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Klotzen statt kleckern – Warum das Modelbusiness so tough wurde

Stil

Klotzen statt kleckern – Warum das Modelbusiness so tough wurde

  • Text: Alfons KaiserFoto: Imaxtree.com

Früher hiess es für ein Model: Casting, Anprobe, Show. Heute ist alles viel komplizierter. Denn der Aufwand für die Schauen ist zuweilen grotesk.

Früher hiess es für ein Model: Casting, Anprobe, Show. Heute ist alles viel komplizierter. Denn der Aufwand für die Schauen ist zuweilen grotesk.

Vor den Schauen herrschte schon immer Stress. Make-up-Leute tragen dick auf, Coiffeusen zupfen an den Haaren herum, Stylisten legen Falten flach, Kameramänner krümmen sich, Modelmanager schauen auf die Uhr, Models simsen, Caterer legen Sandwichs nach, Designer schreien rum. Jetzt gibt es backstage einen ganz neuen Trend: Es wird alles noch viel schlimmer!

Und dafür sitzen in New York, Paris, Mailand und London viele Gründe herum, nämlich mehr Models denn je. Früher gab es Designer, die kamen für eine Kollektion mit einem Dutzend Mädchen aus. Man sah die Models dann die letzten Schritte vom Laufsteg hinter die Bühne rennen, weil sie sich schnell um-ziehen mussten, um gleich wieder eine Runde zu drehen. Heute stolzieren sie oft ruhig nach hinten. Sie müssen ja nur noch einmal am Ende raus, denn es sind noch drei oder gar vier Dutzend weitere Mädchen am Start.

Für die Schauen wird heute ein Aufwand betrieben, der gross bis grotesk ist. Man will eben zeigen, was man kann. Denn die Defilees sind trotz ausufernder Modeblogs und unendlicher Bilderfluten das wichtigste Marketingtool der Labels. In Mailand haben sich Armani, Versace, Bottega Veneta, Dolce & Gabbana eigene Schauenpaläste gebaut. In Paris holt sich Chanel zu den Lagerfeld-Festspielen mehr als 2000 Gäste ins Grand Palais. Und als bei einer 1000-Besucher-Schau wegen eines Sponsors nur Sekt ausgeschenkt werden durfte, entschuldigte sich das Label wortreich dafür, dass es keinen Champagner gab.

Backstage herrscht der Luxusboom in Form von vielen Mädchen. Das macht es eng. Denn all die Alanas, Alessandras und Anastasias müssen ja vorher noch geschminkt und frisiert werden. All die Nataschas, Nadjas und Nadines müssen noch Interviews geben und den Designer küssen. Und in den Tagen zuvor mussten all die Snejanas, Sophies und Swetlanas schon zum Vor-stellen und zur Anprobe. Auch da wird es schlimmer. «Früher hiess es: Casting, Anprobe, Show», sagt Yannis Nikolaou, Chef der Hamburger Agentur Place Models. «Heute ist alles viel komplizierter. Ein Mädchen habe ich bei einem Label fünf Mal zum Casting geschickt.» Auch wer die Anprobe hinter sich hat, ist nicht automatisch gebucht. Die Unsicherheit läuft dauernd mit.

Die Designer nutzen natürlich den Preiszerfall wegen der ständig aus Osteuropa und der ganzen Welt nachrückenden Modelkonkurrenz aus. Linda Evangelista stand einst überhaupt erst für 10 000 Dollar auf. Vorbei! Heute werden die Models in Mailand mit vielleicht 500 Euro und in New York mit Trade abgespeist, also einer Jacke oder einer Bluse. Und wenn die Mädchen in ihrer Model-WG abends duschen, wacht die Mitbewohnerin über das Handy. Denn man weiss nie: Marc Jacobs rief Models auch schon nachts um vier Uhr zum Request.

So ein Leben nervt. Ein paar Stunden des New Yorker Nachwuchsmodels Antonia Wesseloh letzte Saison sahen etwa so aus: Proenza-Schouler-Casting (Downtown), Richard-Chai-Schau (Uptown), zweites Diane-von-Furstenberg-Casting (Downtown), Tadashi-Shoji-Schau (Uptown), immer hin und her, zwölf Termine am Tag. Zwischendurch fragte Antonia ihre Agentin: «Können wir dann wieder nicht auf die Toilette?» Bei einem so brutalen Rhythmus bleibt für gar nichts mehr Zeit. Ein Wunder, dass sich immer mehr Mädchen das antun wollen. Agent Yannis Nikolaou jedenfalls überlegt, seine Mädchen gar nicht mehr zu den Schauen zu schicken. Den Lauf der Dinge auf dem Laufsteg wird er damit wohl nicht aufhalten.

Alfons Kaiser ist Modejournalist der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»