
Sehnsuchtsort: Engadiner Luftschloss
- Text: Frank HeerIllustration: Nicole Schmauser
Das Sparschwein ist gekauft. Jetzt muss jede Menge Kohle hinein – für die Turmsuite im «Waldhaus» Sils.
Kürzlich, im «Waldhaus» Sils, sass ich im grossen Salon und liess meinen Blick über den Rand einer internationalen Tageszeitung schweifen. Ich sah über Perserteppiche und samtene Fauteuils und malte mir aus, wie es wäre, hier die alten Tage zu vertrödeln. Dylan Thomas lebte im New Yorker «Chelsea», Coco Chanel im Pariser «Ritz». Und ich, ich würde die Turmsuite im Silser «Waldhaus» bewohnen.
Meinen Ruhestand führte ich in Gemächlichkeit. Morgens schriebe ich an meinem 1500-seitigen Abenteuerroman, nachmittags löste ich im dreiteiligen englischen Anzug Kreuzworträtsel im Salon. Dazu gäbe es Marmorkuchen à discrétion. Nach dem Abendessen schlüpfte ich heimlich in meine grünen Wellington-Stiefel, um im Schein der Stirnlampe nach meinen Hanfstauden im Kräutergarten zu sehen. Mein Gras wäre das beste in Sils-Maria, und meine Freunde kämen von weit her, um es zu testen. Wir würden über alte WG-Zeiten reden, neue Pläne aushecken und das Chillum herumreichen. Später rollten meine Freunde zum Ärger meiner Frau ihre Schlafsäcke im Turmzimmer aus. Die Schnarcherei wäre kaum auszuhalten, doch so ein Seniorenabend ist gut fürs Gemüt.
Ich wollte mich gerade in einen Artikel über Weltraumhotels vertiefen (eine Variante zum Turmzimmer?), als das Trio Farkas, die bratislavische «Waldhaus»-Kapelle, mit dem Nachmittagsständchen begann. Ich geriet erneut ins Fabulieren und überlegte, welche Bücher sich in meiner Suite stapeln würden: die Koch-Enzyklopädie «Der grosse Larousse Gastronomique», «Denn sie wussten was sie tun – eine Rückblende» von Timothy Leary, «Krieg und Fried …» – dann nickte ich ein und träumte, ich sei mit Christoph Marthaler auf Murmeltierjagd im Fextal. In Knickerbockern und roten Socken. Ich erlegte drei Tiere (die Pelze wollte ich im Dorf an reiche Russinnen verkaufen), danach bestellte ich im Hotel Sonne einen Blauburgunder. Ich zwinkerte der Servierdüse zu, die aussah wie Claudia Cardinale in «Spiel mir das Lied vom Tod». Beim Abstieg zum «Waldhaus» freute ich mich auf eine Runde Schach mit Felix Dietrich, dem Gastgeber des Hauses. Doch unterwegs vom Turmzimmer ins Arvenstübchen stellte sich mir ein gigantischer Marmorkuchen in den Weg und quietschte: «Hände hoch.» Ich schlug wie wild mit meinem Gehstock auf den Kuchen ein … da wachte ich schweissgebadet in meinem Fauteuil auf.
In zwanzig Jahren werde ich das Schwein zertrümmern
Die Leute im Salon klatschten. Das Trio Farkas hatte gerade die letzte Zugabe gespielt. Ich klatschte mit, dann notierte ich den Traum ins Moleskine, schnürte den Rucksack und machte mich auf zur Postautostation. Im Schaufenster eines Souvenirladens stand ein rotes Sparschwein mit weissen Tupfen. Ich dachte an meine Turmsuite, ging hinein und kaufte das Schwein. In zwanzig Jahren werde ich es zertrümmern. Rechtzeitig zur Pensionierung.
Früher gehörten die Permanent Residents, die Dauergäste mit Wohnrecht, zur Familie vieler grosser Hotels. Heute bieten in der Schweiz nur noch wenige Häuser Miet- oder Eigentumswohnungen an. Ausnahmen sind etwa das Eden Mountain Resort in Arosa (www.eden-mountain-resort.ch) oder das «Waldhaus» in Flims (www.waldhaus-flims.ch)
«Waldhaus» Sils: Turmsuite ca. 1600 Fr. pro Nacht (HP, Hochsaison). Kaufen kann man sie leider nicht; www.waldhaus-sils.ch
Frank Heer (45) ist annabelle-Reporter