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Setzt auf Handarbeit: Unternehmerin Karin Sieber-Graf

Leben

Setzt auf Handarbeit: Unternehmerin Karin Sieber-Graf

  • Text: Julia Heim 

15 Jahre lang hat sich Karin Sieber-Graf um ihre Familie gekümmert. Jetzt steht sie selbst mit ihrer Leidenschaft und ihrem Unternehmen Schlüsselbrett.ch an erster Stelle.

Im Alter von 22 Jahren wurde Karin Sieber-Graf zum ersten Mal Mutter, baute mit ihrem Mann ein Haus und entwarf das Ursprungsmodell ihrer heutigen Geschäftsidee – ein Schlüsselbrett. Dieses sollte der jungen Familie im neuen Heim lediglich einen praktischen Dienst erweisen. Dass sich daraus 15 Jahre später wirklich ein Unternehmen entwickeln würde, hätte die heute 38-Jährige wohl selbst nicht gedacht. Als gelernte Papeteristin zog es sie bereits mit 18 nach Zürich. Ihre optimistische und unverblümte Art half ihr dabei, sich auch in jungen Jahren zu behaupten. Heute ist sie Mami von zwei Buben, für die sie, seit deren Geburt, Vollzeit zuhause verfügbar war. Seit 2014 müssen die Söhne (10 und 16 Jahre alt) ein bisschen mehr mit anpacken. Denn vor gut einem Jahr gründete Karin Sieber-Graf ihre Firma Schlüsselbrett.ch und vertreibt den weiterentwickelten Prototyp von damals in verschiedenen Grössen und Ausführungen. 

annabelle.ch: Karin Sieber-Graf, Sie haben nach einer neuen Herausforderung gesucht, hätten sich aber auch auf eine Teilzeitstelle bewerben können. Weshalb haben Sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt? 
Karin Sieber-Graf: Wenn man 15 Jahre lang die Familie händelt und sich dann wieder an die Arbeitswelt heranwagt, erhält man mehrheitlich die Botschaft, man hätte den Anschluss verpasst. Dabei habe auch ich mich als Mutter und Hausfrau weiterentwickelt. Selbstverständlich ist mein Wissen gewachsen, und meine Fähigkeiten haben sich erweitert. Trotzdem sieht mich der Arbeitsmarkt nicht als das, was ich bin, eine qualifizierte und motivierte Arbeitskraft. Ich bin in der glücklichen Lage, kein Geld verdienen zu müssen. Das übernimmt mein Mann. So konnte ich mich bei der Suche nach einer (Neben-)Tätigkeit auf das konzentrieren, was mir Freude macht. Nun habe ich mit meiner Selbstständigkeit eher eine Vollzeitstelle angetreten – aber eine, die mich ganz und gar erfüllt. Als wir damals unser Haus bauten, entwickelte und baute ich das Schlüsselbrett für den Eigengebrauch. In den Jahren danach durfte ich dann Schlüsselbretter für Freunde und Verwandte anfertigen. Irgendwann dachte ich mir: Daraus lässt sich auch ein Geschäft machen. 

Sie haben alles selbst gemacht, von der Entwickelung des Produkts bis zum Aufbau der Website. Gab es Stolpersteine auf diesem Weg?
Bereits als Mami und Hausfrau war ich es gewöhnt, Dinge selbst zu erledigen, auch wenn ich bei vielem erst lernen musste, wie es geht. Das hat auch beim Aufbau der Firma geholfen. So verstehe ich heute den gesamten Produktionsablauf und kann direkt eingreifen und verändern, wenn mir etwas nicht gefällt. Ein Beispiel war die Website – eine Freundin ist Profi auf diesem Gebiet und wollte mir helfen. Leider hat mich ihr Vorschlag nicht überzeugt, sicher auch, weil ich bereits eine feste Vorstellung vom Ergebnis hatte. Deshalb meldete ich mich bei einem Gratisanbieter für Websites an und probierte es selbst. Heute kann ich die Seite selbst bewirtschaften, Dinge ergänzen oder entfernen, ohne jemanden um Hilfe bitten zu müssen. Im Internet konnte ich mich informieren und rechtliche Belange mit einem befreundeten Juristen besprechen. Ich gehe es langsam an und bin auf meinem Weg glücklicherweise noch nicht ins Stolpern geraten.

Ursprünglich wollte sich Karin Sieber-Graf mit dem Gewinn eine Putzfrau leisten, die ein-, zweimal in der Woche zum Einsatz kommt. Heute spart sie auf Produkte, die der eigenen Firma zugute kommen: «Für meine Papiertaschen mit dem Schlüsselbrett.ch-Schriftzug habe ich lange gespart und mich wie verrückt gefreut, als ich Messebesucher in Winterthur damit durch die Stadt flanieren sah.»
Ganz bewusst gönnt sie sich solche Dinge erst nach und nach. Denn die Firma kann und soll auch weiterhin ohne einen Investor wachsen. Wichtig ist der Unternehmerin, dass die Schlüsselbretter in der Schweiz produziert werden. Sie hält engen Kontakt zu ihren Produzenten und ist bei vielen Schritten vor Ort. So werden die Rohlinge in Balgach produziert und von Sieber-Graf persönlich geschliffen. Ein Sattler, ebenfalls in Balgach, näht den Filz, der den Schlüssel später in der Leiste hält. Mit ihrem Produkt gewann die Geschäftsfrau sogar den Red Dot Award, einen begehrten internationalen Designpreis: «Dass ich gewonnen habe, war eine grosse Überraschung, denn eigentlich wollte ich bloss das Feedback einer Fachjury, um das Produkt zu optimieren.»

Was hat sich seit der Firmengründung in Ihrem Leben verändert?
Ich war immer schon ein zufriedener Mensch, aber seit ich mein Unternehmen gegründet habe, bin ich vielleicht noch ein bisschen zufriedener. Ich habe viel fachliche, aber auch menschliche Unterstützung von meinem Mann und meinem Vater erhalten. Das tut gut! Da die Kinder nicht mehr so viel Betreuung brauchen, rückte der Haushalt immer stärker in den Vordergrund. Heute ist er wieder zu einer Nebensache geworden, was dazu führt, dass ich ihn mit viel Freude erledige. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass mein Umfeld mir heute anders begegnet. Das hat mich anfangs geärgert. Plötzlich erhalte ich viel Anerkennung, dabei denke ich mir: Ihr wisst nicht, wie einfach das ist im Gegensatz zu dem, was ich all die Jahre gemacht habe (lacht). Die Arbeit zuhause hat mich gelehrt, auch ohne Bezahlung viel zu erledigen. Deshalb kann ich gut damit umgehen, mir aus meinen Einnahmen noch nichts auszuzahlen. Ich messe meinen Erfolg nicht am Geld, sondern an meiner Zufriedenheit und natürlich an der Zufriedenheit der Kunden.

Es gibt viele Familien, die auf zwei Gehälter angewiesen sind. Welchen Rat geben Sie Frauen, die von der Selbstständigkeit leben möchten respektiv müssen?
Ich bin mir meiner glücklichen Lage durchaus bewusst. Aber auch ich möchte mit meiner Firma Geld verdienen. Auch wenn ich es langsam angehen kann, soll das Geschäft rentieren. Trotzdem: Man sollte nicht alles mit Geld messen wollen. Das würde speziell in der Aufbauphase zu viel Frustration führen. Bei Frauen, die die Fixkosten (zu einem Teil) selbst tragen müssen, empfehle ich eine Teilzeitstelle. Die kann man aufgeben, wenn man finanziell ein Polster geschaffen hat, um sich vollständig dem eigenen Unternehmen zu widmen. Grundsätzlich rate ich aber dazu, es einfach zu wagen – auf das Herz zu hören und nicht auf den Kopf. Und: die Familie einbinden. Meine Kinder müssen heute mehr mithelfen als früher. Das macht sie selbstständig und mich freier.

Aktuell vertreibt die Unternehmerin ihre Schlüsselbretter online und in ausgewählten Geschäften. «Ich habe keinen Businessplan erstellt. Ich möchte mir nicht vorschreiben, wo ich in fünf Jahren zu sein hab – um mich selbst nicht zu enttäuschen.» Am Wertvollsten ist für sie ohnehin die Rückmeldung der Kunden und die Möglichkeit, das Produkt weiterzuentwickeln. So hängen mittlerweile nicht nur Schlüssel am Objekt, sondern auch Sonnenbrillen, Regenschirme und dank eines Reagenzglases kleine Blumensträusse, die die Kinder vom Schulweg nachhause bringen.

«Diese Arbeit gibt mir Energie, sie fordert mich und zeigt mir, wozu ich fähig bin», schwärmt Karin Sieber-Graf, während sie mit ihrer Hand sachte über eine Schlüsselleiste streicht. «Ich lerne ständig etwas Neues, kann es mit meinem Familienalltag vereinbaren und muss niemandem Rechenschaft ablegen – das fühlt sich sehr gut an!»

 

Wow-Frauen

Online-Redaktorin Julia Heim (rechts im Bild – mit Unternehmerin Franziska Freiermuth) begegnete in ihrem privaten Umfeld vielen Frauen, die sich selbstständig machen wollten, und begab sich deshalb auf die Suche nach mehr oder weniger frischgebackenen Unternehmerinnen in der Schweiz. In Interviews ging sie der Frage nach, warum der Wunsch nach Selbstständigkeit so stark ist und welche Tipps künftige Firmengründerinnen beachten sollten. Hier finden Sie alle Interviews mit den Unternehmerinnen.

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