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Herr der Steine: Pierre Rainero ist Schatzmeister bei Cartier

Stil

Herr der Steine: Pierre Rainero ist Schatzmeister bei Cartier

  • Interview: Monique Henrich, Foto: Aimée Hoving

Was macht ein Schmuckstück von Cartier so «typisch Cartier»? Richtig: Der Cartier-Stil. Und für den bürgt seit drei Jahrzehnten Pierre Rainero.

Pierre Rainero, Directeur du Style, de l’Image et du Patrimoine Cartier, ist Schatzhüter des französischen Juwelierhauses, das 1847 von Louis Cartier gegründet wurde: Seit dreissig Jahren sucht, kauft und archiviert er Preziosen, die den Stil des Pariser Juweliers prägten. annabelle hat den Wächter des kulturellen Erbes zur Eröffnung des tausend Quadratmeter grossen Schweizer Flagship Store in Genf getroffen und mit ihm über Royals, die Leichtigkeit der Diademe und die Cocktailringe reicher Erbinnen gesprochen.

ANNABELLE: Pierre Rainero, nach dem Geschäft in Moskau ist Cartier Genf an der Prestigeadresse Rue du Rhône das zweitgrösste in Europa. Warum ist Genf für Sie so bedeutend?
PIERRE RAINERO: Genf ist eine internationale Stadt mit internationaler Kundschaft. Und – sehr wichtig: Genf ist die Wiege der Uhrmacherkunst. Nur hier wird das Poinçon de Genève verliehen, das Genfer Siegel, eine gesetzlich geschützte Qualitäts- und Ursprungsbescheinigung für mechanische Uhren.

Sie tragen den Titel Directeur du Style, de l’Image et du Patrimoine: Sie prägen also den Cartier-Stil, und das seit dreissig Jahren.Was macht ein Bijou unverkennbar Cartier?
Darüber sind einige Bücher geschrieben worden, ohne dass bisher jemand wirklich erfassen konnte, was den Cartier-Stil ausmacht. Er hat sehr viele Raffinessen, die jedoch nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sind. Ich habe dafür mittlerweile ein Gespür entwickelt und merke sofort, wenn der kreative Ausdruck oder die Proportionen nicht stimmen.

Wie frei ist die künstlerische Arbeit bei Cartier?
Bei uns wird nie aufs Geratewohl improvisiert, es gibt keine Zufälligkeiten. Aber wir kleben auch nicht an Vorgaben. Denken Sie nur an den Tuttifrutti-Stil, inspiriert vom üppig-bunten Schmuck der Maharadschas, oder an die feine Eleganz der Uhrenlinie Tank oder an die Madness des Modells Crash aus den Siebzigerjahren. Diese Kollektionen könnten unterschiedlicher nicht sein, doch alle wurden zu Ikonen, und alle sind noch immer unverkennbar très Cartier.

Zu den weltbekannten Motiven von Cartier gehört der Panther. Warum ist gerade die Raubkatze als Schmuckstück so begehrt?
Weil sie eine tiefgründige, universelle Symbolik besitzt: La Panthère widerspiegelt die Unabhängigkeit der Frau, ihren starken Charakter, ihr Selbstbewusstsein, ihre Freiheit. La Panthère ist eine feminine, elegante Provokation.

Es waren Königshäuser, die Cartier zum inoffiziellen Titel «König der Juweliere und Juwelier der Könige» verhalfen. Was war der Grund für diese herausragende Stellung, und gehören die Royals noch immer zu Ihren wichtigsten Kunden?
Cartier hat als erster Juwelier erkannt, dass das Feuer der Diamanten in Platinfassungen viel prächtiger funkelt. Als 1889 elektrisches Licht aufkam, waren alle Schmuckfassungen aus anderen Metallen viel zu massiv und verdeckten die Brillanz der Edelsteine. Ausserdem wurde für eine Platinfassung viel weniger Material benötigt, das erleichterte das Tragen von Schmuckstücken wie Diademen, Kronen und Colliers enorm. Überhaupt wurde auf das perfekte Zusammenspiel von Stil und Funktionalität Wert gelegt, und so wurde Cartier von 15 Monarchien zum offiziellen Juwelier ernannt. Die Maharadschas nicht mitgezählt. Und ja, Königshäuser waren und sind unsere Kunden.

Gibt es deshalb eine geheime Tür im neuen Genfer Flagship Store? Eine Tür für Besucher, die gern unerkannt bleiben wollen?
Nein, diese diskret in die Wand eingearbeitete Tür trennt die Verkaufsräume vom Uhrenatelier, in dem ausschliesslich die Uhren mit dem Poinçon de Genève hergestellt werden. Diese staubfreien Workstations sind für Kunden nicht zugänglich.

Apropos nicht zugänglich: Sie kuratierten die Ausstellung im Grand Palais in Paris, in der auch Stücke aus Privatsammlungen gezeigt wurden. War es schwierig, an diese Stücke heranzukommen?
Eine sehr lange Vor- und Zusammenarbeit mit dem Museum war unabdingbar. Es kommt immer wieder vor, dass nur wir wissen, wer die Besitzer sind. Auch das britische Königshaus hat uns bedeutende Stücke zur Verfügung gestellt, etwa das Diadem, das die Duchess of Cambridge an ihrer Hochzeit mit Prinz William trug.

Sind Diademe eigentlich noch im Trend?
Aber ja! Allerdings nicht mehr nur für royale Zeremonien. Heute gibt es Spezialanfertigungen von Diademen zum Beispiel für Hochzeitsfestivitäten: für die Braut, für die Brautmutter, für die Schwestern. Wir haben auch sehr treue Kundinnen, die sich immer mal wieder ein Diamantkrönchen für einen Ball wünschen.

Schmuckstücke werden oft als Statement Pieces beschrieben. Was ist darunter zu verstehen?
Ein Bijou ist sehr intim, weil seine Wahl eine sehr persönliche Aussage über die Trägerin, den Träger macht. Wenn Sie an Ihre Mutter oder Ihre Grossmutter denken, dann häufig in Verbindung mit dem Schmuck, den sie trägt oder getragen hat. Und bei Zeremonien an Königshöfen bestimmt ein Schmuckstück oftmals den Rang. Schmuck spricht eine sehr feine, aber auch sehr klare Sprache.

Eine, die auch ausserhalb royaler Kreise gesprochen und verstanden wird?
Absolut. Die US-Warenhauserbin Barbara Hutton beherrschte sie meisterhaft: Je nachdem welchen Schmuck sie trug, mass sie einer Abendgesellschaft mehr oder weniger Bedeutung bei. Legendär war ihre Smaragdkette, die früher der Zarenfamilie, den Romanows, gehört hatte; sie war ihr schönstes und kostbarstes Stück. Wenn sie diese Kette trug, wussten alle, dass die Soiree sehr bedeutend war.

Gilt ein geschenktes Schmuckstück noch immer als ultimativer Liebesbeweis?
Ja, ein geschenktes Schmuckstück ist ein Geschenk von Herzen. Frauen beschenken sich aber zunehmend selbst. Früher konnten sich nur wenige, sehr reiche Frauen ihren Schmuck selbst kaufen. Das hat sich geändert: Heute sind die Frauen vielfach finanziell unabhängig und leisten sich, was ihnen gefällt. Meistens einen Ring oder ein Bracelet, seltener ein Collier.

Warum kein Collier?
Ich vermute, weil die Trägerin selbst ein Collier nur vor dem Spiegel sehen kann, während sie sich am Anblick von Ringen oder Bracelets jederzeit erfreuen kann. Reiche amerikanische Erbinnen haben zum Beispiel den Cocktailring kreiert, einen grossen, extravaganten Ring, der beim Halten des Cocktailglases funkelt und mit seiner Wirkung auch die Besitzerin selbst verzaubert.

Erwerben Ihre Kundinnen Edelsteine auch als Investition?
Durchaus, Frauen kaufen sich wichtige Steine aus wichtigen Kollektionen und gehen dabei übrigens ausgesprochen fachkompetent vor. Sie wissen genau, was sie wollen und was sich zu sammeln lohnt.

Welcher ist derzeit denn der begehrteste Stein?
Was Cartier betrifft, so geht es uns nicht so sehr um Karat und Grösse, sondern viel mehr um den Charme, die Sprache des Edelsteins. Aber grundsätzlich stellen wir ein gleichbleibend hohes Interesse an Diamanten und ein vermehrtes an Smaragden, Saphiren und Rubinen fest. Und Perlen. Perlen sind sehr gefragt.

Sie verwalten auch das historische Erbe von Cartier und haben rund 1400 bedeutende Stücke zusammengetragen. Welche Juwelen würden Sie sich noch für Ihre Sammlung wünschen?
Unsere Sammlung beinhaltet vor allem die Gegenstände, die den Cartier-Stil prägten. Wenn ich mir ein Stück wünschen könnte, wäre es das legendäre Smaragdcollier von Barbara Hutton, das für Cartier eine sehr grosse historische Bedeutung hatte. Leider existiert es nicht mehr.

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1.

Das Bracelet Tuttifrutti wurde für die Singer-Nähmaschinen-Erbin Daisy Fellows kreiert

2.

Das Halo-Diadem aus dem Besitz der Queen, welches Kate Middleton, die Duchess of Cambridge, an der royalen Hochzeit trug