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«Am meisten fürchte ich mich davor, falsch verstanden zu werden»

Kultur

«Am meisten fürchte ich mich davor, falsch verstanden zu werden»

  • Text: Barbara Achermann; Foto: Visual Moment

Grosse Klappe, viel dahinter: Patti Basler ist Preisträgerin des Salzburger Stiers 2019 und oberste Satirikerin der Schweiz. Schon als Kind wollte sie stets die Beste sein.

Patti Basler kann austeilen, gegen andere und gegen sich selber: Eine Egoistin sei sie. Und derart arbeitsfaul, dass sie sich zuweilen kaum aushalte. Diese selbstkritische Haltung macht sie menschlich, ja sympathisch. Sie ist aber auch eine Taktik, die Satiriker aller Art gern anwenden, um sich beim Publikum beliebt zu machen: Wer über sich selber lachen kann, hat die Lacher der anderen auf sicher. Patti Basler macht gern Witze über ihren umfangreichen Körper (die seien zwar etwas billig, würden aber von allen verstanden). So auch am Sonntagnachmittag im Café Vollenweider in Winterthur, vor einem Auftritt im nahen Casinotheater. Angesprochen auf ihre jüngsten Erfolge sagt sie: «Ich verkörpere eben die breite Masse.» Ihr Bühnenprogramm ist oft ausverkauft, sie hat eine eigene Radioshow auf SRF 1, eine eigene Talkshow im «Kaufleuten», tritt in der Politsendung «Arena» auf, hat den Schweizer Vizemeistertitel im Poetry Slam geholt und jetzt auch noch den Salzburger Stier, die höchste Auszeichnung für Komiker im deutschsprachigen Raum.

Meist sind Baslers Pointen subtil, intelligent. Vor allem, wenn es um Bildung geht, das Kernthema ihres Bühnenprogramms «Frontalunterricht», das sie an die hundertmal gezeigt hat, sowie ihres neuen Programms «Nachsitzen». Sie seziert die Schweizer Schullandschaft, zeigt Parallelen auf zwischen dem Anlegen von Fichen und digitalen Schüler-Dossiers, führt das viele Personal im Klassenzimmer ad absurdum, zitiert Studien, verweist auf Schiller. Sie erinnert sich an die verschiedenen Französischlehrmittel im Aargau: Das Buch für die leistungsstarken Bezirksschüler hiess «Porte Ouverte», das für die schwachen Realschüler «Bonne Chance». Oder erzählt von René, der Abwart wurde, «weil es für ihn die einzige Möglichkeit war, die Schule abzuschliessen».

Patti Basler ist 42 Jahre alt, lebt «in der Nähe von Baden». Präziser will sie nicht werden, aus Selbstschutz. Denn als Frau, die öffentlich polarisiert, wird sie zuweilen bösartig angegriffen. Im virtuellen Raum könne sie Pöbeleien oder Beschimpfungen wegstecken, nicht aber im privaten. Deshalb redet sie lieber über Schulhausmief und Bildungspolitik. Damit kennt sie sich aus, war sie doch zehn Jahre lang Sekundarlehrerin,studierte 22 Semester Erziehungswissenschaften, schrieb Lehrmittel, bildete Lehrerinnen aus. Wenn sie über die Schule spricht, redet Basler Klartext, vergisst dabei aber nie zu differenzieren. An der Oberstufe unterrichtete sie Kinder von 11 bis 17 Jahren, was gemeinhin als das schlimmste Alter gilt. «Das beste Alter!», widerspricht Basler. Sie kann verstehen, dass Jugendliche rebellieren: «Wenn wir uns überlegen, in was für eine Welt wir die Kinder reinschupfen – Klimaerwärmung, globale Krisen –, dann muss man Verständnis dafür haben, dass sie uns nicht nur dankbar sind.» Im Umgang mit Teenagern plädiert sie für eine «rationale Empathie». Mitdenken helfe mehr als mitfühlen: «Wenn ein Kind mit einem Problem zu dir kommt, musst du nicht in Tränen ausbrechen, sondern mögliche Wege aus der Krise aufzeigen.»

Es fällt auf, dass sich Patti Basler beim Sprechen kaum bewegt: Kein Beine-übereinander-Schlagen, keine untermalenden Gesten, ja sie fährt sich noch nicht mal durch die kurzen Locken. Fast so, als fokussiere sie all ihre Energie aufs Denken. «Blitzgescheit» sei sie, so Fernsehmoderatorin Susanne Wille. «Ich bin manchmal neidisch darauf, wie schnell sie ist», sagt Kilian Ziegler, Schweizer Meister im Poetry Slam. Basler redet nicht nur pointiert, sondern auch druckreif.

Gymnasium? «Überbewertet. Das System ist heute so durchlässig, dass man auch nach einer Lehre studieren kann.» Noten? «Brutal für schwache, wichtig für kompetitive Schüler. Ich selber wollte mich immer mit anderen messen und die Beste sein.»

Programmieren? «Jede Woche wird von der Politik ein neues Fach gefordert: Glück, Wirtschaft oder eben Programmieren. Wichtig ist, dass man die Kinder im Denken schult.»

Schwimmunterricht? «Den schwänzten bei mir nicht die Musliminnen, sondern die liberalsten Schweizer Mädchen. Die hatten jede zweite Woche die Mens und rauchten heimlich hinter der Badi.»

Lehrplan 21? «Eigentlich eine gute Sache. Doch wenn man gleichzeitig sparen will, wird auch diese Reform scheitern.»

Je länger sie über die Schule spricht, desto deutlicher spürt man ihre Erleichterung darüber, dass sie diese Zeit hinter sich hat. Lehrerin ist ein harter Job, sie sei zuweilen nah am Burnout gewesen. «Man hat nie Feierabend.» Zusatzaufgaben wie das Mitwirken in Kommissionen oder die Organisation des Dorffests überfrachteten das Pensum, ebenso wie die eigenen hohen Ansprüche an den Unterricht. Und zu viel Multikulti. Damit meint Basler nicht nur unterschiedliche Landessitten oder Religionen – sondern auch die verschiedenen Kulturen in Schweizer Familien. «Gemeinschaft zu schaffen ist in unserer individualisierten Gesellschaft extrem schwierig». Sie fasst das Problem in einer Szene zusammen: «Du organisierst einen Brunch im Klassenzimmer. Jemand bringt die Butter, ein anderer den Zopf, der dritte den Aufschnitt. Am Ende kann niemand mehr mitessen, weil der eine Veganer ist, der andere Muslim, der dritte Allergiker.»

Erschwerend dabei: Das allgemeine Misstrauen gegen die Lehrerschaft. Früher war das, was der Lehrer sagte, sakrosankt. Oder, in Baslers drastischen Worten: «Wenn der Lehrer einem eine Ohrfeige gab, bekam man daheim gleich nochmals eine gescheuert. Das war hart, aber für viele Kinder war es trotzdem einfacher. Sie konnten sich besser orientieren.»

Die Kellnerin bringt ihr Coca-Cola Zero. Patti Basler entdeckt eine Arbeitskollegin vom Radio und versucht, sie scherzend dazu zu bringen, später in ihre Show zu kommen. Ihr Humor ist knochentrocken, meist verzieht sie keine Miene. Es ist dasselbe Pokerface, das sie auf der Bühne und im Fernsehen trägt. Heute ungeschminkt, im Scheinwerferlicht mit tiefroten Lippen.

Ihr Selbstbewusstsein kann einen einschüchtern. Für ihren Auftritt in der Sendung «Arena» empfahl sie sich bei der Produzentin gleich selbst, mit den Worten «wenn ihr wollt, dass die Leute bis zum Schluss zuschauen, müsst ihr mich engagieren». Auf Facebook macht sie beinahe täglich Eigenwerbung. Schon als Kind sei sie unerschrocken gewesen. «Es blieb mir gar nichts anderes übrig.» Sie wuchs auf einem abgelegenen Bauernhof im oberen Fricktal auf, zwischen 200 Kirschbäumen. Am ersten Kindergartentag mussten ihre Eltern heuen. Sie wisse ja, wo die Kirche sei, sagte die Mutter. Der Kindergarten liege gleich dahinter. Doch die Fünfjährige fand den Weg nicht und stand weinend auf dem Kirchplatz. «Solche Situationen gab es später immer wieder. Nur heulte ich nicht mehr.»

Komiker-Kollege Gabriel Vetter beschreibt sie als «tough». Aber wenn man sie etwas näher kennenlerne, sagt Vetter, sei sie «so verletzlich wie wir alle». Basler sagt, selbstverständlich kenne sie auch Unsicherheiten. «Am meisten fürchte ich mich davor, falsch verstanden zu werden.» So wie damals bei «Comedy aus dem Labor». Basler erzählte dem SRF-Moderator von Missverständnissen zwischen Schweizern und Deutschen. Seit die deutschen Lehrer in der Schweiz so zahlreich seien, könne man nicht mehr sagen «wir machen mit den Schülern ein Lager – in der Konzentrationswoche.» Ein jüdischer Zuschauer beschwerte sich bei der Ombudsstelle, die Boulevardpresse griff das Thema auf. «Ich habe mich nicht über die Opfer des Holocaust lustig gemacht», verteidigt sich Basler. Vielmehr habe sie auf den unsensiblen Schweizer Sprachgebrauch hinweisen wollen. Sie schiesse mit ihrer Satire grundsätzlich nicht auf Schwache, sondern auf Mächtige – und besonders gerne auf Politiker.

«Als Mädchen wird einem ja eine gewisse Zurückhaltung antrainiert. Seit ich die abgelegt habe, gelte ich als besonders hart im Nehmen.» Es ist ein Image, das sie in der Öffentlichkeit gern pflegt. Basler verglich sich mit einem Atomkraftwerk, «aussen kühl, aber ich strahle von innen». Ein anderes Mal mit einer Zwetschge «weiche Schale, harter Kern». Die abgebrühte Haltung auf der Bühne ist mehr als nur eine Rolle – aber auch nur die halbe Wahrheit. Jeder Künstler hadere im Grunde genommen mit sich selber, sagt Basler, bevor sie sich verabschiedet. Ein Lächeln gibt es nicht, dafür einen sanften Händedruck.

Auftritte von Patti Basler im Februar:
17. Februar, 22.25 Uhr, «Late Update», SRF 1
24. Februar, 19 Uhr, «Kaiserschmarren», Casinotheater, Winterthur
25. Februar, 20 Uhr, «Pattis Serie», Casinotheater, Winterthur