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Wie ist es eigentlich, eine Scheinehe zu bereuen?

Body & Soul

Wie ist es eigentlich, eine Scheinehe zu bereuen?

  • Aufgezeichnet von Sara Keller; Bild: Getty Images

Sandra Hernandez * (24), Service-Fachkraft

Ich war 19, als ich Dawdi * kennen lernte. Er war mit meinem Ex befreundet, beides Afrikaner. Dawdi lebte damals seit zehn Jahren illegal in der Schweiz. Irgendwann halfen wir beide beim Umzug von Bekannten. Dabei erzählte er mir, dass er seit seiner Ankunft in der Schweiz noch nie Zug gefahren war. Er hatte zu grosse Angst vor einer Polizeikontrolle. Dass sie ihn erwischen, ausweisen könnten.

Ich hatte damals seit vier Jahren ein GA. Ich hielt es für unmöglich, dass man in der Schweiz, ohne Zug zu fahren, überleben kann. Und Dawdi konnte ausser Zug fahren noch ganz andere Sachen nicht machen. Seine Mutter besuchen zum Beispiel. Oder in ein Einkaufscenter gehen. Seine afrikanischen Kollegen in der Schweiz mussten ihm Kleider und das ganze Essen schenken. Er war vollständig von seinem Freundeskreis abhängig.

Es machte mich wütend, wie wertlos ein Mensch ohne Papiere hierzulande ist. Es machte mich so wütend, dass ich beschloss, Dawdi zu heiraten. Einfach so. Heiraten war für mich, eine Unterschrift auf ein Papier zu setzen, mehr nicht. Aber ihm ermöglichte meine Unterschrift ein normales Leben. Nach zehn Jahren in der Schweiz konnte er endlich seine neue Heimat entdecken. Dawdi traute sich zum ersten Mal in den Zürcher Hauptbahnhof. Er konnte gar nicht glauben, dass man auch unter der Erdoberfläche einkaufen kann.

Für mich war nach der Hochzeit zuerst alles wie davor. Ich führte mein Leben, Dawdi hatte seines. Ich blieb in meiner Wohnung, er in seiner WG. Ich arbeitete im Service, Dawdi fing an zu putzen. Ab und zu trafen wir uns und gingen zusammen in den Ausgang. Manchmal rief Dawdi an, ob Post für ihn gekommen sei. Dann holte er sie ab. Wir waren Freunde. Mehr nicht.

Dass die Scheinehe auch für mich mehr als nur eine Unterschrift war, wurde mir erst bewusst, als ich für mehrere Monate allein nach Amsterdam reiste. Ich verliebte mich dort in einen Jamaicaner, der mit mir in die Schweiz ziehen wollte. Alles schien perfekt. Ausser dass er für die Schweiz keine Aufenthaltsbewilligung hatte. Plötzlich war da also in meinem Leben ein Mann, den ich liebte, aber dem ich nicht helfen konnte, weil ich schon einen Mann hatte, der eigentlich gar nicht mein Mann war.

Ich kehrte nach Zürich zurück, allein und frustriert. Mein Job vor Amsterdam war befristet gewesen, eine neue Stelle fand ich nicht. Ich hatte kein Geld mehr, auch keine Wohnung. Dawdi fühlte sich für mich verantwortlich. Ich zog zu ihm in die WG. Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, mich zu ärgern, dass ich Dawdi gratis geheiratet hatte. Ich kenne Sans-Papiers, die für eine Scheinehe 30 000 Franken bezahlen mussten. Wenn ich auch Geld verlangt hätte, wäre davon sicher noch etwas auf meinem Konto gewesen.

Aber so war ich plötzlich von Dawdi abhängig, musste ihn um Geld für eine Winterjacke bitten. Aufs Sozialamt konnte ich nicht, weil das als Ehefrau nur in Begleitung des Mannes möglich ist. Und Dawdi wollte keine Sozialhilfe beziehen. Das würde es für ihn schwieriger machen, einen C-Ausweis zu erlangen. Zurück nach Amsterdam konnte ich auch nicht mehr. Ein zweiter langer Aufenthalt im Ausland hätte die Behörden auf unseren Ehebetrug aufmerksam machen können.

Nach drei Jahren So-tun-als-ob hatte ich genug. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte wieder frei sein, nur an mich denken und nicht auch daran, was mein Leben für Auswirkungen für Dawdi haben könnte. Ich wollte auch nicht mehr lügen, wenn ich ein Formular ausfüllen sollte und dort nach dem Zivilstand gefragt wurde.

Wir diskutierten lange, ob wir uns trennen sollen oder nicht. Er sagte, ich hätte so viel für ihn gemacht, er würde lieber zurück nach Afrika gehen, als sich mit mir zu streiten.

Im Herbst letzten Jahres wurde ich von meinem heutigen Freund schwanger. Dawdi hat mit diesem Kind nichts zu tun. Wir reichten die Scheidung ein. Gemeinsam fuhren wir zum Friedensrichter, gemeinsam fuhren wir zurück als Freunde, die wir unabhängig von irgendeiner Unterschrift immer waren.

* Namen geändert