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«Musik zu machen ist für mich eine Notwendigkeit»

Leben

«Musik zu machen ist für mich eine Notwendigkeit»

  • Text: Veronica Fusaro; Foto: Tobias Sutter

Frauen sind auf Festivalbühnen untervertreten, auch in der Schweiz. Auf annabelle.ch geben wir Schweizer Musikerinnen eine Bühne und lassen sie über das schreiben, was sie gerade beschäftigt. Der sechste Beitrag stammt von Veronica Fusaro. 

«Warum machst du Musik?» ist eine Frage, die mir regelmässig gestellt wird. Ich will versuchen, sie für diesen Text zu beantworten. In einem Tête-à-tête-Interview würde ich auf diese Frage jetzt schwermütig und langsam einatmen, die Augen wären irgendwo ins Nirgendwo gerichtet, und die Worte würden wild in meinem Kopf herumtanzen, sodass ich sie kaum einfangen könnte. Die Lungen sind bald gefüllt, die Antwort wird erwartet, der Druck steigt, die Worte kommen langsam zu einem Satz zusammen und könnten gar einen Sinn ergeben. Zugleich fällt mir auf, dass es mir immer schwer fällt, diese nicht allzu selten gestellte Frage zu beantworten. Obwohl es eigentlich eine banale Frage ist, die ich problemlos beantworten können sollte. So kommen mir 1000 und ein Gedanke in den Sinn, welche ich allesamt nicht loswerden kann. Deshalb erlaube ich mir diese Frage mit einem ertragbaren Zeitdruck von zwei Tagen und einigen Atemzügen mehr selber zu stellen und zu beantworten. Warum also mache ich Musik?

Ich mag mich noch genau an ein Poster erinnern, welches im Gang der Musikschule hing, worauf «Mus-ik?» stand. Wöchentlich lief ich auf dem Weg in den Gitarrenunterricht daran vorbei, fast wöchentlich fiel es mir auf, und zuerst fand ich es doof, und ganz ehrlich, es existieren durchaus bessere Wortspiele, falls man das überhaupt ein solches nennen kann. Was es wohl aussagen wollte (oder immer noch will, falls es noch dort hängt, ich besuchte damals die 4. Klasse), ist, dass man Musik nicht müssen soll, sondern wollen. Jedenfalls ergab es für mich nie wirklich Sinn. Ja okay, zugegeben, nicht immer sass ich mit Freude hin und übte die Hausaufgaben, die ich von meinem Gitarrenlehrer erhalten hatte. Stattdessen lernte ich lieber die Akkorde zu Songs wie «Umbrella» von Rihanna. Das wollte ich nämlich, genau solche Songs spielen können, damit ich dazu singen konnte. Wäre es ein Müssen gewesen, wäre mir jede Minute wie eine Ewigkeit vorgekommen, es hätte mich nie gepackt, und ich hätte es kaum abwarten können, die Gitarre weglegen zu dürfen. Dieser Fall trat jedoch nie ein, und so übt man weiter ohne zu merken, dass die Zeitwie im Flug vergeht und im Winde verweht. Es war immer ein Darf-ik.

Beim eigentlichen Machen der Musik passieren solche Gedanken nicht. Musik macht man einfach. Ich zumindest mache es einfach. Es ist eine Notwendigkeit, so wie der Mensch atmen muss, um zu überleben, und es erfolgt mit einer Natürlichkeit, so wie die Planeten sich um sich selber und im Kreis drehen. Es tut mir gut, ich mache es unglaublich gern, ich verspüre ein wohltuendes Gefühl, wenn ich einen Song schreibe, den ich gut finde, oder einen Song höre, der mir gefällt. Musik schafft es, etwas auszusagen, wozu 100 Worte nicht fähig wären. Musik lässt die Menschen selbst in einer solch lauten Welt lauschen und ab und zu sogar schweigen. Sie hat die Fähigkeit, die schönsten sich vorstellbaren Nuancen eines Sonnenuntergangs auszumalen, ohne einen einzigen Tropfen Farbe zu gebrauchen. Ab und zu schafft sie es, sich in die Herzen von Generationen einzugravieren, sozusagen unsterblich zu werden.

Dies sind weiterhin nur Bruchteile eines Versuchs zu beschreiben, warum ich Musik mache. Eine Mischung aus Faszination und Leidenschaft, Zufluchtsort und Labyrinth zugleich. Musik kann viel mehr als all diese von mir genannten Worte und Gedankengänge aussagen, weshalb ich ab sofort das Wort wieder der Musik überlasse oder besser gesagt – die Musik machen lasse.

 

Veronica Fusaro ist eine Schweizer Singer-Songwriterin. Die 20-Jährige hat dieses Jahr bereits ihre zweite EP, «Ice Cold», veröffentlicht. Fusaro wurde für den Swiss Music Award 2017 nominiert und von SRF 3 als Best Talent ausgezeichnet. Neben ihrer Musikkarriere studiert sie Soziologie. 

 

Bühne frei für alle

Meist sind es noch immer Männer oder Männerbands, die an grossen Festivals auf den Hauptbühnen stehen – obwohl es sowohl in der Schweiz als auch international viele interessante und talentierte Künstlerinnen gäbe. Wir bitten diesen Sommer fünf Schweizer Musikerinnen auf unsere Bühne und lassen sie mit einer Carte Blanche laut über das nachdenken, was sie gerade in ihrem Leben als Kreative in der Schweiz beschäftigt. Dies ist der zweite Beitrag der Reihe, alle weiteren finden Sie hier.