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Love me Tinder

Liebe & Sex 

Love me Tinder

  • Text: Leandra Nef; Foto: GettyImages

Kann man auf der Dating-App Tinder mehr als ein kurzes Vergnügen finden – sich gar verlieben? Sechs Frauen und Männern fanden ihren Perfect Match.

20 Milliarden Matches seit App-Launch im Jahr 2012. Das schreibt sich das Mobile-Dating-App Tinder auf die Fahne. Das sind 40 Milliarden Daumen und Zeigfinger, die das Foto einer anderen Person auf dem Handybildschirm nach rechts gewischt und damit gezeigt haben: Ich finde dich sympathisch. Hübsch. Heiss. Und die von eben dieser Person auch einen Wisch nach rechts erhalten haben – denn nur wenn das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht, gibt es bei Tinder einen Match und somit die Möglichkeit, Kontakt miteinander aufzunehmen. Ein Wisch nach links bedeutet hingegen: Du bist nicht mein Typ.

Das Konzept hinter der Flirt-App ist denkbar einfach. Und wohl auch deswegen so beliebt. Die Zürcher Flirt-Expertin Esther Meyer bestätigt: «Besonders für Menschen, die viel arbeiten oder introvertiert sind, ist Tinder eine grossartige Möglichkeit, einfach neue Kontakte zu knüpfen.» Ihre Erfahrung zeigt, dass viele Schweizerinnen und Schweizer Mühe haben, sich anderen in einer Bar zu nähern, «weil sie zu schüchtern sind». Da sei es natürlich wesentlich einfacher, das Profilbild einer Person nach rechts zu wischen und auf einen Match zu hoffen, als im Ausgang jemanden anzusprechen und womöglich eine Abfuhr zu erhalten.

Und so wird laut Tinder in 196 Ländern täglich 1.6 Milliarden Mal nach links oder rechts gewischt. Was angeblich in einer Million Dates pro Woche resultiert. Dass nicht alle diese Dates ausschliesslich auf schnellen Sex abziehlen, scheint logisch, trotz des Rufs, der Tinder vorauseilt. Wir haben mit sechs Personen gesprochen, die dank der App ihre grosse Liebe gefunden haben. 

«Ich habe ihm aus Versehen einen Super-Like gegeben»

Nadia (22) und Christoph (25)
Gematched hat es am:
7. Dezember 2017
In einer Beziehung seit: 12. Januar 2018

Wonach habt ihr bei Tinder gesucht?
Nadia: In erster Linie nach Unterhaltung, ich habe Tinder nie ernst genommen. Manchmal war mir einfach langweilig, und ich wollte ein bisschen flirten.
Christoph: Nach Dates, aus denen sich Bettgeschichten entwickeln.

Mit wie vielen Tinder-Dates hattest du denn Sex?
Christoph: Mit drei.
Nadia: Ich mit fünf. Meistens hatte ich Affären, die ein wenig anhielten. Einen richtigen One-Night-Stand hatte ich nur einmal.

Und warum habt ihr nicht offline nach jemandem die Augen offen gehalten?
Nadia: Ich habe sowohl on- als auch offline gesucht. Online ist es aber einfacher, da Tinder auf dem Handy und somit immer und überall mit dabei ist.

Aus wie vielen eurer Tinder-Dates hat sich etwas Ernstes entwickelt?
Nadia: Vor Christoph aus einem. Diese Beziehung ging aber nach einem halben Jahr in die Brüche.
Christoph: Bisher aus keinem. Nadia ist die erste Freundin, die ich dank Tinder kennengelernt habe.

Warum habt ihr beim Foto des anderen nach rechts gewischt?
Christoph: Sie hatte einen coolen Spruch in ihrer Beschreibung – ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, aber das Wort Bier kam darin vor. Und mir hat ihr Lächeln gefallen.
Nadia: Eigentlich war es ein Versehen. Ich war angeschwipst und hatte mich mit meinen Freundinnen durch die App geswiped. Bei Christoph wollte ich eigentlich nach links wischen, habe ihm dann aber versehentlich einen Super-Like gegeben.

Trotz Versehen habt ihr euch auf ein Date getroffen.
Nadia: Ja, das Treffen fand relativ spontan nach der Arbeit statt. Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen, da ich einen strengen Tag hatte und überhaupt nicht Date-ready aussah. Ich habe mir dann aber trotzdem einen Ruck gegeben. Wir haben uns auf dem Weihnachtsmarkt getroffen.
Christoph: Nachdem wir ein oder zwei Glühwein getrunken hatten, zogen wir leicht angetrunken weiter in eine Bar.
Nadia: Dort meinte er irgendwann, ob ich denn auch mal etwas Nettes über ihn sagen könne – ich beharrte schliesslich noch immer darauf, dass ich ihn eigentlich nach links swipen wollte. Darauf antwortete ich, dass ich etwas Nettes tun könne, und habe ihn geküsst.

Ab welchem Zeitpunkt wusstet ihr, dass das etwas Ernstes ist zwischen euch?
Christoph: Ich war über Weihnachten mit meinen Eltern in unserem Ferienhaus in den Bergen, und wir standen in regem Kontakt. Irgendwann habe ich Nadia aus purem Leichtsinn gefragt, ob sie einen Tag zu mir kommen möchte. Zu meiner Überraschung sagte sie zu und blieb danach fast zwei Tage.

Erzählt ihr eurem Umfeld, dass ihr euch via Tinder kennengelernt habt?
Nadia: Eigentlich stört mich das Kennenlernen via Tinder schon ein wenig, es ist halt nicht wirklich romantisch. Andererseits ist unsere Geschichte etwas Besonderes – das Schicksal konnte wohl einfach nicht zulassen, dass ich ihn nach links wische und ihm so womöglich nie begegnet wäre. Darum erzähle ich es den meisten ganz offen. Nur meinen Grosseltern sage ich, dass wir uns an einer Bar getroffen haben. Sie würden das mit der App nicht verstehen.
Christoph: Ich spreche offen darüber, und die Kollegen in meinem Alter reagieren jeweils relativ gelassen, Tinder gehört nun mal zu unserer Zeit.

«Es gibt eine Grosselternversion unserer Geschichte»

Ramona (31)
Gematched hat es am:
Februar 2017
In einer Beziehung seit: ein paar Wochen danach

Deiner Meinung nach, wonach suchen die meisten Menschen auf Tinder?
Ich glaube, es gibt wirklich Leute, die sich ernsthaft verlieben wollen, die auf der Suche nach dem grossen Glück sind. Aber: Tinder ist halt doch eine sehr oberflächliche App, es gibt auch viele Nutzer, die nach unverbindlichem Spass suchen. Diese zwei Intentionen passen nicht zusammen. Ich habe darum oft erlebt, dass Menschen aus meinem Umfeld schwer enttäuscht wurden von ihren Tinder-Bekanntschaften.

Dennoch hast du dein Glück auf Tinder probiert.
Ich war auch eher auf der Suche nach einem Flirt. Ausserdem birgt dieses Nach-links-und-rechts-Wischen Suchtpotenzial. Manchmal fühlt es sich schon fast an wie ein Spiel. Sobald sich dieses Gefühl bei mir eingestellt hatte, habe ich das Nutzen der App stark hinterfragt – denn hinter den Fotos, die man sorglos nach links oder rechts wischt, stecken Menschen!

Irgendwann hat es bei dir und deinem Freund gemachted. Worum ging es bei eurem ersten Chat?
Wir haben gemerkt, dass wir einige gemeinsame Freunde haben. Was mir dann doch sehr unangenehm war, weil diese Freunde ja erfahren könnten, dass ich Tinder nutze. Nach einiger Zeit habe ich dann sogar herausgefunden, dass seine Mitbewohnerin eine Arbeitskollegin von mir ist und wir uns schon mal auf einer Party kennengelernt hatten.

Du sagst, die Sache mit Tinder sei dir unangenehm. Weiss dein Umfeld, wie ihr euch kennengelernt habt?
Es gibt die unzensurierte Version und die Grosselternversion. Denen sagen wir, dass wir uns auf einer Party von Freunden kennengelernt haben. Was ja auch stimmt, irgendwie.

Und wie reagieren diejenigen, denen ihr die Wahrheit sagt?
Alle andern reagieren im ersten Moment überrascht. Fangen sich dann aber wieder und erzählen von ganz vielen anderen Paaren, die sich über Tinder kennengelernt haben und «bei denen es auch funktioniert». Über solche Kommentare muss ich dann immer schmunzeln. Wenn ich sagen würde, dass wir uns in einer Bar kennengelernt haben, würde bestimmt niemand sagen: «Ach jaaa, ich kenne da dieses Paar, das hat sich auch in einer Bar kennengelernt. Und bei denen funktioniert das auch.»

«Zum Glück gab es von ihm keine Badezimmer-Sixpack-Selfies»

Elisa (24) und Markus (26)
Gematched hat es am:
August 2017
In einer Beziehung seit: Oktober 2017

Wonach habt ihr bei Tinder gesucht?
Elisa: Nach nichts Spezifischem. Ich wollte einfach mal wieder «unter Männer kommen».
Markus: Nach tollen Bekanntschaften, in der Hoffnung, dass sich daraus etwas Längerfristiges entwickelt.

Warum habt ihr dazu Tinder verwendet und nicht eine andere Datingplattform?
Elisa:
Man muss bei Tinder nicht warten, bis einem jemand vorgestellt wird – bei anderen Plattformen und Apps schon. Ausserdem ist das Swipen ziemlich amüsant.
Markus: Das stimmt, das Swipen macht Spass. Tinder ist zwar sehr oberflächlich, aber es ist eine wirklich gute Beschäftigung, zum Beispiel beim Zugfahren.

Wie lang musstet ihr euch denn durch Tinder swipen, bevor es gemachted hat?
Elisa: Nicht sehr lang, vielleicht zwei bis drei Wochen. Ich hatte früher schon mehrmals Tinder, habe die App aber immer wieder gelöscht – wegen schlechter Erfahrungen bei Dates oder komischen Typen.

Und was hat Markus von den komischen Typen unterschieden?
Elisa: Er hatte spannende Fotos vom Reisen in seinem Profil – und nicht nur Badezimmer-Sixpack-Selfies oder Poserfotos vor schicken Autos.

Wie lief euer erstes Date ab?
Markus: Ich habe Elisa gefragt, ob sie was unternehmen möchte und vorgeschlagen, zum Oeschinensee im Berner Oberland zu fahren. Zu meinem Erstaunen hat sie sofort zugesagt. Wir trafen uns dann ein paar Tage später am Bahnhof in Thun und fuhren gemeinsam mit meinem Auto nach Kandersteg.
Elisa: Genau, so viel zu «Kinder, steigt nie bei fremden Leuten ins Auto». Aber unser erstes Date war wirklich schön! Wir haben nach der Wanderung von Kandersteg zum Oeschinensee ein Schloss in der Thuner Altstadt besucht und sind sogar noch essen gegangen.
Markus: Wir hatten tolle Gespräche! Elisa hat mich mit ihrem Wissen begeistert, sie wusste zum Beispiel viel übers Thema Drohnen. Sie nahm dann übrigens den letztmöglichen Zug nachhause. Dass sie so lang geblieben ist, hat mich sehr zuversichtlich gestimmt.

Das klingt ja alles ziemlich rosig, und heute seid ihr tatsächlich ein Paar. Aber gibt es auch Nachteile, wenn man sich über Tinder kennenlernt?
Markus: Die örtliche Distanz ist manchmal ein Problem für uns – sie wohnt in Basel, ich in Bern. Aber so was geschieht halt, wenn man während des Zugfahrens tindert. Ich hatte die App so eingestellt, dass sie nach Frauen in der unmittelbaren Umgebung sucht. Und diese Umgebung wird auf einer Zugfahrt durch die Schweiz logischerweise grösser.

«Ich habe Tinder installiert – und am gleichen Tag meinen Ehemann kennengelernt»

Manou (37)
Gematched hat es am:
23. November 2014
In einer Beziehung seit: 2. Dezember 2014

Wonach hast du bei Tinder gesucht?
Nicht gleich nach der grossen Liebe, aber sicher nach etwas Ernsthaftem.

Und wie lang musstest du tindern, bis sich etwas Ernsthaftes ergeben hat?
Ich weiss, das klingt jetzt total unglaubwürdig, aber es stimmt wirklich: Am gleichen Sonntag, an dem ich Tinder installiert habe, habe ich mit meinem jetzigen Ehemann gematched. Wir haben uns dann schon tags darauf in einem Café in der Stadt getroffen.

Inwiefern gestaltet sich das Kennenlernen anders, wenn man jemanden über Tinder und nicht offline kennenlernt?
Der Vorteil ist, dass man im Vorfeld schon weiss, dass grundsätzlich ein gegenseitiges Interesse besteht. Das gibt einem etwas Sicherheit.

Und der Nachteil?
Für uns gab es den eigentlich nicht. Für meine Eltern hatte die Geschichte aber diesen fahlen Beigeschmack von Partnerschaftsvermittlungen, so nach dem Motto: «Hat sie es nötig, sich einen Partner übers Internet zu suchen? Findet sie sonst keinen?» Bei jüngeren Leuten ist das aber überhaupt kein Problem.

Hättest du gedacht, dass aus einem Tinder-Date Liebe werden könnte?
Am Anfang war ich kritisch, ich hätte nicht gedacht, dass das wirklich klappt. Vor allem hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass wir zwei Jahre später heiraten würden und jetzt sogar seit einem Monat eine süsse kleine Tochter haben!