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Für immer zusammen: Das Geheimnis der ewigen Liebe

Liebe & Sex 

Für immer zusammen: Das Geheimnis der ewigen Liebe

  • Text: Stephanie Hess; Fotos: Karin Heer

Ein Leben lang verliebt, wie geht das? Stephanie Hess und ihr Freund Jan fragen zwei, die das Geheimnis kennen. Ein intimes Gespräch.

Es gab nicht diesen einen Moment. Die Überzeugung, sie hat sich in den letzten acht Jahren vielmehr leise in unsere Beziehung geschlichen. Dass wir zusammenbleiben wollen, Jan und ich. Für jetzt. Und vielleicht für immer. Trotzdem schwebt die grosse Frage über uns: Wie um Himmels willen soll das gehen, ein Paar zu sein bis ans Lebensende? Jetzt sind unsere Beine noch leicht, die Liebe ist zwar erprobt, aber noch unverbraucht. Liebe Level 1, vielleicht auch Level 2. Aber die richtig fordernden Level stehen uns noch bevor: all die Jahre mit den Kindern, mit der drohenden Routine und des Zusammen-alt-Werdens.

Wie bewahren wir da die Liebe, auf dass sie nicht zusammenschrumpft zu einem kleinen steinharten Klumpen? Ausgesaugt vom Alltag und seinen Liebestötern, den verschiedenen Toilettengeräuschen, dem Babygeschrei morgens um drei, dem rasselnden Atmen nebenan im Bett, dem Zehennägelschneiden auf dem Badewannenrand.

Christiane und Josef Eberhardt, die wir über Pro Senectute gefunden haben, sind seit 55 Jahren verheiratet – und bis heute glücklich miteinander. Sagen sie. Und wir glauben es ihnen. Jan und ich treffen sie an einem Samstagnachmittag in ihrer Wohnung in einem Block mit brauner Fassade in Neuhausen am Rheinfall. Polierte Holzmöbel auf Parkett, Orientteppiche in dunklen Farben darüber verteilt. An den Wänden dünne Porzellanteller mit feinen Zeichnungen, gemalt von Christiane Eberhardt. Lange Jahre führte sie ein Porzellangeschäft in Schaffhausen, ihr Mann Josef arbeitete als Monteur. Wochenweise in der Türkei, im Irak, in Südafrika. Ursprünglich kommt er aus Frankfurt, sie aus Wien. Er ist 80, sie 76.

Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen uns vier. Sofort ist eine Vertrautheit da, und wir sind ganz schnell beim Du.

STEPHANIE: Christiane und Josef, ihr habt so viel Zeit miteinander verbracht. Welches war das grösste Abenteuer in eurem gemeinsamen Leben?
CHRISTIANE: Die Geburt unserer beiden Kinder! (lacht)
JOSEF: Und wir sind oft in die Ferien gefahren. Mit dem Velo oder unserem Camper, auch mit dem Flugzeug.
CHRISTIANE: Da erlebten wir nur Schönes.
JOSEF: Zweimal wurde Christel die Brieftasche geklaut.
CHRISTIANE: Oh ja, einmal in Italien. Ich erinnere mich noch an den Commissario auf dem Posten, der war so hübsch, knallblaue Augen und ganz lange Wimpern. Er sagte immer: Signora! Ich sagte: Commissario! Sepp meinte danach: Ma, jetzt haste aber kokettiert.
JAN: Warst du eifersüchtig, Josef?
JOSEF: Ja, schon.
CHRISTIANE: Ich auch. Bei dir gab es auch ein paar Abenteuer!
JOSEF (winkt ab): A wo.
CHRISTIANE: Doch, mit der Dingsda. Wie hiess die? Da, wo du früher Musik gemacht hast. Als ich dorthin gekommen bin, hab ich schon gemerkt, dass da was war.
JOSEF: A wo! Ich hatte keine Techtelmechtel mit andern.
CHRISTIANE: Er würde es nie zugeben.
JOSEF: Ich hätte das ja auch machen können, wenn ich auf Montage war.
JAN: Das wäre sicher einfach gewesen. (Gelächter)
CHRISTIANE: Ich hab das auch nicht gemacht.
STEPHANIE: Warum nicht?
CHRISTIANE: Ich habs nicht gebraucht. Und auch nicht gewollt. Ich freute mich immer, wenn er nach seinen Reisen nachhause kam.
STEPHANIE: Ist das der Grund, dass die Beziehung so lange gehalten hat? Dass ihr euch oft über Wochen nicht gesehen habt?
CHRISTIANE: Wahrscheinlich schon. So hatte er immer was zu erzählen – und ich auch.
STEPHANIE: Josef, warum warst du nie untreu?
JOSEF: Ich freute mich einfach, wieder nachhause zu kommen. Ich habe sie immer vermisst.
CHRISTIANE: Heute glaubt man, dass es wichtig ist und zum Leben dazugehört, dass man mit vielen verschiedenen Menschen im Bett war. Aber ich glaube, das muss nicht dazugehören. Geniesst eure Jugend jetzt, aber das hat mit Sex nichts zu tun. Natürlich gibt es attraktive andere Menschen. Aber mit denen muss man deswegen doch nicht ins Bett, oder?
JAN: Aber Verlockungen gab es schon auch, oder?
CHRISTIANE: Einmal, das muss ich ehrlich sagen, war ich tanzen, da gab es einen jungen Mann, der hat mich so fest gehalten. Da hats überall gekribbelt. Da wäre ich fast schwach geworden.
STEPHANIE: Und bei dir, Josef?
CHRISTIANE: Aber ja!
JOSEF: Das stimmt nicht. Ich war nie an Tanzveranstaltungen, ich war ein schlechter Tänzer.
CHRISTIANE: Das stimmt, du kannst dafür schön Musik machen. Jan, welches Sternzeichen bist du?
JAN: Waage.
CHRISTIANE: Waagen sind brav! Schaut, die Heirat ist eine Entscheidung fürs Leben. Das muss man sich einfach bewusst sein. Zusammen alt sein ist auch nicht schön. Da braucht man viel Liebe, viel Zuneigung füreinander. Dass es manchmal schwierigere Zeiten gibt, das gehört dazu. Es gibt Sonnenschein, Regen und manchmal Wintertage, an denen es schrecklich kalt ist.
STEPHANIE: War es auch schon über längere Zeit schwierig?
CHRISTIANE: Ja, das hats auch gegeben. Ich habe manchmal Mühe mit ihm, weil er nicht viel redet. Dann zieht er sich in sein Schneckenhaus zurück.
JOSEF: Ha!STEPHANIE: Machst du das bewusst?
JOSEF: Ich finde, ich ziehe mich nicht mal so zurück.
CHRISTIANE: Natürlich ziehst du dich zurück.
JOSEF: Ja, wenn ich in mein Zimmer gehe. Zu meinen Briefmarken.
CHRISTIANE: Nein, nicht in dein Zimmer. Seelisch tust dich zurückziehen. Er merkt das vielleicht gar nicht.
JOSEF: Nein, ich merke das nicht.
JAN: Ich mache auch Dinge mit mir selbst aus. Ich mag auch nicht immer darüber reden, was mich beschäftigt.
STEPHANIE: Streitet ihr oft?
CHRISTIANE: Als wir geheiratet haben, gab es vielleicht zwei Jahre lang Reibereien, bis wir uns eingespielt hatten. Früher war ich sehr temperamentvoll.
JOSEF: Christel hat mir einmal die Kaffeemaschine nachgeschmissen …
(Beide lachen)
CHRISTIANE: … und leider nicht getroffen.
JOSEF: Das war die Eifersucht.
CHRISTIANE: Ich wollte ihn von der Arbeit abholen, und er rannte davon. Ich dachte, er hätte ein Rendez-vous und ich wäre dazwischengekommen. Er war ganz ruhig. Je ruhiger er blieb, desto aufgebrachter wurde ich.
JAN: Das kenne ich.
STEPHANIE: Ich auch.
CHRISTIANE: Als wir zuhause waren, ist er ins Badezimmer gegangen. Und da war diese Kaffeemaschine auf dem Tisch …
JOSEF: … eine italienische Espressomaschine …
CHRISTIANE: … genau, so eine Kanne. Die hab ich ihm nachgeschmissen. Das gab eine Schramme in der Badezimmertür, die war noch da, als wir auszogen. Und den ganzen Tisch räumte ich mit einer Armbewegung ab, wusch! Die Kinder rannten in die Zimmer. Sepp rief ganz ruhig meinen Hausarzt an und sagte: Meine Frau dreht durch. Der Arzt war in fünf Minuten da. Wir sahen aus, das T-Shirt voller Kaffee, überall Kaffee.
JOSEF: Man muss bedenken, die Kinder sind sehr kurz aufeinander gekommen und …
CHRISTIANE: Neinnein, da waren sie schon grösser! Und du bist nicht ehrlich. Da war irgendwas, ich wills gar nicht wissen. Ich tät mich jetzt noch scheiden lassen!
JOSEF: Da war nichts!
CHRISTIANE: Jaaa. Jedenfalls sagte mein Arzt zu ihm: Sie haben eine temperamentvolle Frau, damit müssen Sie leben. Zu mir sagte er, ich solle etwas ruhiger werden.
JOSEF: Aber heute streiten wir nicht mehr oft.STEPHANIE: Weshalb nicht?
JOSEF: Man lernt sich immer besser kennen.
CHRISTIANE: Und man denkt, was hat das für einen Sinn, dass ich mich so gräme? Das ist nur Zeitverschwendung. Früher weinte ich die ganze Nacht. Er lag neben mir im Bett, seufzte, und ich fand: Kannst du nicht etwas sagen, das mich beruhigt? Aber der Sepp hat das einfach nicht fertiggebracht.
JAN: Es ist für einen Mann nicht einfach herauszufinden, was denn das Richtige wäre.
CHRISTIANE: Die richtigen Worte! Man will doch einfach, dass er die richtigen Worte findet. Und die sind ganz einfach: Liebes, ich hab dich doch so gern. Oder einfach a Busserl geben.
STEPHANIE: Gibt es Marotten, über die ihr euch gegenseitig nervt?
CHRISTIANE: Da fällt mir nix ein.
JOSEF: Mir auch nicht.
CHRISTIANE (überlegt): Gut, so kleine Sachen. Wenn er morgens den Storen mit einem lauten «Brrrr» raufzieht. Das nervt mich. Heute Morgen etwa, ich habe so tief geschlafen. Und danach war ich hellwach.
STEPHANIE: Ihr schlaft noch in einem Zimmer?
CHRISTIANE: Jojooo!
STEPHANIE: Und wenn Josef schnarcht?
CHRISTIANE: Dann weck ich ihn auf. Seppel, sag ich dann, Seppel, du schnarchst, dreh dich um.
STEPHANIE: Könnt ihr euch getrennte Schlafzimmer vorstellen?
CHRISTIANE: Ich hab den Vorschlag mal gemacht, aber der Sepp möchte das nicht.
JOSEF: Wenn das mal losgeht, dann gewöhnt man sich daran. Da braucht man gar nicht verheiratet zu sein.
JAN: Wir nerven uns ziemlich oft über die Angewohnheiten des anderen. Über so kleine Sachen. Etwa, dass sie ihre Tübchen nicht im Schrank versorgen kann.
STEPHANIE: Dass er unter der Dusche so laut singt.
CHRISTIANE: Oh, das würde mir aber gefallen! Was singst du denn da Schönes?JAN: Verschiedenes, was mir so in den Sinn kommt.
STEPHANIE: Er trifft die Töne schlecht.
CHRISTIANE: Aber das ist doch wurscht. Er ist fröhlich!
STEPHANIE: Wisst ihr eigentlich noch, was ihr dachtet, als ihr euch das erste Mal gesehen habt?
CHRISTIANE: Was hast du gedacht? Da war ich noch hübsch, gell!
JOSEF: Du hast mir natürlich gefallen (lächelt sie an).
CHRISTIANE (schmunzelt): Da strahlt er jetzt noch.
JOSEF: Ja, klar. Sie hatte lange dunkle Haare.
CHRISTIANE: Und grössere Augen.
STEPHANIE: Und was dachtest du, Christiane?
CHRISTIANE: Warum ist der so schüchtern? Ich fragte ihn viele Dinge, und immer antwortete sein Freund. Das war in einem Restaurant, er hatte Musik gemacht, er konnte so schön Handorgel spielen. Und mit den Ohren wackeln! Wir waren ein paar Monate ein Paar, dann sollte ich wieder nach Wien zurück. Da beschlossen wir zu heiraten. Mein Papa war so eifersüchtig.
JOSEF: Er war ein guter Mann. Aber er wollte seine Tochter nicht hergeben. Wir haben uns später gut verstanden, haben ihre Familie regelmässig besucht.
CHRISTIANE: Und ihr, seht ihr eure Eltern oft?
JAN: Ja, gerade heute Abend gehen wir mit meiner Mutter essen. Mein Vater ist letztes Jahr gestorben.
JOSEF: Oh. Das tut mir leid.
CHRISTIANE: So jung.
JOSEF: Mein Vater starb mit 32 im Krieg, bei Stalingrad.
STEPHANIE: Du kanntest ihn also gar nicht richtig?
JOSEF: Ich erinnere mich, dass er mal von Frankreich für den Fronturlaub nachhause kam. Er brachte ganz viel Spielzeug mit. Meine Mutter heiratete nach dem Krieg nochmals. Sie und mein Stiefvater sind aber seit einigen Jahren tot. Auch meine Geschwister leben nicht mehr. Nur einen Freund habe ich noch, in Frankfurt.
CHRISTIANE: Jetzt muss ich euch aber etwas fragen: Habt ihr Geduld füreinander?
(Pause)
STEPHANIE: Nein. Ich habe nicht viel Geduld.
JAN: Ich auch nicht.
CHRISTIANE: Daran müsst ihr arbeiten. Habt ihr ein gemeinsames Hobby?
STEPHANIE: Lesen.
JAN: Ja, lesen.
STEPHANIE: Wir machen nicht viel nur zu zweit. Oft sind noch andere dabei, Freunde, befreundete Paare.
JAN: Wir haben einen Schrebergarten!
JOSEF: Macht ihr das gern, dort gemeinsam arbeiten?
STEPHANIE: Nun ja, eigentlich nicht.
JOSEF: Das ist sehr, sehr wichtig, dass man gemeinsame Hobbys hat, Dinge, die beide gern tun, zusammen tut.
CHRISTIANE: Natürlich sind auch gemeinsame Freunde wichtig. Aber wirklich, ihr müsst euch ein Hobby suchen!
JOSEF: Unbedingt!
CHRISTIANE: Eins, das beide interessiert. Und beiden Spass macht. Und Geduld müsst ihr haben.
STEPHANIE: Geduld und gemeinsame Erlebnisse …
CHRISTIANE: … und Freiraum, gell Sepp. Wir haben unsere eigenen Zimmer, wo ich male, am Computer Solitär spiele und ab und zu Mails schreibe. Er macht Musik und ordnet seine Marken. Wir haben einen gemeinsamen Freundeskreis, aber jeder hat auch seine eigenen Freunde. Er seine Wandergruppe, ich eine Jassrunde.
STEPHANIE: Fühlt ihr euch eigentlich alt?
CHRISTIANE: Also wenn ich in den Spiegel schaue, dann schon. Aber innen bin ichs nicht. An einem guten Tag fühle ich mich so, als könnte ich alles schaffen.
JOSEF: Man muss realistisch sein. Wir hatten ein wunderschönes Leben, haben es eigentlich immer noch. Aber das, was wir früher machen konnten, können wir jetzt nicht mehr.
STEPHANIE: Was denn?
JOSEF: Heute ist es nur schon anstrengend, eine Mineralwasserflasche zu öffnen, weil meine Finger wegen der Gicht so schmerzen. Lange Wanderungen schaffe ich nicht mehr. Ich habe Probleme mit den Beinen, draussen gehe ich nur an Wanderstöcken.
CHRISTIANE: Ich sehe immer schlechter, und meine Augen tränen. Meine Tränensäcke mag ich nicht. Und dick bin ich geworden, das habe ich auch nicht so gern.
STEPHANIE: Ist dir dein Gewicht denn noch wichtig?
CHRISTIANE: Ich bin schon traurig über meine Figur. Wenn ich die Bilder anschaue, wie schlank ich einmal war. Heute schau ich nicht mehr gern in den Spiegel. Wenn ich nicht schaue, vergesse ich aber alles. Ich bin nämlich noch sehr beweglich, ich turne regelmässig im Wohnzimmer auf dem Teppich mit meinen Geräten.STEPHANIE: Wie alt möchtet ihr denn werden?
Josef lacht.
CHRISTIANE: Wenn Gott uns haben will, dann nimmt er uns. Ich glaube ja an das Leben nach dem Tod in irgendeiner Form, vielleicht kommt man nochmals als Blume auf die Welt oder als Tierli.
JOSEF: Auf dem Friedhof kenne ich je länger, je mehr Namen auf den Grabsteinen. In unserem Alter gibt es viele Bekannte, die gehen mussten.
CHRISTIANE: Es gab Monate, da gingen wir zweimal pro Woche an eine Beerdigung.
STEPHANIE: Macht euch das Sterben Angst?
JOSEF: Nein. Angst machen mir das Leiden, die Schmerzen, das Hinsiechen. Aber da kann man nichts machen. Man wird einfach älter, man muss furchtlos einen Tag nach dem anderen nehmen.
CHRISTIANE: Alt werden ist nur etwas für Mutige. So wie die Liebe.

Beim Abschied flüstert Christiane mir zu: «Ich glaube, ihr zwei passt gut zusammen.» Sie lächelt. Ich lächle. Jan trinkt den letzten Schluck seines Biers und redet mit Josef über die zahlreichen Kakteenarten der Welt.

Auf der Heimfahrt besprechen Jan und ich, welches Hobby wir gemeinsam in Angriff nehmen könnten.
Klettern? Geht nicht, ich habe Höhenangst.
Joggen? Findet Jan zu anstrengend.
Velofahren? Finde ich uninteressant.
Wandern? Findet Jan langweilig. Paragliding? Höhenangst!
Wir schweigen. Genervt. Das mit der Geduld braucht wohl noch etwas Geduld.