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Der Hass der weissen Frauen

Leben

Der Hass der weissen Frauen

  • Text: Frauke Steffens; Foto: Getty Images 

2016 wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt – auch dank der Tatsache, dass 53 Prozent der weissen Frauen für ihn stimmten, obwohl eine Frau seine Herausforderin war. Dass die Mehrheit der weissen Frauen nun ihre Richtung wechselt, ist alles andere als sicher, schreibt Journalistin Frauke Steffens.

«Was für eine Schlange, widerlich, sie macht mich krank!» Kim Cohen, eine Influencerin mit 125 000 Followern bei Instagram, postet meist über Make-up oder ferne Reiseziele, doch heute fotografiert sie die demokratische Kandidatin für die amerikanische Vizepräsidentschaft, Kamala Harris, von ihrem Bildschirm ab und legt ihr ein rotes X übers Gesicht.

«This woman is a freakin snake»: Diese Frau ist eine verdammte Schlange, sagt Influencerin Kim Cohen in ihrer Instastory über Kamala Harris. 

Verschwörungstheorie Rechter, dass Trump einen Kindervergewaltiger-Ring bekämpft

In ihrer Story beschimpft sie Harris, die gerade in Salt Lake City mit dem republikanischen Amtsinhaber Mike Pence diskutiert, aufs Übelste. Cohen ist eine von vielen Amerikanerinnen, die zwischen fluffigen Updates aus der Welt des Beauty-Kommerzes auch politische Botschaften unterbringen – nicht so selten Hass. Auch «Q» kommt bei ihr vor – das ist die abwegige Verschwörungsfantasie vieler Rechter in den USA. Sie glauben, dass Donald Trump im Weissen Haus einen Kindervergewaltiger-Ring bekämpft.

Cohen verkörpert eine oft übersehene Gruppe von Republikanerinnen: jung, hip, rechts. Die Partei mag demografisch immer mehr die Partei der weissen Männer werden – doch die Frauen könnten die Wahl für Trump entscheiden. Im Jahr 2016 holte Trump zwar nicht bei allen Frauen die Mehrheit, doch 53 Prozent der weissen Frauen stimmten für ihn. Insgesamt unterstützten ihn 41 Prozent aller Wählerinnen.

Das Wahljahr 2020 sei das Jahr der Frauen, verkündete die «Brookings Institution» kürzlich. Auf sie könnte es am Ende ankommen, meinen die Politikwissenschafter. Tatsächlich haben Frauen eine höhere Wahlbeteiligung als Männer – und die Loyalität der weissen Frauen zum Präsidenten scheint in manchen Umfragen zu wanken. Immerhin erklärten in einer Umfrage für den Radiosender NPR 66 Prozent der Frauen aus vorstädtischen Gebieten, sie missbilligten Trumps Arbeit. Und bei den Kongresswahlen 2018 stützten nicht mehr Trumps 53 Prozent, sondern 49 Prozent der weissen Frauen die Republikaner.

Trump will «Suburban Housewives» für sich gewinnen

Deswegen schauen seit geraumer Zeit alle Demoskopen besonders gespannt auf die weissen Frauen in den Vorstädten, die auch Trump als wichtige Gruppe erkannte. Den von ihm so bezeichneten «suburban housewives» versprach der Präsident bei Twitter unlängst, dass sie ihre «Lebensweise» fortführen könnten. Die «Hausfrauen» müssten, so Trump, keine Angst davor haben, dass zu viele Sozialwohnungen in ihrer Vorstadt gebaut würden.

Der Präsident hatte nämlich eine Regelung der Regierung von Barack Obama kassiert, wonach Gemeinden nachweisen mussten, was sie für die Umsetzung des «Fair Housing Act» von 1968 tun, wenn sie Fördermittel erhalten wollen. Damit ist der lokale Kampf gegen rassistische Diskriminierung am Wohnungsmarkt wieder eine weitgehend freiwillige Angelegenheit. Trump nimmt an, dies sei ganz im Sinne der konservativen weissen Frauen in den «suburbs».

 

Auch Frauen wählen nach ideologischen Präferenzen

Wer wissen will, ob das stimmt, kann mit einem der vielen Wissenschafter sprechen, die durch das Land reisen und Wähler in «focus groups» versammeln, um mehr über deren Beweggründe zu erfahren. Einer von ihnen ist der Politikwissenschafter David Elcott, der an der New York University (NYU) das politische Verhalten von religiösen Amerikanerinnen und Amerikanern erforscht.

Konservative Frauen stünden bei ihrer Wahlentscheidung zwischen mehreren, zum Teil konkurrierenden «Werten», sagt er. Einerseits wollten sie ihre Nachbarschaften vor tatsächlichen oder wahrgenommenen Gefahren «schützen». Andererseits seien vielen eben traditionelle Werte wie Respekt wichtig, die Trump nicht verkörpere.

Auch Frauen wählen nach ihren ideologischen Präferenzen – oder dem, was Elcott positiver als Werte bezeichnet. Und ein anderes Kriterium für die Entscheidung sind handfeste materielle Interessen. Auch Frauen sind bereit, für Steuernachlässe das hinzunehmen, was anderen als eine unerträgliche Entgleisung erscheint. Und auch Frauen sind Unternehmerinnen oder Managerinnen und setzen sich aktiv für laxere Umweltauflagen ein.

Trump-Regierung nahm bislang hundert Umweltschutzregelungen zurück

Nach einer Zählung der «New York Times» nahm die Trump-Regierung bislang hundert wesentliche Umweltschutzregelungen zurück, die etwa regeln, wie Unternehmen Wasserverschmutzung melden oder Emissionsgrenzwerte einhalten müssen. Das lässt sich häufig auf dem Verwaltungsweg ohne einen Kongressbeschluss machen.

Die «Werte», die diese Frauen verteidigen, sind auch nicht so selten rassistisch unterlegt. Mit dem Argument von «Sicherheit» und «Leistung» kämpfen Mütter von New York bis Jackson auch heute noch gegen Versuche von Schulbehörden, Schulen zu integrieren. «Sie drücken offen aus, dass sie diese Ressourcen horten. Dass sie verstehen, dass sich ihren Kindern Türen öffnen, wenn sie mit einer bestimmten sozialen Klasse zur Schule gehen», sagte Journalistin Hannah-Jones in einem Interview über ihre Erfahrungen mit solchen Müttern in Brooklyn.

Das Horten von Ressourcen sei der Schlüssel zum Verständnis von rassistischer und sozialer Segregation im Allgemeinen – und Frauen horten genauso wie Männer. Die «Black Lives Matter»-Bewegung der letzten Monate wird von einer Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner zwar befürwortet, und das könnte ein Indiz für einen Meinungswandel sein. Doch ob der auch bei den eigenen Entscheidungen, bei der Schulwahl etwa und in der Wahlkabine, zu Veränderungen führt, muss sich erst zeigen.

Änderung des Abtreibungsgesetzes wäre unbeliebt

Bei einem Thema wird häufig eine grosse Mobilisierungswirkung für Frauen angenommen: Das Recht auf einen sicheren und straflosen Schwangerschaftsabbruch könnte wieder zur Disposition stehen. Trump will noch vor der Wahl seine konservative Kandidatin Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der verstorbenen Richterin Ruth Bader Ginsburg am Obersten Gericht durchsetzen. Bei den Wählerinnen und Wählern wäre eine Änderung der Abtreibungsgesetze eher unbeliebt. Laut Umfragen wollen 58 Prozent von ihnen, dass Schwangerschaftsabbrüche in den meisten Fällen legal bleiben.

Auch ein Grund, warum manche Meinungsforscher einen politischen Umschwung bei den Frauen für möglich halten. Doch gerade religiöse Frauen könnte die Aussicht auf eine konservative Richterin auch umso mehr begeistern. Die Debatte um Abtreibung dreht sich indessen nicht nur darum, dass Abbrüche Teil der medizinischen Grundversorgung sind und sicher sein müssen. Besonders für Schwarze Amerikanerinnen, die mit über 90 Prozent die treueste Wählergruppe der Demokraten sind, geht es nicht nur um die «reproductive rights» der 1970er-Jahre, sondern um das weiter gefasste Konzept der «reproductive justice».

«Pro-Choice» reicht als Ziel nicht aus

Sie bedeutet nach der Definition der intersektionalen Feministinnen der Organisation «Sister Song» das «Menschenrecht auf körperliche Autonomie, das Recht, Kinder zu bekommen oder nicht zu bekommen, und die Kinder, die wir haben, in sicheren und nachhaltigen Gemeinschaften grosszuziehen». «Pro-Choice», also der Kampf für die freie Entscheidung, reicht demnach als Ziel nicht aus, da vielen Menschen schon die Grundvoraussetzungen für diese freie Wahl fehlen.

Besonders Schwangere, die nicht weiss sind, haben häufig weder Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen noch eine ausreichend gute medizinische Versorgung während Schwangerschaft und Geburt. Ob das Thema sich wirklich für einen politischen Schulterschluss der Frauen eignet, ist unklar. Wer ein gutes Einkommen hat, das wissen auch Trump-Wählerinnen, wird wohl stets eine sichere Abtreibung in New York oder Los Angeles kaufen können.

Weisse Mittelklasse blieb den Republikanern 2016 treu

Und Trumps weibliche Fans sind gar nicht so selten unter diesen gut situierten Frauen zu finden. Dass es vor allem der enttäuschte Arbeitslose oder die hoffnungslos verschuldete McDonald’s-Arbeiterin sei, die sich aus Protest für Trump entschieden haben, war 2016 eben nur ein Teil der Wahrheit – das zeigten auch die Zahlen. Das durchschnittliche Einkommensniveau seiner Wählerinnen und Wähler deutete darauf hin, dass die weisse Mittelklasse den Republikanern treu blieb – ganz zu schweigen von den obersten Vermögensgruppen.

Gut situiert bedeutet dabei in unterschiedlichen Gegenden etwas anderes – 60 000 Dollar im Jahr reichen in New York City für ein gutes WG-Zimmer, im ländlichen Georgia dagegen kann man damit ein kleines Haus unterhalten. Eine Studie der Northwestern und der Boston University zeigte: Die meisten Trump-Wählerinnen und -Wähler verdienten 2016 mehr als das nationale Haushalts- Durchschnittseinkommen  von 57 617 Dollar im Jahr – und besonders viele waren «regional reich».

Je mehr Menschen wählen, die nicht weiss sind, desto besser für die Demokraten

Diejenigen, die gemessen am nationalen Durchschnitt arm, aber am regionalen Durchschnitt reich waren, entschieden sich zu 65 Prozent für Trump. Auf einen «Swing» der weissen Frauen zu den Demokraten sollte man also nicht zu viel wetten, auch wenn es in manchen Bundesstaaten Anzeichen in diese Richtung gibt. Vielmehr verändern sich auch Vorstadt-Bezirke durch den Zuzug von Schwarzen und Latinas – ein Vorteil für die Demokraten.

Je mehr Menschen wählen, die nicht weiss sind, desto besser für die Partei. Linke weisse Feministinnen richten auf Social Media trotzdem besonders gern moralische Appelle an andere Weisse, statt sich gute politische Angebote für historisch benachteiligte Gruppen auszudenken: «White women, do better», heisst es dort: Weisse Frauen, macht es besser. Doch diese Aufforderung verkennt, dass es Millionen weisser Frauen gibt, die weder verwirrt noch von ihren Männern geknechtet oder anderweitig beeinträchtigt sind: Sie wollen es nicht «besser machen», denn sie sind ideologisch genauso bewusst Republikanerinnen – oder stehen diesen aus materiellen Gründen nah, wie viele Männer das tun.