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Frauenquote: «Wundermittel oder Teufelswerk?»

Leben

Frauenquote: «Wundermittel oder Teufelswerk?»

  • Interview aufgezeichnet durch Tobias Wessels

annabelle-Reporterin Barbara Achermann diskutiert in der aktuellen Ausgabe von dem Wirtschaftsmagazin «Blickpunkt» mit Headhunter Bjørn Johansson über die Frauenquote.

Mehrere Länder kennen bereits Frauenquoten für die Wirtschaft in unterschiedlichen Ausprägungen, hier hat man bisher noch kaum ernsthaft darüber diskutiert. Tut sich die Schweiz besonders schwer mit der Idee?

Barbara Achermann: Diesen Eindruck haben wir, ja. In ganz Europa bewegt sich etwas, nur in der Schweiz gar nichts. Frankreich hat die gesetzliche Quote eingeführt, ebenso Italien, Spanien, Holland, Belgien und Island, Norwegen schon vor vier Jahren. In der EU ist das Thema auf dem Tapet, doch in der Schweiz spricht gar niemand davon, deshalb wollen wir mit unserer Aktion die Diskussion lancieren.

Bjørn Johansson: Quote ist etwas für die Politik, nicht für die Wirtschaft. Für einige Politiker und Journalisten ist sie ein schöner Weg, sich zu positionieren und profilieren. Ich glaube an die freie Marktwirtschaft, die Fakten sprechen für sich: Es gibt längst einen Trend der Schweiz, der beweist, dass wir die Quote gar nicht brauchen – vermutlich würde sie auch nicht zum gewünschten Erfolg führen.

Achermann: Die Quote ist derart unpopulär, damit kann man sich gar nicht profilieren. Wir hören immer wieder von Frauen aus der Wirtschaft, dass sie die Quote eigentlich ablehnen – aber erkennen, dass ohne eine Quote auch nichts vorwärts geht. Auch wir waren lange dagegen, doch es frustriert einfach zu sehen, dass sich so gar nichts verändert. Herr Johansson, wenn Sie von einem Trend zugunsten der Frauen sprechen, verweise ich auf den aktuellen Schilling- Report, der aufzeigt, dass der Anteil Frauen in Führungspositionen in der Schweiz seit Jahren auf dem gleichen Niveau stagniert: etwa zehn bis elf Prozent Frauen in Verwaltungsräten, Frauen in Geschäftsleitungen nur vier bis fünf Prozent, weibliche CEOs nochmals weniger. Wir sehen die Bewegung nicht, die von vielen Unternehmen propagiert wird. Diversity und Frauenförderungsprogramme stehen in jedem Leitbild, aber in den Top-Positionen passiert nichts.

Johansson: Das stimmt so einfach nicht. Ich treffe seit 32 Jahren Verwaltungsratspräsidenten, CEOs und Chairmen von Nominierungskomitees. Ich beobachte, dass wir im Mind Set dieser Menschen eine echte Revolution erleben. Ich bekomme immer wieder den klaren Auftrag, Frauen zu rekrutieren. Wir sprechen dabei nicht von der Geschäftsleitung, sondern vom Verwaltungsrat, darauf zielen auch die Quoten ab. Übrigens wird nicht immer ausdrücklich nach einer Schweizerin gesucht. Das zeigt mir: Man will die beste Person, die es für den Posten gibt, und in manche Fällen sind die Unternehmen überzeugt, dass dies unbedingt eine Frau wäre. Nur muss man die Entscheidung den Unternehmen selbst überlassen. Die europäische Wirtschaft steckt in der Krise, da brauchen wir die bestmöglichen Kräfte, um uns global zu behaupten. Doch es kommen Politiker, die nichts, aber auch gar nichts von der Wirtschaft verstehen, und führen Quoten ein. In Norwegen geschah dies 2002, der zuständige, übrigens liberale Minister wurde nicht wiedergewählt, nebenbei bemerkt. Norwegen kann sich das leisten, es gibt Erdöl und Erdgas im Überfluss, da liegt auch mal ein Fehler drin. Doch eine Studie der Universität von Michigan in Ann Arbor zeigt klar, dass die Einführung der Quote in Norwegen zu schlechteren Ergebnissen geführt hat.

Achermann: Es gibt Studien, die das genaue Gegenteil zeigen.

Johansson: Sie haben völlig recht, mit Statistiken kann man alles beweisen. Ich arbeite viel in Norwegen und kann Ihnen sagen: Es gibt doch keine grossen Diskussionen über die Quote, weil sie nun mal gesetzlich festgeschrieben ist, damit hat man sich abgefunden. Aber ist man damit glücklich? Nicht wirklich.

Achermann: Eine unserer Reporterinnen hat für eine grosse Story über die Quote in Norwegen diverse Verwaltungsräte befragt und auch andere Stimmen gehört. Tatsache ist: Die Performance der Wirtschaft des Landes hat nicht abgenommen.

Johansson: Weil wir dort dank Erdöl und Erdgas die tiefste Arbeitslosigkeit in Europa haben. Daran ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen etwas.

Starke regulatorische Eingriffe in die Wirtschaft wollen immer sehr gut überlegt sein. Weshalb ist ein solcher Eingriff in diesem Fall gerechtfertigt? Weshalb funktioniert es nicht auch ohne Quote?

Johansson: Es funktioniert doch ohne Quote!

Achermann: Wieso sprechen dann die Zahlen, etwa aus dem Schilling-Report, eine andere Sprache?

Johansson: In Europa ist der Anteil der Frauen in Verwaltungsräten von etwa 8 auf 15.4 Prozent gestiegen zwischen 2004 und 2012. Das ist fast eine Verdoppelung!

Achermann: Deutschland hat vor zehn Jahren eine freiwillige Selbstverpflichtung eingeführt, den Anteil der Frauen in Top-Positionen zu erhöhen. Tatsächlich ist dieser Anteil um lächerliche 0.5 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert. Deshalb reagiert jetzt auch die Politik. Es geht nicht um Profilierung, wie Herr Johansson sagt, sondern um das Erkennen einer Notwendigkeit. Firmen rekrutieren zwar Frauen, lassen sie aber am Ende nicht bis in die Top-Positionen vorrücken. Für unsere Kampagne konnten wir etwa bereits 300 Meinungsmacher aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur gewinnen. 60 Prozent der Uni-Absolventen in der Schweiz sind weiblich, also gibt es offensichtlich genügend fähige Frauen.

Johansson: Moment, jetzt müssen wir Klartext sprechen. Wir unterhalten uns nicht über Studentinnen, die gerade den Abschluss machen oder gemacht haben, sondern über mögliche Verwaltungsrätinnen, jetzt, im Jahr 2012. Wir brauchen die besten Personen in Verwaltungsräten, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt, Christ oder Moslem. Diese über eine Quote finden zu wollen, ist ein politischer Gag! Wir müssen kämpfen, um zu überleben, dafür brauchen wir die Besten. Wer glaubt, eine Position mit einer Frau am besten besetzen zu können, tut dies auch ohne Quotenzwang.

Achermann: Selbstverständlich sollen nur absolut kompetente Leute in Spitzenpositionen kommen. Aber die besten Frauen werden eben oft übersehen. Die Anzahl der Studienabgängerinnen zeigt sehr wohl, dass wir genügend intelligente, fähige und auch ehrgeizige Frauen im Land haben. Es ergibt doch keinen Sinn, viel Geld in die Bildung zu stecken, um den Frauen dann zu verwehren, auch etwas daraus zu machen.

Johansson: Ich stelle doch nicht in Frage, dass heute viele Frauen bessere Studienabschlüsse erreichen als Männer. Aber das ist nicht relevant. Wir müssen heute die optimale Zusammensetzung für Verwaltungsräte finden. Deshalb werden diese Gremien internationaler und tendenziell kleiner. Und es werden Personen gesucht, die ganz spezifische Anforderungen erfüllen, wie beispielweise Erfahrung in asiatischen Märkten oder im Finanzwesen – was immer der betreffende Verwaltungsrat gerade braucht. Wenn eine Frau diese Anforderung erfüllt, wunderbar. Das unterstütze ich auch in meiner Tätigkeit im Executive Search aktiv, schon seit den 80er Jahren. Und ich gebe Ihnen Recht: Im Management hat sich wenig bewegt. Doch ist die Quote die Lösung? Nein. In vielen europäischen Ländern hat der Anteil der Frauen in Verwaltungsräten bereits stark zugenommen.

Achermann: Völlig richtig, aber dies liegt daran, dass diese Länder eine Quote eingeführt haben oder dies vor der Tür steht. Ein cleveres Unternehmen reagiert frühzeitig und wartet nicht bis zum letzten Moment, um diese Quote zu erfüllen. Gerade in Italien hat man die Erfahrung gemacht, dass alleine die Diskussion um die Einführung einer Quote bereits für Bewegung gesorgt hat.

Johansson: Ich habe folgende Erfahrung gemacht: Wirklich erfolgreiche Frauen sind gegen die Quote. Wenn ich versuche, eine Frau für einen Posten in einem Verwaltungsrat zu finden, und ich einer Kandidatin verrate, dass spezifisch eine Frau gesucht wird, kommt oft die Abwehrreaktion. Eine «Quotenfrau» möchte niemand sein, in keinem Land der Welt. Einen Posten sollte man wegen der Qualifikation bekommen, nicht wegen des Geschlechts.

Herr Johansson, wenn man Ihre Aussagen zusammenfasst, bleibt eine Kernbotschaft stehen: Wir haben nicht genügend Frauen mit den nötigen Qualifikationen, um eine Quote überhaupt zu erfüllen. Richtig?

Johansson: Meine Aussage ist: Die Politiker dürfen sich nicht einmischen, weil sie nicht verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert. Ausserdem läuft der Prozess, was die Verwaltungsräte angeht, bereits, und er läuft schnell. In Top-Führungspositionen sieht es anders aus, weltweit.

Woran fehlt es?

Johansson: Es fehlt den Frauen an Line-Management-Erfahrung und dem Know-how, das daraus entsteht.

Achermann: Ein typischer Teufelskreis: Es fehlt den Frauen an Erfahrung in den oberen Positionen – doch niemand lässt sie die Erfahrung machen.

Johansson: Richtig, das ist ein Teufelskreis. Das liegt unter anderem daran, dass erwiesenermassen viele Frauen, die als Kandidatinnen für solche Positionen in Frage kämen, nach der Geburt des ersten oder zweiten Kindes aussteigen. Wenn heute in einer Führungsposition jemand mit bestimmtem Know-how gesucht wird, kann man niemanden mit einem maximalen Pensum von 40 Prozent einstellen. Man braucht Menschen, die einen echten Beitrag leisten können. Das führt unter anderem dazu, dass wir in der Schweiz immer mehr Ausländerinnen in den Verwaltungsräten sehen, mit einer anderen Karriereplanung, als wir sie hier oft finden. Wir können nicht jeden Verwaltungsrat mit Jasmin Staiblin oder Monika Ribar besetzen.

Achermann: Nur die Hälfte aller Akademikerinnen bekommt Kinder. Und viele, die Kinder haben, wollen trotzdem Karriere machen. Die Quote zwingt Unternehmen auch dazu, familientaugliche Laufbahnen anzubieten, um Top-Frauen rekrutieren zu können. Damit meine ich nicht eine Karriere mit 40-Prozent-Pensum, sondern flexible Arbeitszeiten, gute Kinderbetreuungsangebote oder keine Verwaltungsratssitzungen am Abend – wie in Norwegen. Davon profitieren auch die vielen Männer, die neben der Karriere ein Familienleben haben möchten.

Dann machen wir doch einen Fehler, überhaupt im Verwaltungsrat anzusetzen. Wenn Frauen mehr Management-Erfahrung brauchen, müsste
doch dafür eine Quote gefordert werden.

Achermann: Darauf zielen wir auch ab, wir beschränken unsere Forderung nicht auf den Verwaltungsrat. Sinnvoll anwendbar ist das für Unternehmen ab 200 Mitarbeitenden. Gespräche mit Wirtschaftsvertretern haben gezeigt, dass ab dieser Grösse eine solche Regelung umsetzbar ist.

Johansson: Eine Quote für die Konzernleitung ist eine absolute Utopie. Wir können uns solche Eingriffe, auch wenn das letztendliche Ziel ein gutes wäre, einfach nicht leisten. Die Schweiz ist ein sehr liberales Land. Wir haben unglaublich viele Ausländer in Top-Positionen der Schweizer Unternehmen, das zeigt, wie weltoffen wir sind. Das wird sich langfristig auch für die Frauen beweisen. Die Wirtschaft funktioniert. Wie gut, sehen wir daran, wie viel Neid der Schweiz entgegengebracht wird. Mit einer Quoten-Initiative setzen wir unseren Status aufs Spiel.

Achermann: Es liegen Studien vor von der Credit Suisse sowie von Ernst & Young und McKinsey, die klar belegen, dass Unternehmen mit Frauen in den Führungsgremien besser performen als die rein männlich geführten.

Johansson: Ich hoffe; es freut Sie zu hören, dass ich das auch unterstütze. Ich kämpfe dafür, dass qualifizierte Frauen in Verwaltungsräte aufgenommen werden. Ich befürworte Frauen in Geschäftsleitungen. Ich glaube an einen gesunden Mix aus Männern und Frauen, aus Inländern und Ausländern. Doch es ist falsch, dass Politiker kommen und 40 Prozent Frauenquote vorschreiben. Was kommt als nächstes? Eine Quote für ausländische Verwaltungsräte? Für katholische, protestantische und muslimische Mitglieder der Geschäftsleitung? Weshalb nur die Frauen mit einer Quote fördern?

Achermann: Weil sie die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Und damit berechtigte Ansprüche haben.

Johansson: Sehen Sie sich das Durchschnittsalter von Verwaltungsräten an und verglichen sie es mit dem der Gesamtbevölkerung. Daraus lässt sich auch kein Anspruch ableiten, dass Unternehmen verpflichtet werden, junge Leute in den Verwaltungsrat zu berufen. Wir brauchen qualifizierte Personen.

Achermann: Die Frauen sind qualifiziert. In vielen europäischen Ländern wurden ja gute Frauen für die Verwaltungsräte gesucht – und gefunden.

Johansson: Aber sehen Sie sich an, wie es in diesen Ländern teilweise wirtschaftlich läuft.

Achermann: Bitte? Es läuft dort wegen der Frauen schlecht?

Johansson: Nein, es läuft wegen der Politiker schlecht, die Entscheidungen wie die für eine Quotenregelung fällen.

Achermann: Also verdanken wir die gesamte Wirtschaftskrise der Politik? Das ist lächerlich.

Johansson: Vor allem der Politik. Es fehlt in der Politik an Leadership, in der gesamten westlichen Welt.
 

Wir schweifen ab. Kehren wir zurück zur Frage der Quote. Herr Johansson, Sie sagen, Sie fördern Frauen. Ihr Engagement in Ehren – aber wird sich in der Schweizer Wirtschaft ohne Quote etwas verändern?

Johansson: In den Verwaltungsräten ja. Wir erleben diesbezüglich in der Schweiz vielleicht keine Revolution, aber eine zügige Evolution. Davon bin ich überzeugt.

Frau Achermann, gesetzt den Fall, Sie haben mit Ihrer Kampagne Erfolg: Wie verhindern Sie, dass es zu den vorhin angesprochenen Quotenfrauen kommt, die nur wegen Ihres Geschlechts einen bestimmten Posten erreichen?

Achermann: Wir sind der festen Überzeugung, dass es genügend fähige Frauen gibt. Wir fordern ja nicht 50, sondern nur 30 Prozent, also einen relativ tiefen Prozentsatz, der nicht der Bevölkerungsstruktur entspricht. Zudem möchten wir die Quote auf fünf Jahre beschränken. Nach dieser Übergangsphase wird es genügend weibliche Vorbilder und Türöffnerinnen geben, damit die Frauen auch ohne gesetzliche Krücke in die Führungsetage kommen.

Frau Achermann, Herr Johansson, herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

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