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Finnische Designwelle

Stil

Finnische Designwelle

  • Redaktion und Interview: Line Numme; Fotos: Anne Gabriel-Jürgens (1), Alvar Aalto Museum (1), Zara Pfeifer (1)

Suomi, Suomi! Hundert Jahre Finnland: Wir sagen happy Birthday und feiern das coole Design des Landes.

Alles Aalto

Alvar Aalto ist der finnische Architekt und Designer schlechthin. Seine Arbeiten sind weit über die Grenzen Finnlands hinaus berühmt. Artek, die von ihm gegründete Möbelfirma, feiert das finnische Jubeljahr mit der Einführung seiner L-Leg-Produkte in steinweissem Lack und neuen Farben für Linoleum-Oberflächen. Ebenso wurden die Pflanzentöpfe von Aino Aalto, Alvar Aaltos Partnerin, wieder aufgelegt.

– Finland 100 Aalto Specials, Tisch L-Leg 80A ab ca. 1000 Fr., Pflanzentopf Riihitie, 3 Grössen, ab ca. 60 Fr., artek.fi

Wohnredaktorin Line Numme traf im vergangenen Jahr Designdozent und Alvar-Aalto-Kenner Ville Kokkonen (40) aus Helsiniki zum Interview. Der Experte verriet, warum die Möbelkreationen der finnischen Design-Ikone gerade in der Schweiz so beliebt sind.


Ville Kokkonen an seinem Esstisch – natürlich von Alvar Aalto

«Magus des Nordens» nannte ihn Sigfried Giedion. Der Schweizer Architekturhistoriker und Propagandist des Neuen Bauens sowie Mitgründer des Zürcher Einrichtungsgeschäfts Wohnbedarf war in den Dreissigerjahren ein glühender Fan des finnischen Architekten und Designers Alvar Aalto, dessen Nachname auf Deutsch Welle bedeutet. Zusammen mit Alfred Roth, dem Erbauer der Doldertalhäuser in Zürich, war Giedion dafür verantwortlich, dass Aalto eine besonders enge Beziehung mit der Schweiz einging. Aaltos Herangehensweise schlug in der Schweizer Architekturszene grosse Wellen. Im Zuge der Moderne galt der Finne als Vorzeigefigur für gute Gestaltung, weil er wie kein anderer die Fähigkeit besass, die Freiheit der Form mit der Zweckmässigkeit von Möbeln aus serieller Fabrikation in Einklang zu bringen. So war es auch das Einrichtungshaus Wohnbedarf, das 1935 bei der Geburt der Firma Artek als Vorbild diente. Das von Alvar Aalto und seiner ersten Frau Aino sowie Kunstsammlerin Maire Gullichsen und Kunsthistoriker Nils-Gustav Hahl in Helsinki gegründete Unternehmen hatte wie Wohnbedarf das Ziel, rationales Einrichten zu fördern und darüber hinaus die zeitgenössische Kunst bekannt zu machen. Artek war dabei ziemlich erfolgreich – es gibt kaum einen finnischen Haushalt, in dem kein Aalto-Möbel steht. Vom Hocker Stool 60 wurden bisher über eine Million Exemplare hergestellt. Manche davon sind auch hierzu- lande zu finden. So etwa in einer alten Spinnerei am Walensee, wo Ville Kokkonen, Berater und ehemaliger Head of Design bei Artek, für sich und seine Frau einen Loft mit viel nordischem Flair eingerichtet hat.

annabelle: Ville Kokkonen, wie hat es Sie eigentlich aus Finnland in die Schweiz verschlagen?
Ville Kokkonen: Meine Frau (Künstlerin Florencia Colombo; die Red.) und ich wollten raus aus Helsinki. Die Wahl fiel auf Zürich, weil es sehr zentral liegt und nur zwei Flugstunden von Helsinki entfernt ist. Ausserdem besitzt die Stadt eine interessante Kunstszene, und ich besuche sehr gern Vorlesungen an der ETH. Ich habe eine Affinität zu guten technischen Hochschulen. Ich selbst unterrichte an der Hochschule für Kunst und Design der Aalto-Universität in Helsinki. Und dann waren da vor allem die Berge, diese weissen Berge, die man schon von Zürich aus sieht. Ich wollte näher ran. In Finnland haben wir ja keine.

Was macht finnisches Design aus? Gibt es eine bestimmte finnische Design-DNA, die bei Alvar Aalto, aber auch bei Ihnen selbst zu finden ist? Auf den ersten Blick wirken Aaltos Entwürfe vor allem organisch.
Aaltos Designsprache ist eigentlich gar nicht so organisch oder formal frei. Jede Kurve hat eine Funktion. Sein Paravent beispielsweise steht nur aufgrund seiner geschwungenen Linie. Er hat also nicht organisch entworfen, sondern die Formen haben sich ergeben. Ich, wie eigentlich alle Finnen, wuchs mit Aalto und seinen modernistischen Einflüssen auf. Es gibt kaum einen Haushalt ohne ein Artek-Möbel. Kann gut sein, dass sich das in meinem Designverständnis manifestiert hat. Ich persönlich bin vielleicht noch etwas puristischer veranlagt als andere Designkollegen und achte noch mehr auf die Funktionalität als auf die Form. Darum mag ich übrigens auch das Schweizer Design, das sehr von technischer Innovation geprägt ist, zum Beispiel in der Uhrenindustrie.

Wie geht man als nachfolgende Designgeneration mit einem solchen Gestaltungserbe um?
Ich denke, es bietet die perfekte Basis, um darauf aufzubauen. Zu Aaltos Zeiten gab es noch keine Computer, kein Internet, kein 3D-Printing. Heute denken wir weiter, weil wir Zugang zu neuen Technologien haben. Die Denkweise ist entscheidend, um die neuen Möglichkeiten auch auszuschöpfen.

Was hatten Sie für Ziele für die Firma Artek, als vor zehn Jahren die Zusammenarbeit begann?
Artek war zu seiner Gründungszeit ein sehr radikales Unternehmen. Die Arbeit Aaltos und seiner Mitgründer ging weit über das Möbelentwerfen hinaus. Sie betrieben auch eine Galerie und einen Filmclub und förderten damit die einheimische Kunstszene. Finnland war zu jener Zeit sehr arm und hatte eigentlich ganz andere Sorgen. Trotzdem investierte Artek vielin die Verbreitung von Kunst und Gestaltung im Land und darüber hinaus. Es ging nicht nur darum, Möbel zu verkaufen und Profit zu machen, sondern Artek war auch eine kulturelle Institution. Ein Aspekt, den ich in der heutigen Zeit mit diversen Projekten wieder aufleben lassen wollte. Mittlerweile habe ich meine Position als Designverantwortlicher aufgegeben und kümmere mich als externer Berater ausschliesslich um besondere Projekte, zum Beispiel Ausstellungen oder Research-Aufgaben.

Ihre Beziehung zu Artek scheint sehr eng zu sein. Fühlt sich das an, wie zu einer Familie zu gehören?
Artek ist nicht nur eine Firma. Das Unternehmen steht der Alvar Aalto Foundation sehr nahe, die sich stark für den Erhalt und die Verbreitung von Aaltos Vermächtnis einsetzt. Ja, in Finnland gibt es in der Tat eine grosse Artek-Familie.

Es ist interessant, dass Sie nun ausgerechnet in der Schweiz leben. Waren oder sind Sie sich über die Bedeutung Aaltos hierzulande bewusst?
Ja, in der Artek-Geschichte gibt es ein grosses Kapitel über die Zusammenarbeiten mit dem Zürcher Wohnbedarf und über Aaltos ausgiebige Reisen in die Schweiz. Aber erst als ich hierherzog, begann ich mich intensiver damit auseinanderzusetzen. Ich führte zum Beispiel lange Gespräche mit Schweizer Architekten, die in Finnland für Alvar Aalto gearbeitet hatten. Ich erfuhr dabei auch viel Persönliches, zum Beispiel wo er in Zürich am liebsten zum Essen ausging oder dass er einen Arzt in Davos hatte, den er regelmässig aufsuchte. Auch sein erstes internationales Projekt wurde hier verwirklicht – der Umbau des Dancings im Corso-Gebäude am Zürcher Bellevue.

Was, meinen Sie, faszinierte Alvar Aalto an der Schweiz, und warum sind umgekehrt wir so von ihm angetan?
Ich denke, da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Aber der bedeutendste ist vielleicht, dass er die Schweizer Präzision sehr zu schätzen wusste. Nicht von ungefähr stellte er gern Schweizer Architekten ein, weil sie einfach genauer arbeiteten als die Finnen.Er nannte sie seine Schweizergarde. Alvar Aalto war ein Mensch, der sich immer gern dort aufhielt, wo Entscheidendes geschah. Und in den Dreissigerjahren war in der Schweiz um Le Corbusier mit der Bauhaus-Bewegung und andere Architekten und Gestalter wie Alfred Roth oder Marcel Breuer im Zuge des Neuen Bauens viel los. Es war eine gemeinsame kulturelle Szene.

Die Vorliebe der Schweizer für skandinavisches Design ist ungebrochen, wenn nicht sogar grösser denn je. Woran könnte das liegen?
Ich glaube, es hat grundsätzlich mit unserer Natur zu tun. Wir Skandinavier erleben sie mitunter als recht brutal mit unseren kurzen Sommern und langen Wintern. Und auch das Leben in der Schweiz mit ihren Bergen wird stark durch die Natur beeinflusst. Diese Umstände haben Auswirkungen auf Architektur und Einrichtung. Ich denke dabei etwa an ein Möbel wie die Stabelle, die fast in jedem Schweizer Dorf traditionell anders aussieht, weil der lokale Schreiner sie gefertigt hat. Zweckmässigkeit und Qualität waren und sind immer entscheidend. Da sind wir uns sehr ähnlich. Wir sprechen dieselbe Designsprache.


Alvar Aalto in den Sechzigerjahren in seinem Studio in Helsinki. Rechts: Ville Kokkonen an seinem Esstisch – natürlich von Alvar Aalto

Der Übervater

Hugo Alvar Henrik Aalto wurde 1898 in Kuortane, Finnland, geboren und starb vor vierzig Jahren in Helsinki. Er zählt neben Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe und Frank Lloyd Wright zu den grossen vier Architekten des 20. Jahrhunderts. Sein grösstes Anliegen war die «Humanisierung der Architektur» – die Orientierung der Gestaltung am menschlichen Körper und seinen Bedürfnissen. Zahlreiche junge Architekten und Designer nahmen sich an ihm ein Beispiel. Nach 1945 strömten ganze Scharen von angehenden Schweizer Gestaltern nach Norden zu Aalto, um von ihm zu lernen. Aaltos Werkverzeichnis umfasst über 500 Projekte, von denen ungefähr 200 verwirklicht wurden. Darunter das Hochhaus Schönbühl in Luzern oder die originale Inneneinrichtung des Dancings Mascotte in Zürich aus dem Jahr 1934. Sein bekanntestes Bauwerk ist das für Tuberkulosekranke errichtete Sanatorium im finnischen Paimio. Zu Alvar Aaltos wichtigsten Möbelentwürfen zählt der Hocker Stool 60. Für diesen verwendete er erstmals seine patentierte L-Form, eine im 90-Grad-Winkel gebogene Birkenholzleiste, die zu seinem Markenzeichen wurde. Im Möbelwerk in Turku, wo der Hocker seit 1933 produziert wird, ist das Geheimnis seiner Herstellung nach wie vor wohl gehütet.

– Weitere Infos: villekokkonen.net; artek.fi; vitra.com

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