Frauen auf Motorrädern haben selten mehr zu bieten, als sie anhaben – und das ist in den allermeisten Fällen wenig bis nichts. Es gibt Biker. Harte Jungs. Cool und authentisch. Und es gibt Bikergirls. Oder Bikerbabes. Allenfalls noch Bikerladies. Aber selbst Letztere schmiegen sich meist devot über einen Benzintank und lecken am Lenker. Frauen auf Motorrädern sind wie die Kirsche auf der Glace: reine Dekoration. Nein, wer Suchmaschinen bemüht, findet bildmässig wenig, was Frauen, die auch angezogen ein gewisses Mass an Selbstwertgefühl verspüren, auf Motorräder abfahren lässt. Posen und Perspektiven zeigen, wo der Fokus liegt: Arsch und Titten. Kopf? Kirsche!
Gleichwohl gibt es ein paar unentwegte Frauen, die allen Klischees und testosteronbefeuerten Rockerdünkel zum Trotz Motorrad fahren. Ehrlich. Selbstbewusst. Und in ihrer Leidenschaft durchaus auch sinnlich. Auffallend jedoch ist, dass bei Frauen die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen der Infektion mit dem Töffvirus und dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit, oft Jahrzehnte beträgt. Als müsste Frau erst ein paar Jährchen reifen, bis sie sich an die Maschinen und in die vermeintliche Männerbastion traut. Nun, da ist sicherlich Mann schuld («Kannst du nicht»). Aber oft auch Frau selbst («Kannst du nicht»).
«Viele Frauen stehen sich selbst im Weg», sagt Gret Stirnimann. «Ich habe eine Freundin, die besitzt seit Jahren ein tolles altes Motorrad, aber sie traut sich nicht, den Motor anzukicken, aus Furcht, er schlage zurück.» Um ihr die Angst davor zu nehmen, trat sie den Töff vor den Augen ihrer Freundin schon in Flipflops an. Es half nichts. «Frauen grübeln einfach zu viel, lassen sich zu schnell verunsichern», sagt sie – und nimmt sich selber gar nicht aus davon. Mit 18 hat Gret Stirnimann die Motorradprüfung gemacht, wollte eine BSA fahren. Unbedingt. Also fragte sie in einer Werkstatt im Nachbardorf, einem Spezialisten für solche alte englische Motorräder, ob sie dort während der Sommerferien ein Praktikum machen dürfe, um sich fit zu trimmen für so eine alte Lady. Schlechte Idee, befand ein Mechaniker und riet: «Mädel, kauf dir eine pflegeleichte Japanerin.» Gret Stirnimann zog den Kopf ein – kaufte sich stattdessen eine BSA-Gürtelschnalle. Sie musste 42 Jahre alt werden, bis sie sich ihren Traum endlich erfüllte. Keinen Monat später, sie war noch kaum 10 Kilometer gefahren, meldete sie sich mit ihrer BSA B33, Jahrgang 1953 («Einzylinder-Stampfmotor!»), spontan an für ihr erstes Klassiker-Rennen – «und wurde nicht mal Letzte!» Und der Töffmech, der ihr damals den Kauf einer BSA ausgeredet hatte? Der ist heute ihr Mann («Er bestreitet es zwar, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dieser Typ war») – und ihr grösster Fan.
Auch Sabine Holbrook, die wohl schnellste Motorradfahrerin der Schweiz, konnte nichts ausser «ordentlich Velo fahren», als sie mit knapp 30 Jahren die Motorradprüfung absolvierte. Heute, mit 35, fährt sie halbprofimässig Superbike-Rennen mit Spitzengeschwindigkeit um die 285 km/h. In ihrer Rennserie, der FIM Alpe Adria Road Racing Championship, ist die zweifache Mutter eine von lediglich drei Frauen unter 250(!) Männern. Wie Gret Stirnimann hat auch Sabine Holbrook ihren Mann an einem Töffrennen kennen gelernt. Als sie ihr Motorrad bei einem Sturz zusammengelegt hatte, war er der einzige Konkurrent, der sie nicht nur dumm anmachte, von wegen Frau und Rennen fahren und so, sondern ihr mit dem Spruch «Mädchen, das mache ich genau einmal» seine Hilfe anbot und Holbrook mit ihrem Töff und viel Klebband zurück auf die Rennpiste brachte. «Das habe ich ihm nie vergessen.»
Rein äusserlich entspricht Sabine Holbrook dem Bikergirl, wie sie die Männerwelt gern sieht: blond, schlank, lange Beine. Allerdings nur von vorn. Von hinten – zumindest auf der Rennstrecke – sieht Mann sie weniger gern. Wie oft hat sie es schon erlebt, dass Konkurrenten beim Anbremsen auf eine Kurve an ihr vorbei und ins Kraut schossen, nur um nicht von ihr, einer Frau, überholt zu werden. Das Phänomen kennen Frauen sonst nur vom Velofahren am Berg; Mann muss einfach überholen, auch wenns ihn oben fast das Leben kostet – «scheint so ein männliches Ehrending zu sein», meint Holbrook schmunzelnd. «Doch auf der Rennstrecke ist das nicht nur idiotisch, sondern vor allem auch saugefährlich.»
Auf der Landstrasse jedoch, am Rotlicht zum Beispiel, wenn Mann neben Frau röhrend die PS-Prothese bemüht, hat das Imponiergehabe «durchaus was Süsses», findet zumindest Lisa Looser. Man müsse als Motorradfahrerin schliesslich auch ein wenig Verständnis haben fürs bedrängte starke Geschlecht, meint sie augenzwinkernd: «Jetzt fahreds au no Töff, die huere Fraue.»
Lisa Looser fährt eine Harley-Davidson, eine Sportster aus dem Jahr 1993. Vor drei Jahren hatte ihr Vater zu ihr gemeint: «Irgendjemand muss meine Harley mal erben – und das bist du!» Und so machte sie, damals 31-jährig, die Prüfung. Seither ist Motorrad fahren ihre grosse Liebe. Und die teilt sie am liebsten mit ihren Freundinnen Eva und Roberta. «Wir sind stundenlang unterwegs, reden kein Wort miteinander, jede singt allein vor sich hin. Aber wenn wir den Helm abziehen, haben alle drei ein riesiges Grinsen im Gesicht.» – Und ab und zu, nach einem Abstecher in eine Töffbeiz, klebt das Post-it-Zettelchen eines unbekannten Fans auf dem Tank: «Lust auf eine Ausfahrt, Mädels?» Auch für derlei Avancen haben die drei natürlich ein Lächeln übrig, ein eher müdes allerdings. «Na ja», relativiert Lisa und schmunzelt, «meistens jedenfalls …»