Werbung
«Ich war Spielerfrau»

Stil

«Ich war Spielerfrau»

  • Text: Silvia Binggeli; Foto: Cathleen Wolf

Wie alles begann: annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli über ihre Leidenschaft für Eishockey.

Eiskalte Zehen, klamme Finger und eine heisere Stimme.  Das sind meine ersten Erinnerungen. Wir mussten für die Heimspiele unseres Clubs rund fünfzig Kilometer weit pilgern. Der EHC Schwarzenburg, der Eishockeyclub der Region, verfügte damals noch über kein eigenes Eisfeld. Die Spieler fuhren selber für die Trainings nach Lyss, mehrmals wöchentlich eine Dreiviertelstunde mit dem Auto – alles für die Leidenschaft rund um den Puck.

Eishockey wird schnell ein grosses Thema, wenn der eigene Freund, der erste, ein Hockeyspieler ist. Ich war zarte Sechzehn und verliebt. Er, Nummer 8, Stürmer, schoss ambitioniert Tore; ich trug nach den Spielen stolz seinen Stock zum Auto. Und lebte damit, dass die Ausrüstung nach dem Einsatz zu Hause beim Ein- und Auspacken bestialisch stank. Die Schoner, die Handschuhe, die Hosen, der Helm. Interesse an einem Mannschaftssport kommt mit Schmetterlingen im Bauch – und wächst, wenn man die Regeln kennenlernt.

Ich war Spielerfrau. Aber mit der Zeit schrie ich von der Tribüne nicht mehr nur belanglosen Stimmungsfloskeln Richtung Herzblatt. Sondern wetterte beherzt gegen die Schiedsrichter, wenn diese «Trottel» –  aber hallo, völlig klar! – fälschlicherweise ein Offside pfiffen und damit einen Angriff meines Teams verunmöglichten. «Hey Schiri, spinnsch, hesch Tomate uf de Ouge!»

Mein Heimclub spielte nur in der dritten Liga. Meinen Elan bremste das nicht. Das Schöne am Eishockey ist die anhaltende Spannung. Im Fussball (pardon an alle Fans; ich gebe zu, ich kenne die Regeln kaum und bin wohl auch deshalb verhalten begeistert), aber im Fussball kommt es nicht selten vor, dass die Fans neunzig Minuten lang einem müden Ballgeschiebe zuschauen müssen. Dabei schlafen mir die Füsse ein. Im Eishockey kann sich das Resultat hingegen bis ganz zum Schluss innert Sekunden noch komplett verändern. Das glauben Sie nicht? Derzeit laufen die Playoffs, Höhepunkt der Saison, bei dem die besten Mannschaften um den Schweizer Meistertitel kämpfen. Letzte Woche beim entscheidenden Qualifikationsspiel zum Halbfinal lag der Schlittschuhclub Bern (mein Club, dessen rot-schwarz-gelber Wimpel bei mir prominent im Büro hängt), der SCB lag also 2:0 gegen Genf Servette vorn. In der letzten Minute, innerhalb von sechzig Sekunden (!) also, das muss man sich mal vorstellen, glich der Gegner aus. Ich hätte fast eine Zimmerpflanze mit der Fernbedienung beworfen. Das Spiel dauerte danach weitere drei Verlängerungen bis morgens um Eins endlich der erlösende Siegestreffer fiel, zum Glück für meine Mannschaft.

Ich halte nichts davon, zu viel Symbolik in etwas zu interpretieren. Aber beim Eishockey ist es so: Wenn Chancen nicht verwertet werden, legt der Gegner vor. Das nächste Tor muss mit gekonnten Paraden, präzisem Zusammenspiel und kompromisslosem Einsatz wieder erarbeitet werden. Dieses vorwärtsgerichtete Prinzip, das wenig Zeit zum Zaudern lässt, gefällt mir tatsächlich nicht nur im Stadion.

Später, als junge Journalistin, hatte ich das Glück, den Sport nochmals besser verstehen zu lernen, in Interviews mit ein paar der talentiertesten und erfolgreichsten Spielern: David Aebischer etwa, ehemals Goalie bei Fribourg Gottéron, der mit jungen 19 Jahren in die amerikanischen Eishockey-Liga NHL wechselte, umschrieb seine Position so: «Als Goalie stehst du immer im Rampenlicht, entweder bist du Held oder Verlierer.» Michel Riesen wiederum, ebenfalls sehr jung, mit 18 vom kanadischen Team der Edmonton Oilers gedraftet, erklärte: «Ich möchte im Stadion vor 10000 Fans heiraten.» Hat er dann zwar nicht, soweit ich weiss. Aber ich habe zu Hause immer noch ein Autogramm von ihm. Um mit Renato Tosio einen Gesprächstermin zu ergattern, kämpfte ich mich durch johlende Fans auf dem Eis, kurz nachdem der SCB Schweizer Meister geworden war. Tags darauf verriet Tosio daheim (wahrscheinlich mit Kater), dass er im Tor manchmal leise bete.

Slawa Bykow, der wohl berühmteste Spieler, den ich persönlich kennenlernte, vierfacher Eishockey-Weltmeister mit Russland und später Stürmer bei Fribourg Gottéron, kämpfte beim Treffen mit einer Schulterverletzung. Er war 37 und sagte: «Ich weine nachts, wenn ich ans Aufhören denke.» Am nachhaltigsten beeindruckt hat mich die Begegnung mit Pat Schafhauser: Vier Jahre zuvor war der ursprünglich aus den USA stammende, ehemalige Verteidiger beim HC Lugano während eines Meisterschaftsspiels in die Bande geknallt – und gelähmt liegen geblieben. Mit gerade mal 24 Lebensjahren, die er vorwiegend der Bewegung gewidmet hatte. Er habe sich damit abgefunden, nie mehr Gehen zu können, sagte Pat Schafhauser. «Aber ich wünsche mir, irgendwann wieder aufstehen zu können und meinem Gegenüber in die Augen zu sehen, wenn ich ihm die Hand reiche.»

Eishockey ist ein schnelles Spiel, ein entschlossenes, ein dynamisches. Aber es ist auch ein rauer Sport, ein körperbetonter und zuweilen aggressiver. Vielleicht fragen mich deshalb die Kolleginnen erstaunt: Waaas, du und Eishockey? Unter johlenden Fans, die biertrunken Männer beklatschen, die sich ganz archaisch zu den Playoffs Bärte wachsen lassen und nach den Spielen mit ihren Zahnlücken in die Kamera strahlen? Ja, antworte ich dann entschlossen – auf diese für mich viel zu enge Betrachtungsweise. Und sage: Es begann mit eiskalten Zehen, klammen Fingern und heiserer Stimme.

 

In der aktuellen annabelle am Kiosk: Sportlich verspielte Frühlingsmode im Eishockeystadion der SCL Tigers – die Schweizer Meister der Herzen.

Werbung

1.

Früh übt sich: Als junge Frau erwachte Silvia Binggelis Leidenschaft für Hockey