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«Schämst du dich nicht?»

Leben

«Schämst du dich nicht?»

  • Text: Sarah Hughes, aus dem Englischen von Daniel Gerhardt; Foto: Getty Images 

Bald ist Schluss mit «Girls». Was danach kommt, weiss Lena Dunham nicht – aber sie freut sich darauf.

Lena Dunham bereitet sich auf den nächsten Abschnitt ihres Lebens vor. Wir treffen uns in Los Angeles, zwei Tage nachdem bekannt wurde, dass die von ihr inszenierte HBO-Serie «Girls», in der sie auch eine der Hauptrollen spielt, 2017 nach sechs Staffeln abgesetzt wird. Für Dunham ist das Ende der Serie zugleich das Ende einer ebenso erfüllenden wie aufreibenden Ära. Man hält sie heute nicht mehr nur scherzhaft für die Stimme ihrer Generation.

«Es freut mich vor allem, dass man meinem Team und mir die Zeit gibt, ‹Girls› so zu Ende zu erzählen, wie wir es für richtig halten», sagt Dunham. «Die Serie ist ein Fulltimejob, den ich inzwischen seit fünf Jahren mache. Wenn ich nicht am Set sein muss, schreibe ich Drehbücher. Wenn ich keine Drehbücher schreiben muss, findet man mich im Schnitt. Wenn ich nicht schneiden muss, absolviere ich Pressetermine. Ich mache all das sehr gern, aber es wird auch schön sein, einfach mal abzuschalten. Einen Grossteil meiner Zwanziger habe ich der Arbeit gewidmet. Deshalb will ich nicht gleich für zwei Jahre von der Bildfläche verschwinden, aber zumindest mal das Pensum runterfahren.»

Mitte Mai feierte Dunham ihren 30. Geburtstag. Sie ist seit drei Jahren mit dem Musiker Jack Antonoff liiert und gibt unumwunden zu, dass es in dieser Zeit nicht immer einfach war, die richtige Work-Life-Balance zu finden. «Ich habe mich in die Arbeit an ‹Girls› gestürzt, ohne wirklich zu wissen, was mich erwarten würde», sagt sie. «Es ist schwierig, das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben zu wahren, für seine Liebsten und für die Familie da zu sein – aber eben auch für den Job. Ich arbeite noch immer daran, es ist und bleibt eine Herausforderung.» Was genau Dunham damit meint? «Zum Beispiel, was es heisst, eine gute Schwester zu sein. Eine gute Partnerin. Eine gute Freundin und Geschäftsfrau. Wie man all das unter einen Hut bekommen und sich vielleicht sogar ein kleines bisschen Privatsphäre bewahren kann.»

Ach, Privatsphäre. Ich habe Dunham in den letzten fünf Jahren fünfmal interviewt und konnte dabei beobachten, wie sie sich von einer unfassbar offenen zu einer ganz und gar professionellen Gesprächspartnerin entwickelt hat. Nach unserem ersten Treffen gab sie mir ihre Telefonnummer und E-Mail-Adresse; sie versicherte, ich könne mich jederzeit mit jedem Anliegen bei ihr melden. Heute ist sie noch immer aufgeschlossen, gibt wohlüberlegte, interessante Antworten – und scheint ihre Worte doch vorsichtiger zu wählen. Dunham ist berühmt dafür, jeden Teil ihres Lebens vor den Kameras auszubreiten: Schon während ihrer Zeit am Oberlin-College in Ohio filmte sie sich bei einer öffentlichen Springbrunnendusche im Bikini. Das Video stellte sie auf Youtube, es wurde ein viraler Hit. Dennoch interessiert sich Dunham heute auch dafür, wie sie ihr Leben von der Öffentlichkeit abschotten kann.

Man nehme zum Beispiel ihr Instagram-Profil. Bisher finden Dunhams 2.3 Millionen Follower dort eine fröhlich-unbedarfte Mischung aus persönlichen Fotos und Schnappschüssen, die sich nicht gross von anderen Accounts der Social-Media-Plattform unterscheidet. Das, gesteht Dunham, könnte sich bald ändern.

«In Zukunft werde ich wohl von Fall zu Fall entscheiden, ob ich ein Foto auf Instagram veröffentlichen möchte oder nicht. Wer weiss schon, wie mein Leben aussehen wird, wenn ich Kinder bekommen oder andere einschneidende Erfahrungen machen sollte? Werde ich dann noch genügend Zeit und Energie haben, um mich jeden Tag um Instagram-Antworten zu kümmern? Ich kann das nicht versprechen, denn ich glaube, mit dem Alter muss man vorsichtiger und bedächtiger werden. Man setzt andere Prioritäten, findet andere Dinge erfüllend. Deshalb möchte ich mich nicht zwingen, mein Leben nach Regeln zu führen, die vielleicht gar nicht mehr auf mich zutreffen.»

Immer häufiger stellt Dunham ihren Erfolg in den Dienst von Anliegen, die sie für unterstützenswert hält. Das gilt vor allem für Hillary Clintons Kandidatur als US-Präsidentin. Im aktuellen Wahlkampf setzte sich Dunham dafür ein, junge Wähler, die bisher zu Senator Bernie Sanders aus Vermont tendierten, für Clinton zu gewinnen. Dabei ist ihr Engagement keine Genderfrage, wie Dunham betont. «Natürlich finde ich den Gedanken toll, dass wir zum ersten Mal eine Präsidentin bekommen könnten – nicht zuletzt, weil ich als Kind noch dachte, Frauen seien in der Politik verboten. Aber ich stimme nicht für Hillary, weil sie weiblich ist. Meine Unterstützung beruht darauf, dass ich sie für die fähigste Kandidatin halte. Ich teile ihre Überzeugungen und finde sowohl ihre bisherigen Errungenschaften als auch ihre Pläne für die Zukunft überzeugend. Davon abgesehen möchte ich ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit setzen. Ich engagiere mich nicht, damit die Leute für eine bestimmte Kandidatin stimmen. Ich engagiere mich, damit sie überhaupt zur Wahl gehen.» Ähnlich meinungsstark äussert sich Dunham zum Thema Feminismus. «Ich finde es schon fast amüsant, wie schnell man heute vergisst, dass der Feminismus eine politische Bewegung ist. Viele Menschen scheinen zu glauben, es gehe in erster Linie darum,anzuziehen, was man will, zu schlafen, mit wem man will, und sich nicht dafür rechtfertigen zu müssen. Natürlich stimmt auch das, aber vor allem geht es im Feminismus doch um Gleichberechtigung: um gleiche Löhne, Krankenversicherungen für Frauen, faire Familienplanung, das Recht auf Abtreibung, angemessene Bestrafungen bei häuslicher Gewalt und die richtige Fürsorge für die Opfer dieser Gewalt. Bei all diesen Angelegenheiten haben die USA weiterhin Nachholbedarf. Noch können wir uns nicht als Land bezeichnen, in dem Frauen auf dem gleichen Level stehen wie Männer und die gleichen Privilegien geniessen.»

Wie reagiert Dunham, wenn man «Girls» als Speerspitze eines neuen Feminismus bezeichnet? Sie lacht und sagt: «Man kann wirklich nicht behaupten, dass ‹Girls› den Feminismus zurück ins Gespräch gebracht hat. Ich denke aber, die Serie gehört zu einer Reihe von weiblich geprägten Fernsehformaten, die in den letzten Jahren grössere Aufmerksamkeit erregt haben. Und das ist natürlich wunderbar. Da ist eine gemeinsame Energie entstanden, eine Art positiver Rudeleffekt, der viele wichtige Debatten angeregt hat. Es freut mich, dass ‹Girls› ein Teil davon war.»

Was Dunham nicht fehlen wird, ist das schier unerschöpfliche Medieninteresse an ihrem Gewicht, ihrer Kleidergrösse und ihren Nacktszenen in «Girls», die immer wieder mit hinterhältiger Gehässigkeit kommentiert werden. «Seit viereinhalb Jahren höre ich dazu dieselben Fragen», seufzt sie. «Warum muss das sein? Schämst du dich denn nicht? Welcher tiefere Sinn steckt dahinter? Ich habe mich diesen Fragen gestellt und meinen Antworten nichts mehr hinzuzufügen. Sollten die Leute inzwischen nicht einfach daran gewöhnt sein, dass man mich als Hannah in ‹Girls› nackt sieht? Ich denke, das sollte niemanden mehr schockieren, selbst wenn ich keine klassische weibliche Hollywoodfigur habe. Wir alle haben unseren Körper mit seinen kleinen Eigenheiten. Wer etwas anderes behauptet, ist schlicht verrückt. Manchmal wünsche ich mir mit Blick auf die ganze Diskussion das Kino der Siebzigerjahre zurück. Damals gab es jede Menge beiläufiger Nacktszenen, und man hat einfach hingenommen, dass der menschliche Körper ein Teil des menschlichen Lebens ist.»

Bedenkt man Dunhams Frustration, verwundert es nicht, dass sie ihre Zukunft hinter der Kamera sieht. Derzeit entwickelt sie eine neue Serie für HBO: In ‹Max› soll es um eine junge Redaktorin gehen, die in den Sechzigerjahren «von der zweiten Welle des Feminismus erfasst» wird. Auch sonst fühlt sich Dunham vermehrt zu Drehbüchern und Regiearbeiten berufen. «Im Moment sprechen mich diese Aufgaben einfach eindringlicher an als die ewige Jagd nach der nächsten Rolle. Ich mag die Schauspielerei, aber ich weiss auch, dass es echte Profis auf diesem Gebiet gibt, mit denen ich nicht konkurrieren kann. Meinen Lebensunterhalt werde ich zunehmend auf der anderen Seite der Kamera verdienen – und dabei hoffentlich die Möglichkeit haben, mit den erwähnten Profis zusammenzuarbeiten.»

Sollte daraus nichts werden, bleibt Dunham noch das Leben als Schriftstellerin. «Damit hat alles angefangen», sagt sie, «und noch immer halte ich das Schreiben für eine hervorragende Ausdrucksform, einfach weil es so persönlich ist. Ich werde weiterhin an meinem Newsletter Lenny arbeiten, für den ‹New Yorker› schreiben und mich an Büchern versuchen.»

Ob Dunham dennoch mit Sorge auf die Zeit nach ‹Girls› blickt? Wieder muss sie lachen. «Das Gute an der Popkultur ist doch, dass sie unsere Aufmerksamkeitsspannen extrem verkürzt hat. Sechs Monate nachdem eine TV-Serie abgesetzt wurde, erkennt dich niemand mehr im Supermarkt. Davon bin ich fest überzeugt, und das finde ich auch gut so.»

• Lena Dunhams Newsletter: lennyletter.com