Tag, und nun sollte mein Trip hier ein abruptes Ende nehmen. Ich wollte nicht wie eine Touristin reisen, sondern wie die Einheimischen, um das echte Mittelamerika zu erleben. Und so liess ich mich auf der Strasse von einer sympathischen Latina überzeugen, statt mit dem Bus zusammen mit ihr, Carolina, per Gemeinschaftstaxi in den Süden zu fahren. Solche Taxis, die sich mehrere Leute miteinander teilen, sind in Lateinamerika nichts Aussergewöhnliches. Ich kannte das von früheren Reisen. Der Fahrer nannte einen angemessenen Betrag, und ausserdem sass bereits eine schwangere Frau im Auto, die sich als Marta vorstellte. Die Situation wirkte vertrauenswürdig.

Zehn Minuten später stieg an einer Ecke noch ein junges nicaraguanisches Paar ein. Ich sass hinten, eingepfercht zwischen Marta, Carolina und der neuen Mitfahrerin. Es war wahnsinnig eng, und meine blassen Beine pressten sich gegen die der braun gebrannten Frauen neben mir. Zum ersten Mal bereute ich es, mich statt für den Komfort für das authentische Reiseerlebnis entschieden zu haben. Es schien mir ganz normal, dass mir die drei jungen Frauen immer wieder Fragen zu meinem Leben, dem Sozialsystem in der Schweiz und meinem Einkommen stellten. Ich sah darin ein Interesse für fremde Kulturen, so wie ich es von mir selbst kenne.

Da ging alles plötzlich ganz schnell

Die Luft war stickig und heiss, mindestens 35 Grad Celsius. Irgendwann erspähte ich eine Bergkette, die ich im Norden vermutete. Das machte mich stutzig. Carolina beschwichtigte mich, alles sei okay. Erst als ich ein Strassenschild eindeutig dem Norden zuordnen konnte, ahnte ich: Etwas ist faul. Da ging alles plötzlich ganz schnell. Schlagartig wurde die Stimmung im Auto hysterisch. Die Frauen hielten mich mit ihren schweissnassen Händen fest und drückten mich gewaltsam in den Sitz.

«Schmuck her!», brüllt Carolina, während die anderen meine Handtasche plündern. Als Flugbegleiterin habe ich gelernt, wie man sich bei Entführungen verhalten muss: ruhig bleiben, kooperativ sein, Fragen stellen und den Entführern das Gefühl vermitteln, sie seien Herr der Lage. Instinktiv reagiere ich richtig. «Wenn du uns den korrekten Kreditkartencode gibst, bringen wir dich nicht um», sagen die Männer. Ich tue, was sie verlangen. Trotzdem habe ich grosse Angst. Am meisten vor Verletzungen oder einer Vergewaltigung. Während zwei von ihnen aussteigen, fahren wir weiter in der Gegend herum. Es fühlt sich an, als seien wir stundenlang unterwegs. Sehen kann ich nichts. Ich traue mich nicht, meinen Kopf zu heben. Als die zwei Frauen vom Geldautomaten zurück sind, wo sie mein Konto geplündert haben, werfen sie mich irgendwo raus. Bevor sie losfahren, durchneuseln sie noch meinen Rucksack und reissen den Inhalt an sich. Dann weisen sie mich an, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Meinen Pass, das Flugticket und ein paar Dollar lassen sie mir. Dann sind sie weg.

Am nächsten Tag sitze ich im Flugzeug. Ich bin froh, dass mir die Entführer nichts getan haben. Doch in mir ist etwas zu Bruch gegangen, das nur langsam heilt. Ich weiss, Länder wie Nicaragua werde ich sicher wieder bereisen. Aber wohl nie mehr allein. Ich war immer so offen und unternehmungslustig – nun bin ich freundlichen Leuten gegenüber oft misstrauisch und verleugne meine Nationalität. Den leichten Verfolgungswahn bin ich bis heute nicht los.