Werbung
«Ich gehe meine Filme nicht missionarisch an»

Leben

«Ich gehe meine Filme nicht missionarisch an»

  • Interview: Kerstin Hasse; Foto: ZFF

Florian Henckel von Donnesrmarck steigt mit seinem Film «Werk ohne Autor» für Deutschland ins Oscarrennen ein. Wir haben den Regisseur im Rahmen des Zurich Film Festivals getroffen und mit ihm über Gerhard Richter, Revisionismus und Nacktszenen gesprochen. 

annabelle: «Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.» Diesen Satz des amerikanischen Philosophen George Santayana zitierten Sie in einem Interview zu Ihrem neuen Film. Ist dieser Grundsatz mitunter der Grund, warum Sie sich in Ihren Filmen mit der Vergangenheit beschäftigen?
Florian Henckel von Donnersmarck: Ich finde, dass es manchmal schwierig ist, sich über die gegenwärtige Politik zu äussern, weil die Emotionen immer sehr schnell hochkochen. Für mich bietet die Vergangenheit, vor allem die jüngere Geschichte, eine der besten Möglichkeiten, um über die Gegenwart zu sprechen.

Würden Sie sagen, mit Blick auf die Geschehnisse in Chemnitz oder Dresden, dass genau das passiert? Wird die Geschichte wiederholt?
Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Politiker über die Geschichte Bescheid wissen. Und dass sie wissen, dass gewisse Handlungen, vor allem, wenn sie nicht erklärt werden, zu extremen Reaktionen in der Gesellschaft führen können. Dieses Bewusstsein fehlt mir oft. Es sollte für Politiker einen Geschichtstest als Pflicht geben, ehe sie sich für ein Amt aufstellen lassen. Ich denke mir oft bei Dingen, die entschieden werden, dass sich die Politiker viel zu wenig mit der Geschichte ihres eigenen Landes beschäftigen.

Trotzdem möchten Sie mit Ihrem Film ja nicht nur Politiker erreichen, sondern auch die Gesellschaft.
Ich gehe meine Filme nicht missionarisch an. Ich sage nicht: Diese eine Botschaft will ich vermitteln, und deshalb mache ich einen Film. Es ist eher so, dass der Film wahrscheinlich automatisch zeigt, wofür ich politisch, moralisch und philosophisch stehe, weil meine Haltung darin enthalten sein wird. Mir ging es bei «Werk ohne Autor» eigentlich eher darum, zu zeigen, wie man mit Traumata und Verletzung umgehen kann. Ich möchte mir und anderen Menschen Mut machen, die Verletzungen, die uns im Leben geschehen, positiv zu sehen. Oder vielleicht sogar zu erkennen, dass diese Verletzungen notwendig sind, damit wir uns zur besten Version unserer selbst entwickeln können.

Eine Schweizer Kollegin warf Ihnen in einer Kritik Revisionismus vor, weil Sie das Leid der Deutschen im Zweiten Weltkrieg in den Fokus stellen. Können Sie das nachvollziehen?
Jede Geschichte hat ihren Fokus, und mein Fokus liegt auf dieser Familie und diesem kleinen Jungen. Ich zeige den Krieg aus seiner Perspektive. Es geht im Film ja auch um die furchtbaren Mordtaten, die die Nazis begangen haben und ich denke, niemand könnte auf die Idee kommen, dass wir den Nationalsozialismus zu freundlich darstellen. Viel öfter höre ich übrigens die Frage, wie ich in dieser Explizitheit dieses Grauen zeigen konnte.

Vor allem die Szene in der Gaskammer ist umstritten, in der man sieht wie junge Frauen vergast werden. 
Auf der einen Seite heisst es, er zeigt zu sehr das Leid, das die Nazis verursacht haben, auf der anderen Seite heisst es, er zeigt es zu wenig. Das beweist, dass wir bei diesem Thema sehr angespannt sind und deshalb die Nadel sehr schnell und extrem in die eine oder andere Richtung ausschlägt. Ich bemühe mich, hier nur zu beobachten und den Blick sehr stark auf meine Hauptfigur zu lenken und ihre Geschichte zu erzählen.

Was auch kritisiert wird: In Ihrem Film werden nackte Frauen in ausgiebigen Einstellungen gezeigt.
Ich denke da nicht in Kategorien, ich denke nicht in Männern oder Frauen, sondern in Individuen. Figuren sind für mich nicht nur Vertreter ihres Geschlechts. Es gibt für jede weibliche Nacktheit ausserdem ebenso viel männliche Nacktheit.

Mir schien es, als wären mehr Frauen nackt zu sehen.
Die Männer werden sogar komplett nackt gezeigt, also «frontal nudity», wie man das nennt. Schauen Sie es sich nochmal an. Ich habe eine Weile mit dem Film gesessen, da gibt es sogar mehr männliche Nacktheit, glauben Sie mir.

Sie orientieren sich im Film sehr stark an das Leben des Künstlers Gerhard Richter. Anders als es in den Medien heisst, hat sich Richter aber nicht gegen diesen Film gestellt – Sie arbeiteten sogar zusammen.
Es ist für mich befremdlich, wenn die Leute denken oder sogar schreiben, dass er bei der Vorbereitung auf das Drehbuch nicht mitgemacht hat. Das liegt auch daran, dass die Leute ein Bild im Kopf haben von Gerhard Richter. Er gilt als der Künstler, an den man nicht herankommt, der mit niemandem spricht. Aber das stimmt gar nicht. Er spricht dauernd mit Leuten. Gibt zahllose Interviews. Und in dieses Bild passt auch nicht die Tatsache, dass Richter sich einen Monat lang mit mir getroffen hat. Aber ich weiss, Ihre Zunft hat das lauteste Megafon, und dagegen kommt niemand an. Also akzeptiere ich einfach.

Das nervt Sie nicht, dass Sie immer und immer wieder etwas richtig stellen müssen?
In den Medien entwickelt sich oft eine Eigendynamik, und ich habe akzeptiert, dass man da gegen gewisse Dinge nicht ankommt. Bei meinem letzten Film, «The Tourist», hiess es zum Beispiel plötzlich, der Film ist ein Besucherflopp. Das stimmt nicht. Es war einer der erfolgreichsten Filme von diesen zwei sehr erfolgreichen Schauspielern (Angelina Jolie und Johnny Depp Anm. d. Red.) und ein Besuchererfolg in allen Ländern. Aber so einen Stempel wird man einfach nicht los. Und ich bemühe mich auch inzwischen kaum noch, das Gegenteil zu betonten. Ich habe nicht die Vorstellung, dass es in der Welt immer rational zugeht.