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Der neue Stil der Nullerjahre

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Der neue Stil der Nullerjahre

  • Text: Katrin KruseFotos: Imaxtree.com

Gleich mehrere Designer liessen sich diese Saison von der letzten Dekade beeinflussen.

Doch inwiefern hat dieses Jahrzehnt die Modewelt geprägt? Ganz scharf ist das noch nicht zu erkennen, der Abstand ist zu klein. Zudem haben die Nullerjahre mehr Bilder produziert als irgendein Jahrzehnt: Material von überbordender Unübersichtlichkeit. Es bleibt eine Vermutung, doch bisher spricht alles dafür: Die Nullerjahre haben nicht den einen, prägenden Stil geschaffen, sondern neue Themen in die Mode gebracht. Fünf davon sind schon jetzt klar zu erkennen:

1. Stealth Wealth

Die Nullerjahre wurden durch grosse Ereignisse geprägt, die mit der Modewelt auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Aber sie haben sie grundlegend verändert: Der 11. September 2001, der in der Folge den Konsum neu definiert hat. Die Finanzkrise ab Herbst 2007, die diese neue Definition seither weiter festzurrt. Und die US-Präsidentenwahl 2008, genauer: die neue First Lady und ihr modisches Geschick. Dank Michelle Obama schliesst das Jahrzehnt mit einer Art Erweckungsgeschichte – zumindest für die jungen US-Modemacher.

Der Begriff Stealth Wealth (Getarnter Reichtum) tauchte in den Monaten nach dem 11. September 2001 auf und nahm bald die Form brauner Papiersäcke an. Die Online-Shopping-Site Net-a-porter etwa begann, die Bestellungen auf Wunsch in unverdächtig neutralen Verpackungen zu verschicken. Nicht nur, dass der Konsum einbrach: Dort, wo er noch stattfand, hatte man plötzlich ungern Zeugen dafür. Der grosse Designershoppingsack, eben noch Trophäe, erschien mit einem Mal unzeitgemäss, zu laut, vielleicht sogar den falschen Werten verpflichtet. Das Logo wurde lästig, das Traditionelle neu entdeckt. Modefirmen besannen sich auf ihre Geschichte und legten alte Entwürfe neu auf. In dieser Hinsicht das Paradestück sind die Flechttaschen von Bottega Veneta, deren Herstellung sich mühseliger italienischer Handwerkskunst verdankt und deren Marke und hoher Preis sich nur den Modeinteressierten erschliesst. Und die Mode? Sie wurde weniger flamboyant. Man sprach vom Neuen Angezogensein – und meinte knielange Jupes, hohe Taillen und Marc Jacobs’ hochgeschlossene Margaret-Thatcher-Bluse.

2. Vintage

Die hochgeschlossene Bluse, die Marc Jacobs für den Winter 2004 entwarf, steht noch für ein weiteres Thema: Retro, oder, wie es in den Nullerjahren zu heissen begann: Vintage. Marc Jacobs hat das Thema über das gesamte Jahrzehnt hinweg souverän bespielt, mit leichten Vergangenheits-Anspielungen, dennoch immer gegenwartsnah. Seine Rüschenbluse mit Masche am Hals zitierte die Achtzigerjahre, ihr Design aber wirkte noch zeitgenössisch genug, um nicht wie ein Originaldesign auszusehen. Obwohl: Auch das wäre in den Nullerjahren kein Problem gewesen. Die Faszination an Vintage war ja gerade, dass ein Kleidungsstück nach Jahrzehnten wieder eins zu eins getragen werden konnte. Zum einen kam das dem Wunsch nach Individualität entgegen, der die Mode der Nullerjahre prägte. Zum anderen ist Vintage eine praktische Sache, wenn das Shopping in Verdacht gerät. Am Ende gab es Vintage in allen Formen: Fake-Vintage (nachgenähte alte Entwürfe), Fast-Vintage (nachgenähte Entwürfe, aber aus alten Originalstoffen) oder Real-Vintage. Im Verlauf der Nullerjahre wurde Vintage zunehmend lax definiert. Erst zählten nur Designerstücke dazu, die aus den Achtzigerjahren stammten. Irgendwann galt schon die vorvorletzte Saison als Vintage – der Beschleunigung der Mode wegen, ein weiteres Merkmal der Nullerjahre.

3. Die neue Sachlichkeit

Den gekonntesten Umgang mit Vergangenheitsanspielungen beweist seit Ende der Nullerjahre Phoebe Philo. Gemeinsam mit Stella McCartney hat sie im letzten Jahrzehnt die Tragbarkeit vorangetrieben, angefangen bei Chloé, wo Philo zunächst die Assistentin Stella McCartneys war. 2001, als McCartney sich mit eigenem Label selbstständig machte, folgte Philo ihr als Chloé-Chefdesignerin nach. 2008 wechselte Philo auf den Chefdesignposten bei Céline und gilt seither als Frontfigur einer modernen rüschenlosen Eleganz. Bei Chloé mit Babydolls oder proportionsverzogen grossen Knöpfen noch ein wenig verspielt, zeigt sich diese Tragbarkeit heute pragmatischer.

Philo entwirft Kleider, die in ihr eigenes Leben passen. Ihr Erfolg als Designerin steht auch schlicht für einen Typenwechsel in der Branche, für den im Grunde auch der spätere Sturz John Gallianos als Zeichen zu sehen ist: vom Designer als exzentrische Kreativfigur zur Erscheinung mit Bodenhaftung und Blick auf die Verkaufszahlen. Marc Jacobs steht ebenfalls für diesen Typus. Oder Raf Simons als Chefdesigner von Jil Sander. Die klare Sachlichkeit findet sich, erfolgreich, längst auch im Massenmarkt. COS, der minimalistisch-edle Ableger von H&M, ist ein Beispiel. Die COS-Filialen sind schlicht, die Entwürfe fast immer monochrom. Anders als bei H&M zählen dort nicht Geschwindigkeit und die Vielfalt der Trends, sondern ein geradezu antizyklisch langsames Tempo sowie Variationen von Klassikern, gern in Schwarz.

4. Die neuen Märkte

Natürlich hat die neue Sachlichkeit einen Gegenspieler. Das kann sich als Opulenz äussern, als ein Zuviel an gefärbtem Pelz. Oder überhaupt an gefärbtem Pelz. Bisweilen ist die Macht der neuen Märkte in den Kollektionen zu sehen – daran, dass Armani oder Louis Vuitton plötzlich Qipaos auf den Laufsteg schicken, Variationen des chinesischen Etuikleids und seine Muster. Die neuen Märkte sind heute auch in den Kollektionen sichtbar, was zum einen daran liegt, dass die Luxusindustrie ihnen die Wachstumsraten verdankt. Zum anderen hat es mit Kontrast zu tun: Der Geschmack der neuen Märkte und der alten Märkte klafft bisweilen gut zwanzig Jahre auseinander. Die neuen Märkte fangen bei den Achtzigern an, nicht stilistisch, aber von der Luxusidee her. Es gilt: More is more. Im Westen hingegen hat man sich so weit vom Konzept des demonstrativen Konsums entfernt, dass mittlerweile sogar von Sinnmärkten die Rede ist, wie sie etwa die Studie «Statusfaction» des Gottlieb-Duttweiler-Instituts beschreibt. Die Devise für den Westen lautet: Erleuchtung statt Statuskonsum und «The Age of Less», wie das neue Buch von David Bosshart heisst.

5. Der Obama-Effekt

Und zum Schluss hat Michelle Obama bewiesen, dass sich eine Nation sehr wohl modisch neu erfinden kann. Jeder der nahezu unbekannten Designer, die sie trug, wurde quasi über Nacht bekannt. Ob es das rot-schwarze Etuikleid von Thakoon Panichgul war, das Michelle Obama am Abend des Nominierungsparteitags der Demokraten trug, oder die asymmetrische, écrufarbene Abendrobe von Jason Wu beim Inaugurationsball. Sie promotet eine Riege junger Designer mit asiatischen Wurzeln, die von der US-Sportswear nur die Praktikabilität und die Frische belassen haben. Der Rest ist Eleganz und Verfeinerung.