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Meine Meinung: Der Frauenanteil im neuen Nationalrat

Leben

Meine Meinung: Der Frauenanteil im neuen Nationalrat

  • Text: Regula Stämpfli; Foto: Annette Bouteiller/Lunax; Bearbeitung: annabelle

Die Berner Politologin Regula Stämpfli kann die Euphorie der Medien nicht teilen. Diese jubelten nach den Wahlen über den hohen Frauenanteil im neuen Nationalrat.

Am Montag nach den Wahlen las ich folgende Schlagzeile: «Rekordhoher Anteil von Frauen im Nationalrat».

Was ist denn da passiert? Ganz einfach: Im neuen Nationalrat sind läppische 32 Prozent Frauen, das sind zwei Frauen mehr als vor der Wahl. Ich weiss nicht, wie Sie es halten, aber deshalb grad «Frauenhoch» zu jubeln, erscheint mir doch etwas übertrieben. Zugegeben, Bern, Zürich, Basel und Luzern punkten mit hohen Frauenprozentanteilen. Stadtluft macht frei, das hat sich seit dem Mittelalter nicht wirklich geändert, womit wir gleich bei zwei unterschiedlichen «Schweizen» angekommen wären: Stadt und Land präsentieren sich punkto Frauen wie Kanada und Saudiarabien.

Zürich stellt die meisten Frauen: 14 Menschen mit Menstruationshintergrund (sie machen 40 Prozent der Delegation aus). Der SVP-Erfolg schwemmte zudem nach jahrzehntelanger Fast-Abwesenheit von Frauen erstmals drei neue Frauen in die grosse Kammer: Prädikat «erstaunlich». Deswegen lässt sich aber nicht automatisch auf eine emanzipierte Partei schliessen: Von 65 Köpfen sind nur 11 regelmässig beim Coiffeur. Unter diesen 11 befinden sich Figuren wie die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog, welche Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss auch schon mit «Klump-Fuss» verunglimpft hat.

So viel zur Frauensolidarität in der SVP. Die liegt schon traditionell eher bei der SP. Sie ist auch die einzige Partei, die mehr Frauen als Männer nach Bern schickt und es mit der SVP punkto Wählerstärke aufnehmen kann. Also gilt auch für die neue Legislatur das Diktum: linke Frauen gegen rechte Männer. Sie dürfen schon jetzt dreimal raten, wer langfristig diesen Kampf gewinnt, zumal auch die Elefantenrunde am TV zeigte: Frauen sind in den obersten Parteikadern so häufig wie Smarties auf einem Falafel. Die Schlagzeile «Noch nie war der Nationalrat so weiblich» ist also völlig übertrieben. Oder würde ein Männerzuwachs von zwei Anzügen in einem Verein auch die Schlagzeile «Noch nie war der Vorstand so männlich» provozieren?

Was mich zu grundsätzlichen Überlegungen bringt. Ständig ist von «die» Frauen die Rede. Dabei gibt es sie nirgendwo und nirgends. Nehmen wir etwa Magdalena Martullo-Blocher (SVP) und Sibel Arslan (Basta). Diese zwei Frauen zeigen, wie unsinnig es ist, von einer «Verweiblichung des Parlaments» zu sprechen. Denn sie teilen sich keine, im Vermesserjargon, «übliche Kategorie». Punkto Sozialisation, Alter, Beruf, Bildung, Einkommen, Familie und so könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Trotzdem spukt medial gesehen die undifferenzierte Einteilung in Biologie statt in Themen besorgniserregend weiter. Es käme wohl kaum einem Journalisten in den Sinn, Roger Köppel (SVP) und Tim Guldimann (SP) unter der Rubrik «Neue Männer» zu einem gemeinsamen Interview zu laden und mit der Frage einzusteigen: «Wie ist es eigentlich so als neuer Mann im Nationalrat?»

Die Wahlen 2015 sind noch nicht ganz vorbei. Beim zweiten Wahlgang für den Ständerat könnte es theoretisch dazu kommen, dass zwei Nationalrätinnen gewählt werden, für die dann wiederum zwei Männer nachrutschen. Und schwups, schon wären wir im Nationalrat punkto Frauenanteil wieder zurück auf Feld eins.

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