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Ein Gespräch mit dem Schweizer Schauspieler Anatole Taubman

Leben

Ein Gespräch mit dem Schweizer Schauspieler Anatole Taubman

  • Text: Barbara Achermann; Foto: Mirjam Kluka

Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Der Schweizer Schauspieler Anatole Taubman. Seine persönliche Entwicklung habe aber nicht Schritt halten können, sagt er.

Mitten im Gespräch stimmt Anatole Taubman ein englisches Kinderlied an. «Kookaburra sits in the old gum tree.» Die Frauen am Nebentisch drehen sich um, die Kellnerin grinst. Ein singender Mann von 44 Jahren erregt selbst in einer Metropole wie Berlin Aufsehen. Taubman wird gern bemerkt, die Blicke der anderen wirken wie Doping. Er singt lauter. In seiner Exaltiertheit entspricht er dem Klischee eines Schauspielers, unterhaltsam, aber mitunter ganz schön anstrengend. Und dennoch wirkt er nicht wie ein Selbstdarsteller, sondern wie einer, der ungehemmt sein Inneres nach aussen kehrt. So spielt er auch seine Rollen, die Technik heisst Method Acting, da steckt immer viel vom Schauspieler selber drin. Der Übergang zwischen Privatmensch und Rolle ist fliessend.

Wir sitzen in einem Stammlokal von Taubman, dem Café Arleo in Berlin-Charlottenburg, zwei Häuser neben seiner Wohnung. Die gedämpfte Klaviermusik im Hintergrund wird ab und zu durch das laute Rattern eines Mixers übertönt. Taubman bestellt für sich zwei dickflüssige Getränke, einen Saft aus Früchten und Gemüse und einen sogenannten Matcha latte. «Kennen Sie nicht? Das glaube ich einfach nicht, Sie verarschen mich, das müssen Sie unbedingt probieren!» Er schiebt sein Glas über den Tisch. Taubman macht jedes Gegenüber zum Kumpel. Es heisst, auf dem Filmset verbrüdere er sich sowohl mit den Hilfskräften als auch mit den Stars. Er sei interessiert und hilfsbereit, erzählt eine Schweizer Schauspielerin, der er einst ein Coaching angeboten hat. «Wie eine Tischbombe», sagt die Moderedaktorin, die ihn einst bei einem Shooting für annabelle erlebt hat. «Extrem energiegeladen», findet der dänische Schauspieler Mads Mikkelsen, mit dem er mehr als ein Bier getrunken hat. «Er benimmt sich, wie wenn er auf Drogen wäre, obwohl er das nicht ist.» Das trifft es ziemlich gut.

Er könnte auch eine Diva sein, denn was den internationalen Erfolg angeht, ist Anatole Taubman die Schweizer Nummer eins. Gewisse Starallüren hat er schon, wenn man es genau nimmt, denn er fliegt keine Billig-Airlines, übernachtet nur in teuren Hotels, kommt häufig zu spät und stellt sich ohne sogenanntes Grooming (in seinem Fall Gesichts- und Haarpuder) vor keine Fotokamera. In über neunzig Filmen ist er aufgetreten, selten Hauptrollen, dafür häufig tragende Nebenparts, etwa in «Band of Brothers« «Mein Name ist Bach», «The Tudors», «Akte Grüninger». Im Schweizer Kinofilm «Marmorera» spielte er 2007 seine erste Hauptrolle, wirkte aber unglaubwürdig, weil er die Figur des Psychiaters überzeichnete. Auch als Bond-Bösewicht in «Quantum of Solace» überzeugte er nicht alle Kritiker, war aber wochenlang in den Medien. Besonders positiv aufgefallen ist er unlängst mit seiner Darstellung eines rebellischen Schwulen in «Der Kreis». Er spielt immer kantige Figuren, häufig Bad Guys, die zu seiner Physiognomie passen: ein schattiges Gesicht mit stechend grünen Augen, hoher Stirn und spitzen Wangenknochen, 1.84 m gross und drahtig. Heute trägt er Lederbänder um Hals und Arm, schlichte, aber hochwertige Kleider und eine Schirmmütze, die sein Haar verbirgt.

Taubman hat offensichtlich wenig Freude an seinem spärlichen Haarwuchs. Aber er geht offensiv damit um, schwärmt von der Perücke, die er für seine letzte grosse Rolle tragen durfte. «Big hair», ruft er und fuchtelt über seinem Kopf herum, «ich hätte sie am liebsten für immer behalten.» Taubman spielt einen Adligen am Hof des Sonnenkönigs Louis XIV. Die Serie heisst «Versailles», eine Riesenkiste, die voraussichtlich noch dieses Jahr weltweit ausgestrahlt wird, unter anderem entwickelt von Simon Mirren, Autor grosser amerikanischer Serien wie «Criminal Minds». Für Taubman ein Höhepunkt in seiner Karriere, spielt er doch eine der Hauptrollen, einen Adligen namens Montcourt.

Eine Krönung ist dieser Part für Taubman auch deshalb, weil Figuren in mehrteiligen Serien viel komplexer angelegt sind als in einem Neunzigminüter. Es sind Charaktere wie aus Goethes «Wilhelm Meister» oder Manns «Buddenbrooks», die sich im Lauf der Erzählung wandeln und entwickeln. Taubman hat ergänzend zum Drehbuch einen achtseitigen Lebenslauf über Montcourt geschrieben, um sich dessen Handlungen schlüssig zu erklären. «Er ist ein Melancholiker, kinderlos – das ist wichtig –, ein Witwer, der seine Frau über alles geliebt hat, der zwar schon mal ins Bordell geht, aber nur zum Opiumrauchen.» Um den höfischen Absolutismus zu verstehen, hat Taubman einen privaten Archivar angestellt, der ihm Fachartikel, Bildmaterial und alte Filme zusammentrug. Noch wichtiger für seine Recherche sei aber das ständige Beobachten von Menschen, eine Tätigkeit, der er besonders gern in einem Migros-Restaurant nachgehe: «Meine intellektuellen Fähigkeiten halten sich im Rahmen, aber die soziale und emotionale Intelligenz ist geschärft.»

Bereits in der zweiten Episode hat Taubman einen dramatischen Auftritt: «Ich werde vor versammeltem Hofstaat aufs Schlimmste blamiert, wortwörtlich ausgezogen und vor die Türen von Versailles geworfen.» Da ist sie wieder, die Rolle des Antagonisten, die so gut zu ihm passt. Auch deshalb, weil sie Teil seiner eigenen Geschichte ist. Taubman redet an diesem windigen Tag viel über seine Kindheit in der Schweiz, über die formativen Jahre, wie er sie nennt, eine traurige Zeit, die geprägt war durch «viel Chaos und wenig Geborgenheit». Mit fünf kam er in ein Kinderheim, später lebte er bei der überforderten Mutter und in einer Pflegefamilie. «Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich die Schule wechseln musste.» Taubman verstellt seine Stimme und mimt die Lehrerin, wie sie den kleinen Anatole vor die neue Klasse führt, fragt, neben wem er sitzen darf, und strafend in die Runde schaut, weil keiner aufstreckt. Seine extreme Schüchternheit verkehrte sich mit zehn Jahren ins Gegenteil, er wurde ein Problemschüler.

Als Jugendlicher klaute er Mofas und Schallplatten, flog vom Gymnasium und landete schliesslich im Internat in Einsiedeln. Er beugt sich weit über den Tisch und raunt, als erzähle er ein Geheimnis: «Die Klosterschule war meine Rettung.» Endlich Struktur und Sicherheit, er fand Freunde fürs Leben und im Schultheater seine Liebe zum Schauspiel. Nach der Matur, «Notenschnitt 5.17!», wollte er eigentlich «ein Jahr lang kiffen», aber dann vermittelte ihm ein Freund der Familie ein Praktikum in einem Sommertheater in New Hampshire. Taubman war Feuer und Flamme, die Laufbahn aufgegleist: Schauspielschule in New York, Aufträge als Model, erste Filmrollen. Vielleicht half die schwere Kindheit, den Ehrgeiz für eine internationale Karriere zu schärfen, die mit vielen Niederlagen einherging. Vielleicht ist das auch eine allzu simple Psychologisierung. Klar ist aber, dass Taubman früh lernen musste, für sich selber einzustehen: «Survival of the fittest war etwas vom Ersten, was mich das Leben lehrte.»

Die Entwicklung seiner Persönlichkeit habe dennoch nicht Schritt halten können mit seiner Karriere, sagt Taubman. Das Familienleben hat er nie richtig hingekriegt. Er bestellt jetzt Pasta, vegan und glutenfrei, pickt die Kapern raus, macht der Kellnerin Komplimente für ihre Lederhose und philosophiert über die Frauen in seinem Leben (aktuell Moderatorin Sara Hildebrand), die er alle Engel nennt. Mit 24 Jahren wurde er in Los Angeles zum ersten Mal Vater. Er sei damals noch nicht reif gewesen für diese Rolle, einmal in der Woche skype er mit der mittlerweile erwachsenen Tochter. Aus einer späteren Beziehung mit der Schauspielerin Claudia Michelsen hat er zwei weitere Töchter, die hundert Meter von ihm entfernt leben: «Ich sehe sie regelmässig.» Die Familie habe unter seiner Karriere gelitten, aber die Fehler seiner Eltern, nein, die wiederhole er nicht. «Ich kann es sowieso nur besser machen. Ich bin ein super Papa, oder sagen wir, ein guter.» Um andere lieben zu können, müsse man sich selber gern haben, und daran arbeite er. Taubman klingt wie ein amerikanisches Ratgeberbuch, wenn er seinen «persönlichen Heilungsplan in fünf Schritten» beschreibt: «Recognize, also das Problem erst mal erkennen, dann es annehmen, umarmen, vergeben – dir selber oder wem auch immer – und schliesslich change.» Während er spricht, klammert er sich am Fenstergriff fest, bemerkt, dass man das beobachtet hat, und analysiert sich gleich selber: «Spannend, dass ich das jetzt festhalte.»

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche habe vor gut vier Jahren begonnen, als seine demente Mutter in ein Seniorenheim im Kanton Schwyz zog. Er musste ihre Wohnung räumen und fand im Keller Schachteln voller alter Spielsachen, Zeichnungen und Bücher. Wegschauen war nicht mehr möglich, «es war wie ein Crashkurs in Vergangenheitsbewältigung und der Anfang meines Erwachsenwerdens». Er erinnerte sich wieder an die früheste Kindheit, in der Mutter und Vater nur Englisch mit ihm redeten. Und wird sich bewusst, dass er in ein Trauma hineingeboren wurde: Ausser einer Grossmutter wurde die gesamte jüdische Verwandtschaft seiner Eltern im Holocaust getötet. Mutter und Vater wollten die deutsche Muttersprache nicht mehr in den Mund nehmen. Zum Einschlafen deshalb «Kookaburra sits in the old gum tree» statt «Schlaf, Chindli, schlaf».

Anatole Taubman singt ein englisches Kinderlied, und alle drehen sich um. Letztlich treibt ihn wohl ein Bedürfnis an, das wir alle kennen und bei ihm einfach besonders offensichtlich zum Ausdruck kommt: das Bedürfnis, beachtet zu werden.

Der Schauspieler über …

— seine liebste TV-Serie als Jugendlicher: «Timm Thaler», «Jack Holborn», «Die rote Zora».
— seine liebste TV-Serie heute: «Breaking Bad», «The Killing» (dänisches Original), «Die Brücke».
— die schönste Fanpost: Vor vielen Jahren schrieb eine ältere Dame, eine Engländerin, wenn ich ein Parfum wäre, müsste ich Irresistible heissen – unwiderstehlich.
— Tote, denen er begegnen will: Papa und Mozart.

Taubman spielt in …
— «Versailles», TV-Historiendrama, das dieses Jahr weltweit ausgestrahlt werden soll

— «Luis Trenker», Fernsehfilm, 18. November, ARD

— «Operation Zucker», 26. November, SRF 1
— «Nussknacker und Mausekönig» im ARD-Weihnachtsprogramm