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Swiss Miss: Die Schweizerin Tina Roth Eisenberg brilliert in den USA

Leben

Swiss Miss: Die Schweizerin Tina Roth Eisenberg brilliert in den USA

  • Text: Yvonne Eisenring; Fotos: Roderick Aichinger

Aufgewachsen im Appenzeller Dorf Speicher, zog Tina Roth Eisenberg vor 16 Jahren in die USA. Heute ist die Swiss Miss der Star der New Yorker Kreativszene. Eine Erfolgsstory born in Switzerland, made in the USA.

Freitagmorgen, kurz vor 9 Uhr, in einer alten Lagerhalle in Bushwick, New York. Tina Roth Eisenberg betritt die Bühne. «That’s her!», raunt ein Mann mit Schnauz und Brille. Das sei jetzt eben die Schweizerin, die Swiss Miss, erklärt er seiner Begleitung. Ihr gehöre dieser bekannte Designblog. Und sie habe Creative Mornings, also die Events, von denen gerade einer stattfindet, gegründet. Ihr gehöre auch die Firma Tattly mit den Abziehtattoos, die gerade total in sind. «She is amazing!»

Tina Roth Eisenberg hört die Lobeshymne nicht, sie begrüsst gerade die über 300 Leute im Raum. Junge und schöne Menschen. Künstler, Designer, Regisseure. Das Mikrofon bräuchte Tina Roth Eisenberg nicht, ihre Stimme ist laut und klar, ihr Amerikanisch akzentfrei. Sie habe sich wahnsinnig auf heute gefreut, der Gastredner sei fantastisch, eine Ehre, dass er hier sei. Das Publikum klatscht. Nirgendwo sind Ankündigungen pompöser als in den USA. Aber bei Tina Roth Eisenberg klingen die überschwänglichen Worte nicht gekünstelt und die Superlative nicht übertrieben. Die Frau, die auf der Bühne steht, wirkt bodenständig. Unaufgeregt. Von Nervosität keine Spur. Tina Roth Eisenberg ist es gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen. Kürzlich waren es 10 000. Damals bat sie ihre Zuhörer, eine Welle zu machen. Für ein Video für ihre Eltern. Ihre Eltern wohnen in Speicher. Ein Dorf in Appenzell Ausserrhoden. 3000 Einwohner.

Swiss Miss: Ihre Heimat ist New York

«Brooklyn to Speicher, Appenzell: 6850 Kilometer» steht auf einem gelben Wanderwegweiser in ihrer Wohnung. So weit weg ist der Ort, an dem sie Kindheit und Jugend verbrachte. Im Haus neben der Kuhweide, zwei Fussminuten vom Skilift entfernt, an dem sie im Winter jeden Nachmittag verbrachte. Mindestens einmal pro Jahr reist sie mit ihren beiden Kindern und ihrem Mann in die Schweiz. Drei Wochen Ferien. «Da verbutzts mi schier, wen i det bi», so schön sei es, sagt sie. Und doch würde sie nicht zurückwollen. Ihre Heimat ist New York. 1999 kam sie nach ihrem Grafikdesign-Studium für ein dreimonatiges Praktikum hierher. Sie war 25, und ihr Chef hatte ihr schon beim Vorstellungsgespräch gesagt, sie werde nie zurückgehen. Nach fünf Wochen hatte sie eine Festanstellung und ein Visum. Beides für ein Jahr. Sie blieb. Auch als das Jahr vorbei war. Und auch als alle Ampeln auf Rot schalteten und jeder Wegweiser nachhause, in die Schweiz zeigte. Sie sagt: «Meine Wurzeln sind so tief, dass es hageln kann.»

Der Sturm kam zwei Jahre nach ihrem Umzug nach New York. Tina Roth Eisenberg sass in ihrem Büro in Manhattan, telefonierte mit ihrer Mutter – und sah, wie ein Flugzeug in den ersten Tower flog. «Mami, i lüt der zrugg.» Sie rannte zur Tür raus, direkt in eine Staubwolke. «Ich war von oben bis unten weiss.» Die Zeit nach 9/11 war schwarz. Das Büro, in dem sie arbeitete, blieb zunächst drei Wochen lang geschlossen, weil alles abgesperrt war – und öffnete danach nie wieder. Tina Roth Eisenberg kämpfte sich als Freelancerin durch, kam für drei Monate zurück in die Schweiz, machte die Website für ihre alte Kanti in Trogen. Mit dem Geld, das sie dabei verdiente, reiste sie zurück nach New York. «Ich war noch nicht fertig mit der Stadt», sagt sie. Ihr Biss zahlte sich aus. Sie bekam einen Job in einer grossen Webagentur, gestaltete Websites und Intranet für namhafte Institutionen wie das Moma, das Museum of Modern Art.

Um den Überblick über all die schönen Dinge, die sie im Netz fand, zu behalten, erstellte sie 2005 eine Art Online-Notizblock. Ein virtuelles Fotoalbum der Welt, die ihr gefällt. Sie nannte den Blog «swiss-miss.com». Die Welt, die ihr gefällt, gefiel auch anderen. Innert Kürze wollten 1.5 Millionen Menschen jeden Monat sehen, was sie sah. Darunter auch der Creative Director der «New York Times». Produkte, die sie online für gut befand, waren innert Kürze ausverkauft. «Aber käuflich war ich nie», betont sie. Ausser einer kleinen Sponsoringbox gibt es keine Werbung auf ihrer Site. Trotzdem warf sie genug ab, um sich selbstständig zu machen, als ihre Tochter vor neun Jahren zur Welt kam. Als ihr Sohn vier Jahre später geboren wurde, hörte sie auf, für Kunden zu arbeiten.

Es ist kurz vor zehn. Tina Roth Eisenberg betritt erneut die Bühne, bedankt sich mehrmals beim Redner und verabschiedet sich mit: «You all are amazing!» Viele der jungen Kreativen bleiben noch stehen, auch wenn sie längst zur Arbeit müssten. Sie wollen noch ein Wort mit der Organisatorin wechseln. Ihre Bewunderung verheimlichen sie nicht. Die Swiss Miss ist für viele ein Vorbild, eine, die es geschafft hat.

Nun sitzen wir an ihrem Esstisch, vor uns ein Teller Pfirsichschnitze. Ihre Wohnung liegt in Brooklyn, in einem modernen Gebäude mit Türsteher. Ein Eingangsbereich wie eine Hotellobby: viel Marmor, an den Wänden grosse Gemälde. Die Wohnung ist hell, spartanisch möbliert, alles hat Stil. Für New Yorker Verhältnisse ist sie ungewöhnlich gross. Ihr Mann hat sie aus zwei Apartments kreiert. Gary Eisenberg ist Küchendesigner. «Er designt Chuchichäschtli», sagt seine Frau. Vor gut elf Jahren haben sie sich kennen gelernt. In Manhattan. In einem Lift. Ihr ist der grosse, attraktive Mann sofort aufgefallen. «Now or never», habe sie sich gesagt. Jetzt oder nie. Er hatte einen Schirm dabei. Es regnete. Ob er auch zur Metrostation müsse, fragte sie ihn. Am nächsten Tag schrieb er ihr ein Mail: «Es regnet immer noch. Willst du noch einmal den Schirm teilen?» Nach neun Monaten waren sie verlobt, neun Monate später verheiratet. Weitere neun Monate später kam ihre Tochter Ella zur Welt.

Diese Geschichte erzählte sie auch einem verdutzten Kurt Aeschbacher vor drei Jahren in seiner Sendung. Das sei ihm jetzt ein bisschen zu schnell gegangen, meinte er darauf. Tina Roth Eisenberg lachte, das Publikum klatschte. Es war einer der wenigen Auftritte in ihrer Heimat. In den Schweizer Medien findet man bis heute wenig über die Swiss Miss. Dabei ist sie eines der erfolgreichsten Exportprodukte. In Brooklyn wird Tina Roth Eisenberg auf der Strasse erkannt, in der New Yorker Kreativszene als Star gefeiert. Vielleicht fällt die Schweizerin unter Schweizern zu wenig auf. Oder sie ist den Schweizern zu amerikanisch. Sie habe früher viele vor den Kopf gestossen mit ihrer Art, sagt sie. «Ich war den Leuten oft einen Tick zu laut, zu schnell, zu viel.»

Schweizer Herkunft ist ein Bonus

In den USA ist ihre Schweizer Herkunft ein Bonus. Sie ist ihr Markenzeichen. Nicht nur im Blognamen findet man diese Prise Swissness. Das Hintergrundbild von Teux Deux, einer App, die sie vor sechs Jahren entwickelt hat, zeigt den Säntis. Teux Deux ist ein digitaler Kalender mit To-do-Listen. Wer damit arbeiten will, bezahlt pro Jahr 24 Dollar. Dass sie damit Geld verdienen würde, war nicht geplant. Die Idee entstand spontan bei einem Mittagessen mit Freunden. Sie sagt: «Starte kein Business mit der Absicht, möglichst viel Geld damit zu verdienen. Sondern weil du es einfach unbedingt machen willst.» Zum Beispiel Tattly. Vor vier Jahren kam ihre Tochter von einer Geburtstagsparty nachhause, sie hatte Aufklebetattoos dabei. «Ich fand die Sujets sehr, sehr hässlich.» Sie habe das Credo «Don’t complain, create! Beschwere dich nicht, mache!» und fing an, ihre eigenen Tattoos zu zeichnen. Heute arbeiten zwölf Leute für Tattly, die Tattoos werden unterdessen in 1200 Geschäften verkauft. Weltweit. «Auch in der Schweiz, im Globus und im Manor. Das freut mich ganz besonders.»

Am Morgen unseres ersten Gesprächs hatte es Tattly gerade auf die Frontseite des Style-Bundes der «New York Times» geschafft. Ein Ritterschlag. Tina Roth Eisenbergs Begeisterung darüber ist riesig. Die überbordende Freude über den eigenen Erfolg ist ansteckend – weil erfrischend unschweizerisch. Sie sagt: «Diese schweizerische Zurückhaltung ist oft ein Bremsklotz.» Sie habe eine Ewigkeit gebraucht, bis sie aufgehört habe, daran zu denken, was andere über sie denken könnten. «Fuck it, I try it!», dieses Motto habe sie in den USA gelernt. Aber klar, «the Swiss in me» zeige sich immer wieder. Wenn zum Beispiel jemand seinen Apfel auf der Tischplatte statt auf einem Brättli schneidet. Das mache sie wahnsinnig. Oder wenn Leute unpünktlich sind.

Es ist Punkt zwölf: Die Kinder kommen. Ella und ihr Bruder Tilo stürzen sich als Erstes auf Loulou, die Katze. Tagsüber schaut eine Nanny zu ihnen. Beide Eltern arbeiten Vollzeit. Ohne Kinder wäre sie vermutlich ein Workaholic, sagt Tina Roth Eisenberg. «Ich würde abends ewig im Büro bleiben, einfach weil ich meinen Job so gern mache.» Oft wird sie gefragt, was das denn eigentlich genau ist, ihr Job. Die Antwort darauf fällt ihr selber nicht immer leicht. An einem Dienstagabend, das ist der fixe Mutter-Tochter-Abend, hat sie deshalb mal ihre Tochter danach gefragt. Ella, Steak-kauend und leicht irritiert über die in ihren Augen total unlogische Frage, meinte: «Du sitzt an deinem Computer und lachst.» Die beste Erklärung, die ihre Mutter je gehört hatte. «Denn es ist wahr, es ist absolut wahr!»

Konkret sitzt Tina Roth Eisenberg morgens für Tattly am Computer, nachmittags für Creative Mornings. Creative Mornings, das Projekt, auf das sie am meisten stolz ist, gründete sie vor sieben Jahren. Sie wollte kreative Leute zusammenbringen, einmal im Monat für einen inspirierenden Frühstücksvortrag. Das geht nie, hätten ihr alle gesagt. Um 8.30 Uhr stehe kein Kreativer auf der Matte. Heute gibt es Creative Mornings in 129 Städten, und es werden monatlich drei bis vier mehr. Rund 13 000 Menschen treffen sich jeden Monat auf der ganzen Welt. Die einzelnen Vorträge sind jeweils innert Minuten ausgebucht. Von New York aus leitet ein Team von sechs Leuten das internationale Projekt, in den einzelnen Städten arbeiten alle ehrenamtlich. Wer Gastgeber in einer Stadt werden will, muss ein umfangreiches Dossier einreichen, wird per Skype interviewt. Es wird eine hohe Einsatzbereitschaft verlangt. Die Leute stellen sich dieser Hürde gern. «Einzig in Zürich ist die Stelle schon länger unbesetzt», sagt Tina Roth Eisenberg fast wehmütig. Würde sie selber zurückgehen und die Sache in die Hand nehmen? Ihr Mann wäre sofort bereit, in die Schweiz zu ziehen. Sofort. Er sei der Schweizer von ihnen, er mag es gemütlich, langsam, ruhig. Sie sei die New Yorkerin, obwohl er und nicht sie hier aufgewachsen ist. Derzeit sei eine Heimkehr kein Thema, aber: «Wer weiss, irgendwann versuche ich es vielleicht doch und gehe zurück in die Schweiz», sagt sie.

Trifft man sie in ihrem Co-Working Space Friends Work Here, einem Grossraumbüro, in dem Einzelpersonen einen Arbeitsplatz mieten können – ein weiteres Swiss-Miss-Projekt –, verliert man den Glauben an eine baldige Rückkehr. In den höchsten Tönen schwärmt sie vom guten Arbeitsklima, von der kreativen Energie, den tollen Leuten. Stolz führt sie durch die verwinkelten Räume. In einer Ecke hängt ein «Gireitsli», an einer Wand klebt ein grosses Bild eines brüllenden Bären. Ihr Arbeitsort, fünf Fussminuten von ihrem Zuhause entfernt, ist das pure Gegenteil der eleganten, modernen Wohnung. Das Büro liegt in einer alten Lagerhalle, die Toilette ist improvisiert, der Lift handbetrieben. Das Gebäude hat einen herben Charme. Im ersten Stock sind die Räumlichkeiten von Tattly, im zweiten liegt das Hauptquartier von Creative Mornings. Insgesamt arbeiten 18 Leute für Tina Roth Eisenberg.

Dass sie ihre eigene Firma besitzt, erstaunt nicht, wenn man die Karriere der Eltern kennt. Ihre Mutter führte ein Kleidergeschäft in St. Gallen. Eine grosse Boutique auf drei Stockwerken mit dreissig Angestellten. «Sie war eine Badass-Businesslady, aber das habe ich damals nicht realisiert», sagt Tina Roth Eisenberg heute. Ihr Vater war Immobilienmakler, jedenfalls bis das erste Apple-Gerät auf den Markt kam. Fasziniert von der neuen Technik, sattelte er um, gründete eine Schule für Mac-User und das Magazin «Macintouch», das bis 2001 eine Auflage von 11 000 Exemplaren erreichte. Die Begeisterung für Neues hat sie von ihrem Vater, das Organisationstalent von ihrer Mutter.

Die familiären Voraussetzungen waren also optimal – reichen aber doch nicht als Erklärung für den internationalen Erfolg der Tochter. An einem Vortrag vor mehreren Tausend Leuten meinte sie vor Jahresfrist: Jeder soll sich überlegen, welcher Superheld er wäre. Was seine Superpower sei. «Meine ist der Enthusiasmus!», sagte die Swiss Miss. Es ist die wohl einfachste und zugleich treffendste Antwort auf die Frage nach ihrem Erfolg. Die Erklärung, warum die so unterschiedlichen Projekte alle stetig und prächtig gedeihen. Man würde Tina Roth Eisenberg jedes Produkt abkaufen, ihr die Verantwortung für jedes Projekt geben. Ihre Überzeugung überzeugt.

Die Schweizer Bodenständigkeit und die amerikanische Euphorie sind gute Zutaten. Aber erst mit Tina Roth Eisenbergs’ Enthusiasmus bilden sie den perfekten Mix für eine steile Karriere.

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