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Liebe Flavia Kleiner

Leben

Liebe Flavia Kleiner

  • Text: Leandra Nef; Foto: Keystone/Alessandro Della Valle

Vielleicht verdanke ich dir meine Stelle bei annabelle. Ein bisschen.

Bei meinem Vorstellungsgespräch im Frühjahr 2016 wurde ich gefragt, wen ich unbedingt mal porträtieren möchte. «Flavia Kleiner», war meine Antwort. Und ich glaube, meinem damaligen Vorgesetzten gefiel die Antwort. Jedenfalls bin ich heute hier, bei annabelle, und widme dir unser allwöchentliches Kompliment.

Damals, im Frühjahr 2016, warst du Mitte 20, so alt wie ich heute, und beide standen wir auf ganz eigene Weise an einem wichtigen Punkt in unserem Leben. Ich wegen der Anstellung, du, weil du gerade damit beschäftigt warst, die SVP, die «Radaubrüder», wie du sie nennst, das Fürchten zu lehren. Die Operation Libero, deren Mitbegründerin und Co-Präsidentin du bist, war treibende Kraft gegen die Durchsetzungsinitiative der SVP, die das Schweizer Stimmvolk Ende Februar 2016 abgelehnt hatte. Ein Entscheid historischen Ausmasses, wie Experten befanden – nach der Stärkung der SVP bei den Wahlen ein paar Monate zuvor hatten die wenigsten mit einer Ablehnung der Initiative gerechnet. Weil sie nicht mit euch gerechnet hatten. Tatsächlich war das neu: Operation Libero, ein überparteilicher Zusammenschluss ziviler Einzelpersonen, ein Verein, der als Reaktion auf das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative gegründet worden war, von Mitgliedern, die ihre Zukunft verteidigen wollten und für eine «weltoffene, liberale, moderne und international vernetzte Schweiz» einstehen, wie es auf der Website heisst. Für einmal waren es nicht Parteien und Verbände, die die Massen mobilisierten, sondern engagierte Studierende wie du. Es war der Anfang einer anhaltenden Erfolgsgeschichte. Ihr habt euch inzwischen siegreich gegen mehrere eidgenössische Volksinitiativen stark gemacht, setzt euch unter anderem für die Ehe für alle ein und habt die Bewegung «Helvetia ruft!» mitlanciert, die mit den Wahlen im Oktober über Parteigrenzen hinweg mehr Frauen ins Schweizer Parlament bringen möchte – ein bedeutsames Ziel, dem in der Vergangenheit viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Dank «Helvetia ruft!» durften auch wir uns kennenlernen: Anfang Jahr, als das Kampagnenvideo der Bewegung im annabelle-Fotostudio gedreht wurde. Mit bekannten Persönlichkeiten ist das ja immer so eine Sache. Wir sehen sie in der «Tagesschau», lesen in den Zeitungen und Zeitschriften über sie, machen uns ein Bild. Meins von dir war: Flavia Kleiner ist sicher in ihrem Auftreten, klar in ihrer Meinung, präzis in der Argumentation, bestimmt in der Debatte. Immer höflich. Clever. Und sympathisch. Das alles stand auf dem Prüfstand, als wir uns zum ersten Mal persönlich gegenüberstanden. Und wie immer in solchen Situationen gibt es drei mögliche Ausgänge. Erstens: Enttäuschung darüber, dass eine Person, die man sympathisch fand, die in der Öffentlichkeit ein entsprechendes Image geniesst, leider so gar nicht mit diesem Bild mithalten kann. Zweitens: Vorstellung und Realität stimmen überein. Drittens: Die Person beeindruckt live noch mehr als im Fernsehen oder auf Zeitungspapier, unterstreicht ihr Image mit jedem Wort, jeder Geste. Du bist Drittens. Und der lebende Beweis dafür, dass frau mit Tatendrang, Know-how, unermüdlichem Einsatz und Teamgeist auch unmöglich Geglaubtes erreichen kann. Dass jede etwas tun kann für eine bessere, für unsere Zukunft. Gerade hier, in der direktdemokratischen Schweiz. Und dass, mag unser Land auch noch so klein sein, Stimmen wie deine international gehört werden. Du zählst heute zu den politisch einflussreichsten Persönlichkeiten Europas, wurdest von der Obama Foundation letztes Jahr höchstpersönlich dazu eingeladen, mit einer Gruppe zivilgesellschaftlich engagierter Menschen und dem früheren US-Präsidenten über aktuelle Herausforderungen zu diskutieren. Das macht Mut und lässt hoffen in einer Zeit, in der zu viele Zeiger auf Abschottung und Intoleranz stehen. Danke für dieses Engagement, Flavia!

Und wegen des Porträts, das ich damals beim Vorstellungsgespräch angedacht hatte: Was nicht ist, wird hoffentlich noch werden. Wir hören uns.

Herzlich
Leandra