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«Weiblichkeit wird gern eng definiert, und das passte mir nicht»

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«Weiblichkeit wird gern eng definiert, und das passte mir nicht»

  • Interview: Kerstin Hasse; Foto: John Patrick Walder

Was heisst neue Weiblichkeit im Jahr 2017? Wir haben mit drei Millennials, die Teil unseres grossen Modeshootings aus dem Trendheft sind, über Femininität gesprochen. Autorin Meral Kureyshi hat sich in ihrer Pubertät dagegen gesträubt, ihre Weiblichkeit zu betonen. 

annabelle: Meral Kureyshi, Sie sind im Kosovo geboren und mit zehn Jahren in die Schweiz gekommen. Welche Frauenbilder haben Sie in Ihrer Kindheit geprägt?
Meral Kureyshi: Ein Vorbild war Dragana Mirkovic, eine serbische Sängerin. Meine Eltern haben ihre Musik gern gehört, und auch ich mochte sie sehr. Als ich etwa vier Jahre alt war, gingen wir an ein Konzert von ihr. In der Pause schlich mein Vater mit mir zu ihrer Garderobentür. Sie kam heraus, wir redeten, und dann gab sie mir einen Kuss auf die Wange. Ich wollte den Lippenstift nicht mehr abwaschen, weil ich ihn so schön fand. Aber am meisten haben mich meine Mutter und meine Grossmutter geprägt. Ich denke, das sind für Mädchen diejenigen Personen, die ihre eigene Definition von Weiblichkeit beeinflussen.

Und wie haben Sie die Weiblichkeit Ihrer Mutter und Ihrer Grossmutter definiert? 
Meine Mutter habe ich als sehr emotional wahrgenommen. Geborgenheit, Verlässlichkeit – aber auch Schönheit, ich fand meine Mutter immer unglaublich schön. Zum einen wegen ihrer Kleider und Schuhe, zum anderen aber auch wegen ihres Auftretens. Es hat mich beeindruckt, dass sie nicht nur auf mich diese Wirkung hatte, sondern auch auf meinen Vater. Er hat ihr immer wieder Komplimente gemacht, sie die schönste Frau der Welt genannt. Besonders weiblich empfand ich meine Mutter, als sie schwanger war, ich finde, eine Schwangerschaft ist etwas sehr Weibliches. Diese Stärke und Verbundenheit, der Schmerz, den eine Mutter aushält, das beeindruckt mich.

Wie haben Sie das Frauenbild damals im Kosovo wahrgenommen?
Ich bin in der Stadt Prizren geboren und aufgewachsen, mein Umfeld war eher liberal und meine Familie zum Glück auch. Aber ich habe schon die Unterdrückung der Weiblichkeit gespürt, die damals in der Gesellschaft verankert war. Meine Grossmutter und meine Mutter waren aber beide sehr stark. Ich habe es eher so erlebt, dass die Frauen in meiner Familie die waren, die das Sagen hatten. Sie haben immer ihre Meinung gesagt, das hat mich sehr beeindruckt – und sicher auch geprägt. 

Wie hat sich Ihre Definition von Weiblichkeit in der Schweiz verändert?
Ich denke, zur Pubertät gehört ein Abnabeln von den Eltern und so war es auch bei mir. Ich habe mich nie sehr mädchenhaft gekleidet und mich nie geschminkt. Ich trug Latzhosen und Hemden und ich habe mir auch die Haare kurz geschnitten. Meine Mutter sagte: Kämm dir doch mal die Haare glatt oder leg ein bisschen Lippenstift auf. Und ich glaube, weil sie das so unbedingt wollte, habe ich das nicht gemacht. Die Mädchen, die ich kannte, waren alles ganz typische Mädchen mit Röckchen und langen Haaren, aber irgendwie passte das nicht zu mir. Ausserdem verbrachte ich viel Zeit mit meinem Bruder, wir spielten zusammen Basketball. Ich wollte anders sein. 

Woran lag das?
Ich habe schon früh gemerkt, dass es Regeln gibt, die für mich keinen Sinn machten. Mein zwei Jahre jüngerer Bruder wollte zum Beispiel immer meine Jupes anziehen, durfte aber nicht. «Jungs tragen keine Röcke», sagte meine Mutter. Ich habe ihm dann meine Jupes angezogen. Das Gleiche beim Spielzeug: Ich hatte meine Puppen, er seine Autos. Ich spielte aber gern mit den Autos und er gern mit den Puppen. Wieso auch nicht? Ich glaube, deshalb habe ich so bewusst gegen diese Rollen gekämpft. Weiblichkeit wird gern sehr eng definiert, und das passte mir nicht. Ich weiss heute aber gar nicht mehr, ob ich wirklich die Kleidchen nicht wollte oder ob es mir auch einfach darum ging, Reibung zu erzeugen. Wenn man immer nett ist und lächelt, dann entstehen keine Diskussionen, das finde ich langweilig. Für meine Weiblichkeit begann ich mich eigentlich erst so mit 18 Jahren zu interessieren.

Wie zeigte sich dieses Interesse?
Ich hatte plötzlich Lust, all diese Dinge auszuprobieren, die Schminke, die Kleider. Ich wollte weiblicher sein. Und dann geht alles sehr schnell, ich merkte, dass ich Reaktionen auslöse und das gefiel mir. Ich denke, das geschieht mit dem Erwachen der Sexualität. Wenn Anziehung und Lust entstehen, dann kommt die Weiblichkeit viel mehr zur Geltung. Ich hatte Spass, ich habe nichts gemacht, was ich nicht wollte. Das ist auch heute so. Ich habe heute noch Freude daran, mich zu schminken. Ich glaube, Weiblichkeit ist sehr oft auch einfach ein Unterstreichen. Ein voller Wimpernkranz, den man mit Mascara betont, oder ein Lippenstift, der die Lippenform hervorhebt – das ist doch etwas sehr Schönes, etwas sehr Weibliches.

Meral Kureyshi (33) wurde mit ihrem Roman «Elefanten im Garten» über Nacht zum Shootingstar der Schweizer Literaturszene. Neben der Arbeit am neuen Buch sorgt sie sich auch um die poetischen Stimmen der Zukunft: In ihrem Berner Lyrikatelier hilft sie Kindern, ihre eigene lyrische Sprache zu finden.

Haare: Rachel Bredy für Style Council/Zürich. Make-up: Daniela Koller für Style Council/Zürich. Styling: Daniella Gurtner & Nathalie de Geyter. Casting & Production: Monica Pozzi.