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Interview zum Drama «Schwesterlein»: «Wir hoffen, dass Corona nicht das Ende für das Kino bedeutet»

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Interview zum Drama «Schwesterlein»: «Wir hoffen, dass Corona nicht das Ende für das Kino bedeutet»

  • Text: Vanja Kadic
  • Fotos: Sophie Brasey, Vega Film AG

Mit ihrem neuen Film «Schwesterlein» stellen sich die Westschweizer Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond die Frage: Was wäre, wenn die Person, die mir am nächsten steht, stirbt? Mit annabelle sprachen die beiden über ihre enge Beziehung, die Schwesternschaft mit Schauspielerin Nina Hoss und die Angst vor dem Ende des Kinos.

Im Drama «Schwesterlein» kämpft die Theaterautorin Lisa (Nina Hoss) um ihren an Leukämie erkrankten Zwillingsbruder Sven (Lars Eidinger). Als sich Svens Zustand verschlechtert, macht sich Lisa auf den Weg nach Berlin – und holt ihren Bruder schliesslich zu sich und ihrer Familie in die Schweiz. Im waadtländer Bergdorf Leysi lebt sie mit ihren Kindern und ihrem Mann (Jens Albinus), der eine internationale Schule leitet. In der Schweiz soll Sven Kraft tanken, doch der Schauspieler fühlt sich eingeengt und will nur eines: Zurück auf die Berliner Schaubühne.

Wir haben mit den beiden Westschweizer Regisseurinnen Stéphanie Chuat (49) und Véronique Reymond (49) über das Drama, ihre gemeinsame Arbeit und ihre Beziehung, die auf dem Schulhof begann, gesprochen.

annabelle: In «Schwesterlein» entdeckt man einige Parallelen zu Ihrer persönlichen Geschichte: Sie sind ausgebildete Schauspielerinnen und kommen aus dem Theater, ausserdem verbindet Sie seit der Primarschule eine enge Beziehung. Wieviel von Ihnen steckt im Film?
Stéphanie Chuat: Es ist unser bisher persönlichster Film. Véronique und ich sind wie Schwestern. Sie ist meine beste Freundin und wir arbeiten auch noch zusammen. Wir stellen uns deshalb immer die Frage: Was wäre, wenn die Andere nicht mehr da wäre? Wir haben, wie die Zwillinge im Film, eine eigene gemeinsame Welt, eine Verbundenheit, die sehr besonders ist. Véronique und ich kennen uns, seit wir zehn Jahre alt sind. Wir sind wie Schwestern und sind kulturell zusammen aufgewachsen. Wenn sie weg wäre, würde dies den Tod unserer kreativen Welt und einer tiefen Verbindung bedeuten. Darum geht es auch stark im Film.

War Ihre persönliche Verbundenheit zueinander also die Inspiration für «Schwesterlein»?
Véronique Reymond: Ich würde sagen, ja. Stéphanies Mutter war sehr krank, während wir am Drehbuch schrieben. Stéphanie und die Art, wie sie mit ihrer Mutter umging, inspirierte mich beim Schreiben enorm. Stéphanie konnte damals nicht schreiben, weil sie sich so sehr um ihre Mutter kümmerte. Es nahm sie komplett ein. Das war ein Grund, warum wir über diese Beziehung sprechen wollten: Diese Verbundenheit zu jemandem, der an sein Ende kommt – und die Frage, wie man jemandem helfen kann, der stirbt. Das hauptsächliche Thema des Films ist aber die Beziehung von Stéphanie und mir, die wir seit Kindesbeinen an haben. Wenn ich etwas schreibe oder eine Idee habe, treibt mich der Enthusiasmus, das mit Stéphanie zu teilen und zu sehen, was sie daraus macht. Wir führen ein konstantes kreatives Gespräch. Wenn das aufhören würde, würde das etwas bedeuten, an das ich nicht mal denken möchte.

Mit Nina Hoss und Lars Eidinger besetzen zwei grossartige Schauspieler die Hauptrollen. Hoss trafen Sie zufällig an und fragten sie spontan, ob sie in Ihrem Film mitspielen will. Wie war das?
Stéphanie Chuat: Wir dachten beim Schreiben von «Schwesterlein» von Anfang an Nina Hoss. Dann sahen wir sie vor fünf Jahren zufällig in Berlin in einem kleinen Laden – und sprachen sie direkt auf die Rolle an.

Véronique Reymond: Wir waren so emotional, dass wir uns in dem Moment nicht mal mehr an ihren Namen erinnerten. Sie telefonierte gerade und wir warteten, bis sie aufgelegt hatte. Wir stellten uns ihr vor und sagten: Wir schreiben einen Film für Sie, haben Sie Zeit für einen Kaffee? (lacht) Wir gaben ihr unsere Telefonnummer und waren überwältigt. Wir dachten, dass die Idee für «Schwesterlein» zu kompliziert war, um sie umzusetzen. Als wir Nina Hoss trafen und sie sagte, dass sie den Film drehen will, fingen wir, an zu glauben, dass wir den Film tatsächlich machen können.

Wie hat Nina Hoss auf die Anfrage vor Ort reagiert?
Véronique Reymond: Ein paar Tage später verbrachten wir drei Stunden zusammen in einem Café. Es war eine künstlerische Liebe auf den ersten Blick. Wir hatten sofort eine starke Verbindung zueinander. Nach dem Meeting passten wir die Story an und integrierten diesen Zwillingsbruder und einen Theater-Background, da auch Nina Hoss, wie wir, aus dem Theater kommt. Lars Eidinger und Nina kannten sich schon lange, deshalb hatten sie so eine gute, nonverbale Verbindung und funktionieren im Film gut als Zwillingspaar.

Stéphanie Chuat: Mit Nina Hoss verbindet uns eine Schwesternschaft. Sie verfolgte die Entwicklung des Films und wir tauschten uns viel mit ihr aus.

Véronique Reymond: Es dauerte vier Jahre, bis wir endlich drehen konnten. Wir arbeiteten an anderen Projekten, ich verlor meinen Vater, Stéphanie verlor ihre Mutter. Doch Nina Hoss blieb. Während des Schreibprozesses trieb mich der Gedanke, dass sie das Drehbuch lesen wird, immer wieder an. Das war eine grosse Unterstützung.

Stéphanie Chuat: Es ist selten, dass man von Beginn an eine Schauspielerin fix an Bord hat. Nina bleibt Verpflichtungen, die sie eingeht, treu. Das ist eine grosse Qualität von ihr. Nur deshalb war der Film überhaupt möglich – Nina blieb dem Projekt treu, trotz allen Herausforderungen oder finanziellen Hürden. Sie glaubte an den Film, über den ganzen Prozess hinweg – das überzeugte schliesslich auch andere Leute. Da der gesamte Schreib- und Finanzierungsprozess sehr lange dauerte, dachte niemand, dass wir den Film wirklich umsetzen.

 

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Inwiefern beeinflusst Ihre enge Beziehung Ihre Zusammenarbeit? Steht Ihre Nähe der gemeinsamen Arbeit manchmal im Weg?
Stéphanie Chuat: Angespannte Momente gibt es im Schneideraum – einfach, weil wir einen Film gebären. Die Voraussetzungen sind oft fragil, wir haben beim Schneiden nicht viel Zeit. Wir haben manchmal verschiedene Ideen und intensive Momente, weil wir beide intensive Persönlichkeiten sind! (lacht) Wir probieren unzählige Möglichkeiten aus, bis wir fühlen, das die Szene da ist, dass der Rhythmus stimmt. An diesen Punkt zu gelangen, kann manchmal schwierig sein.

Véronique Reymond: Wir wollen das Gleiche – und wenn wir das erreichen, sind wir glücklich. Manchmal entschuldigen wir uns beieinander, weil wir in bestimmten heiklen Momenten beim Schnitt des Films angespannt waren. Im Gegenteil, während eines Drehs streiten wir am Set nie. Wenn wir über etwas reden müssen, machen wir das davor oder danach. Aber am Set sind wir zusammen und hören aufeinander. Wir wissen schnell, was funktioniert und was nicht – genau weil wir einander so gut kennen. Unsere Beziehung ist sehr kostbar, weil sie uns Kraft gibt in diesem Geschäft, das manchmal sehr hart sein kann. Es ist eher eine Stärke, als ein Nachteil.

Was meinen Sie?
Véronique Reymond: Der Beruf ist hart – vor allem für Frauen. Es tut mir leid, das zu sagen, aber es ist hart, auf Zeit in der Branche zu bestehen. Vielleicht würde ein Mann sagen, dass es für ihn genauso schwer ist. Aber ich habe das Gefühl, dass wir häufig mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen, als Männer. Das äussert sich auf sehr subtile Art. Klar, die Dinge ändern sich und wir machen Fortschritte, die Filmindustrie ist weniger Männerdominiert, als früher. Aber ich habe das Gefühl, dass Frauen mit ihren Projekten mehr überzeugen müssen und Männer es leichter haben.

Stéphanie Chuat: Es ist interessant, Nina Hoss sagte in einem Interview: Männer haben das Recht, zu versagen und haben kein Problem, einen neuen Film zu machen – Frauen nicht. Sie sagte, wenn Frauen mit einem Film versagen, dann ist es für sie schwieriger, den nächsten zu machen. Ich stimme Nina da zu.

«Schwesterlein» ist Ihr persönlichstes Projekt. Wie ist es, den Film, in dem so viel von Ihnen steckt, endlich auf der Leinwand zu sehen?
Véronique Reymond: Es war sehr emotional. Ich erinnere mich, als wir den Film Nina und Lars erstmals in einem leeren Kino in Berlin zeigten. Wir dachten während des ganzen Schneideprozesses an diesen Moment. Es war unglaublich. Sie sassen nebeneinander, Stéphanie und ich hinter ihnen.

Stéphanie Chuat: Wie zwei Zwillingspaare.

Véronique Reymond: Wir sahen uns den Film zu viert an und waren alle sehr bewegt. Nina und Lars umarmten sich lange, es war ein sehr starker Moment. Es fühlte sich sehr schön an, zu sehen, wie berührt diese Schauspieler waren.

Stellen Sie sich die Frage, was Sie ohne die Andere machen würden, eigentlich noch immer?
Stéphanie Chuat: Diese Frage stellten wir uns vor allem während des Schreibprozesses.

Véronique Reymond: Jetzt beschäftigt uns vor allem die Frage, wie die Zukunft für unseren Beruf aussieht.

Stéphanie Chuat: Wie sich die Pandemie auf unseren Beruf auswirkt, wird sich zeigen. Das Startdatum unseres Films wurde auf September verschoben, er hätte eigentlich bereits im April veröffentlicht werden sollen. Jetzt ist es noch zu früh, um sagen zu können, wie die Zukunft aussieht. Aber für die Filmindustrie ist die Situation extrem fragil.

Véronique Reymond: Wir hoffen, dass die Leute ins Kino gehen und sich den Film ansehen, dass die Leute den Sicherheitsmassnahmen vertrauen und sich im Kino sicher fühlen. Schon vor dem Coronavirus war es schwierig, die Leute ins Kino zu bringen, weil sie lieber zuhause bleiben und Netflix schauen. Wir hoffen, dass Corona nicht das Ende für das Kino bedeutet.

Stéphanie Chuat: Es gibt aber auch viele Menschen, die gerne wieder ins Kino und ins Theater gehen wollen, um gemeinsam Kunst zu erleben. Das macht Hoffnung.

«Schwesterlein» ist aktuell im Kino zu sehen.