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Making-of: Susanne Bartsch — eine Frau für alle Ausnahmefälle

Stil

Making-of: Susanne Bartsch — eine Frau für alle Ausnahmefälle

  • Text: Silvia Binggeli; Fotos: Yves Bachmann

«Ausgefallene Looks zu kreieren, macht mich high», sagte Susanne Bartsch beim Modeshooting für annabelle. Wir habens der Queen der New Yorker Nächte sofort geglaubt.

Im Fotostudio liegen so viele Perücken, als gäbe es hier gleich eine Cabaretvorstellung: lockiges Kunsthaar, geflochtenes, schwarzes, hellbraunes, dunkelbraunes, Chignons, Afros, Pferdeschwänze, auf den Verpackungen steht «Long Babe», «Multi Ball» oder «Doll». Susanne Bartsch hat sie für das Shooting aus New York mitgebracht. Was wäre wohl dem Zöllner durch den Kopf gegangen, hätte er ihren Koffer geöffnet? Gewiss nicht der wahre Grund für die Mitbringsel: Susanne Bartsch, Performancekünstlerin par excellence und Eventproduzentin, ist Perfektionistin: Bevor sie posiert – und das kann sie wie keine andere –, muss alles stimmen. Selbst wenn nur ihr Gesicht fotografiert wird, stylt sie sich vom Scheitel bis zu den Heels, Ehrensache für eine, die seit Jahrzehnten von einer Rolle in die nächste schlüpft wie andere in frische Hemden. «Ich habe mir eine Welt geschaffen, in der ich mich gern bewege», sagt die Künstlerin, die grad im Bademantel aus der Garderobe kommt und nach der Hairstylistin verlangt, «eine Strähne am Hinterkopf sitzt noch nicht».

The Queen of the Night

Für das Shooting der neuen Kampagne von annabelle ist sie nach Zürich gereist. Bereits am Morgen des Vortags hatte sie für Starfotografin Paola Kudacki posiert. Danach probierte sie für diese Aufnahmen einen Nachmittag im Fundus der Redaktion Outfits an. Von Müdigkeit keine Spur. «Ich liebe, was ich mache», erklärt sie schlicht ihre Dauervitalität. Ihre New Yorker Partys sind legendär. Wo Susanne Bartsch, The Queen of the Night, wie die «New York Times» sie nannte, einlädt, kommt Jung und Alt, Schwul und Szenig – Opulenz und Spass ist Programm. Susanne Bartsch ist Hauptakt und Gastgeberin in einem, von Herzen, mit Leib und Seele. Auch hier wird für sie eine Bühne gebaut. Die beiden Schweizer Fotografen Michael Meier und Rico Scagliola, bei internationalen Magazinen und in der Kunstszene grad sehr begehrt, haben das Material zusammengetragen: einen Panther, die indische Gottheit Shiva, menschengross, Palmen, die Büste einer Schaufensterpuppe. «Wobei», sagt Rico Scagliola, «eigentlich ist Susanne selber schon ein Bild.»

Die Kunst des schrillen Auftritts hat sie früh geübt. Schon als kleines Mädchen bastelte sie sich Outfits mit allem, was im Haus zu finden war, von der Wolldecke bis zur Osterdekoration. Susanne Bärtsch, Tochter einer «typischen Hausfrau» und eines Kunsttischlers, wuchs in den Fünfzigerjahren in der Berner Agglomerations-Ortschaft OFBümpliz auf. Eine einjährige Lehre als Modeverkäuferin, dann zog es sie in die Welt. Sie reiste nach England, um als Aupair die Sprache zu lernen. Doch bald liebte und lebte sie vor allem das Swinging London. Mehr zufällig begann sie, Strickpullis zu entwerfen (sie wollte etwas Besonderes für sich haben), in denen dann Rockstars wie Jimmy Page und Mick Jagger über die Bühne fegten. Aus Bärtsch wurde Bartsch, der Internationalität wegen.

Das Alter spielt keine Rolle

«Das Kreieren von ausgefallenen Looks macht mich high», erklärt sie den Kick ihrer extremen Auftritte, als sie sich im Studio für die nächste Session noch schnell mit Thierry Muglers Angel einparfümiert. Sie trägt einen auf den ersten Blick unschuldigen rosa Tülltraum, dazu einen schwarzen Hut mit silbernen Hasenohren. Über ihren üppig schwarz umrandeten Augen prangt schwarzer Tüll, dazu silbrig glitzernde Lippen. Sie sieht aus wie die freakige kleine Schwester der Schneekönigin, der Gesichtsausdruck ist dramatisch. Sie wirft den rosa Tülltraum für die Fotografen in die Luft, bewegt ihren grazilen Körper von der Hüfte aus in alle Himmelsrichtungen, auf Monsterhighheels und in Slowmotion, weil die Blitzanlage nicht mithalten könnte mit dem Tempo, das sie sonst auf dem Dancefloor ihrer New Yorker Partys hinlegt. Bedenkt man, dass Susanne Bartsch mittlerweile immerhin schon dreissig Jahre Partyqueen ist, so ist diese Beweglichkeit beeindruckend – oder verstörend. Man entdeckt auf ihrem Körper und in ihrem Gesicht nur wenige Spuren der Zeit. «Für jemanden wie mich spielt Alter keine Rolle», wischt sie das Thema charmant vom Tisch.

Style-Instinkt

In den frühen Achtzigern zog Susanne Bartsch mit einem befreundeten Maler ins angesagte New Yorker Chelsea Hotel. Dort, wo einst Rockstars wie Patti Smith, Bob Dylan und Janis Joplin ungezügelt feierten und Sid Vicious seine Freundin umgebracht haben soll, lebt sie bis heute. Man sagt ihr nach, sie hätte den coolen Londoner Kleidungsstil ins modisch damals eher monotone New York gebracht. Sie liess die schrillen Klamotten aus London liefern und verkaufte sie in der eigenen Boutique. Ihre Looks waren in der Hipsterszene ebenso begehrt wie in Andy Warhols Studio 54, das sie regelmässig besuchte. Bald bestellten auch grosse Kaufhäuser Kollektionen aus England. «Etwa John Galliano und Vivienne Westwood», sagt sie.

Den untrüglichen oder eher unerbittlichen Instinkt fürs Stylen hat sie nicht verloren: Im Vorfeld des annabelle-Shootings hatte Susanne Bartsch mit dem Stylisten tagelang – oder besser gesagt nächtelang – hin- und hergemailt, um die passenden Outfits zu finden. Sie schlug wenig bekannte japanische Schmuckdesigner vor, Insidernamen wie Pam Hogg aus England. Grosse Kreateure wie Jean Paul Gaultier, Viktor & Rolf oder Prada schickten gern Kleider für La Bartsch. Andere, konventionellere, sagten nett ab. Auch Nicolas Formichetti, Hipkreateur und Hofdesigner von Lady Gaga, gehört heute zu Bartschs Freunden und feiert an ihren Partys im angesagten Hotel Standard im New Yorker Meatpacking District mit. Über ihre berühmte Entourage spricht Susanne Bartsch nur auf Nachfragen, ihre uneitle Berner Bodenständigkeit bewahrt sie auch im Englischen, das sie mit starkem Akzent spricht.

«I’m pretty much always myself»

In der wenigen freien Zeit, die ihr in der Schweiz bleibt, besuche sie ihre Schwester in Biel – das erzählt sie ungefragt. Ihre Eltern, denen sie zuvor aus New York jahrelang Artikel über sich schickte, habe sie beide vor kurzem innerhalb eines Jahres verloren. «Man muss Trauer akzeptieren», sagt sie, «das ist der wichtigste Schritt in der Bewältigung.» Sie sei mit oder ohne Kostüm «pretty much always myself, thank you». Nur traurig sei sie zuhause öfter als auf der Bühne. Daheim im Chelsea Hotel trägt sie Jeans und erledigt die simplen Büroarbeiten einer professionellen Eventproduzentin, zum Beispiel ihre Gäste nach alter Schule persönlich anzurufen. So ganz scheint Susanne, geborene Bärtsch, ihre Herkunft nicht vergessen zu haben: Als sie mit Mitte vierzig Mutter wird, entsagt sie dem Partyleben und bleibt jahrelang zuhause. «Ich konnte mich nicht um zwei Babys – meinen Sohn und meine wöchentlichen Events – gleichzeitig kümmern.»

Sie brauche andere, die sie spiegeln, sagt ihr Make-up Artist Daniel Adam, den sie aus New York mitgebracht hat. «Wie findest du das?», fragt sie ihn und auch den Stylisten sehr höflich, bevor sie entscheidet, ob sie knielange Lederstiefel tragen soll. Draussen ist es längst Nacht geworden. Susanne Bartsch, alterslose Partykönigin, tanzt durch Rauchschwaden aus der Maschine. Im Studio wippt das gesamte achtköpfige Team, von der Assistentin bis zu den Fotografen, gut gelaunt mit. Warum, Susanne Bartsch, darf die Party nie zu Ende gehen? «Ich liebe die Menschen. Sie zusammenzubringen, sie lachen zu sehen, das ist es, was mir all die Energie gibt.»

 

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1.

Dreamteam im Fotostudio annabelle: Die beiden Fotografen Michael Meier (l.) und Rico Scagliola.

2.

Susanne Bartsch mit annabelle-Moderedaktor Philipp Junker.