
Bye, Body Positivity? So verändert Ozempic unser Schönheitsideal
Das Medikament Ozempic verspricht allen, die nur wollen, schlank zu sein. Abnehmen tut damit nicht zuletzt unsere Toleranz gegenüber mehrgewichtigen Körpern.
- Von: Sandra Brun
- Bild: Instagram / palomija
Inhaltshinweis: Körperbilder, Körperwahrnehmung
Bis vor fünf Jahren glaubte Felicity Hayward, es habe sich wirklich etwas verändert. Das englische Plus-Size-Model posierte für die britische «Vogue», gab Ted-Talks, shootete Kampagnen für grosse Werbekunden wie Mac Cosmetics oder River Island – stolz, schön, selbstbewusst. Hayward initiierte das Projekt «Including the Curve», mit dem sie sich für mehr Körperdiversität auf den Laufstegen und eine grössere Konfektionsgrössenvielfalt bei den Modelabels stark machte.
Immer häufiger zeigten Designer:innen ihre Mode an curvy Models, einige von ihnen, wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser, wurden zu Topmodels mit Honoraren in Millionenhöhe. Hayward und ihre Kolleginnen standen für Schönheit abseits der Norm; für all die Frauen da draussen, die nie dem Schlankheitsideal entsprachen.
Doch diese Zeiten scheinen vorbei. «Alles, wofür wir hart gearbeitet haben, verschwindet langsam. Die Marken und Designer:innen verdrängen uns von ihren Laufstegen, aus ihren Entwürfen und Überlegungen.» So beschrieb Hayward vor Kurzem in der britischen Zeitung «Times» die Trendwende, die sie gerade erlebt.
Ihre Wortwahl wird sogar noch drastischer: «In vielerlei Hinsicht möchte ich aufgeben. Aber das werde ich nicht tun, denn Kleidung kann im Trend sein, aber unsere Körper sollten es niemals sein.»
Im Rahmen ihres Projekts sammelt Hayward für das Magazin «Glamour» seit September 2022 Zahlen zu sämtlichen Fashion-Week-Events und beobachtet von New York bis Mailand dieselbe Entwicklung: Die Anzahl der Models ausserhalb der Kategorie «Sample Size» geht stetig zurück. Seit September letzten Jahres hat sie sich fast überall halbiert. «Sample Size» meint die kleinste verfügbare Grösse – also oft 34.
Der Size Inclusivity Report von «Vogue Business» beschreibt es noch eindrücklicher: Von den Looks, die die Designer:innen in diesem Frühjahr an den Fashion Weeks für die kommende Herbst-/Winter-Saison zeigten, wurden weniger als ein halbes Prozent von Plus-Size-Models mit Grösse 44 oder mehr getragen. In konkreten Zahlen sind das von rund 8700 Looks gerade einmal 26.
"Dicke Körper verschwinden wieder von den Laufstegen. Fast so, als hätte es die Body-Positivity-Bewegung nie gegeben"
Man könnte es auch so formulieren: Dicke Körper verschwinden wieder von den Laufstegen. Fast so, als hätte es die Body-Positivity-Bewegung – also den Aufruf zu einer grösseren Akzeptanz unterschiedlicher Körperformen, der in den 2010er-Jahren seinen Höhepunkt erreichte – nie gegeben. «Es bricht mir das Herz», schreibt Hayward in ihrem Essay.
Körper, an denen sich nichts bewegt
Das Model gibt der «Abnehmspritze» Ozempic die Schuld an der Kehrtwende. Ursprünglich als Diabetesmedikament entwickelt und seit 2022 in Europa auch zur Behandlung von Adipositas zugelassen, verspricht das Medikament so verführerisch wie markttauglich das, was für die meisten Frauen einem Traum gleichkommt: Ein schlanker Körper und die volle Kontrolle über das eigene Gewicht – ohne dafür den eigenen Lebensstil wirklich umstellen zu müssen und unabhängig der individuellen genetischen Prägung.
Es hat sich ein Hype um Ozempic entwickelt, der sich in den Sozialen Medien in Vorher-Nachher-Fotos selbst jener Inf luencer:innen spiegelt, die sich einst für Body Positivity einsetzten, in Bildern schrumpfender Hollywoodstars, in Erfolgsgeschichten rund ums Abnehmen, wie sie an privaten Dinnerpartys erzählt werden, in Zeitschriften – und eben im Verschwinden grosser Körper im Modebusiness.
Die Schweizerin Ronja Furrer teilt Haywards Beobachtung. Furrer arbeitet selbst als Model, ist zudem Chefin ihrer eigenen Modelagentur. Ihre Einschätzung ist allerdings komplexer. Gerade erst hat ihre Agentur Kinship ihr erstes Curvy-Model unter Vertrag genommen; die Nachfrage sei da, für nationale wie internationale Kunden.
Von ihren eigenen Model-Jobs kennt Furrer zahlreiche Plus-Size-Kolleginnen – doch auch die bekommen wie Hayward immer weniger Laufsteg-Aufträge. «Die High-Fashion-Welt sucht ständig nach neuen Hypes, die für Aufmerksamkeit sorgen», konstatiert sie. «Schlussendlich kehrt die Branche aber doch immer wieder zum Gewohnten zurück: zu Sample Sizes und dünnen Körpern, an denen sich nichts bewegt. Ein Look, bei dem man sich nur auf die Kleidung konzentriert.»
Diätkultur im Aufwind
Auch Fettaktivistin Melanie Dellenbach, die sich seit mehr als fünfzehn Jahren gegen Gewichtsdiskriminierung einsetzt, beobachtet den Wandel: «Wir sind in einer Phase, in der die Diätkultur mit ihren Medikamenten wieder sehr, sehr stark Aufwind kriegt.» Abnehmen werde in den Medien vermehrt thematisiert; über 3200 Berichte befassten sich laut der Schweizer Mediendatenbank in den letzten zwei Jahren allein mit Ozempic.
«Es gibt kaum ein Entkommen, egal welches Onlinemedium oder welche Plattform man aufruft. Zeitweise werden pro Woche mehrere Artikel über Ozempic und Co. veröffentlicht.» Die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel Swissmedic ist sogar der Ansicht, einige der Artikel würden die Grenze zur Werbung überschreiten; seit Anfang des Jahres geht sie gegen drei Schweizer Medienkonzerne vor, die Verfahren laufen.
Medikamente wie Ozempic machen häufig den Anschein, eine einfache Lösung zur Gewichtsreduktion zu sein – von den die Kosten in Höhe von 130 bis 500 Franken pro Monat je nach Dosierung und von Gesundheitsrisiken wird hingegen wenig gesprochen. Auch nicht davon, dass eine lebenslange Behandlung nötig ist, um das neue Gewicht zu halten. Diese greift massiv in den Stoffwechsel ein, denn Ozempic und Co. ahmen das Hormon GLP-1 nach, welches der Körper eigentlich bei der Nahrungsaufnahme ausschüttet; das künstliche Präparat gaukelt ein Sättigungsgefühl vor.
Ausserdem verlangsamt sich die Magenentleerung. Die Behandlung manipuliert zudem das Belohnungssystem im Gehirn: Die Lust auf Junkfood sinkt. Nach einer ersten «Honeymoon-Phase» mit schneller Gewichtsabnahme erreicht der Körper aber irgendwann ein Plateau; ungebremst purzeln die Kilos auch mit dem vermeintlichen Wundermittel nicht.
Bald sollen die als Abnehmspritzen bekannten Substanzen auch in Tablettenform auf den Markt kommen, zudem ist besonders in den USA oft die Rede von sogenanntem Microdosing, bei dem Patient: innen eine tiefere Dosis des Medikaments einnehmen, für eine geringere, sanftere Reduktion des Gewichts – und weniger Nebenwirkungen. Grundsätzlich gilt aber zu beachten: Die Medikamente sind erst seit wenigen Jahren auf dem Markt, Langzeitstudien gibt es noch keine.
Trotz möglicher Nebenwirkungen von Schlafstörungen über Magenlähmung bis hin zum Darmverschluss erfreut sich die Abnehmspritze grosser Beliebtheit, gerade bei Schweizer:innen. Letzten Sommer veröffentlichte die Universität Zürich eine Studie, die aufzeigt, dass hierzulande pro Kopf mehr Ozempic konsumiert wird als in den USA, Kanada oder Deutschland.
Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner"Wir kehren zurück zu einer sehr radikalen und einheitlichen Vorstellung des richtigen Körpers"
Und das hat Folgen, auch für unser Schönheitsideal. «Ozempic schafft eine neue Kulturtechnik des Abnehmens. Wir kehren zurück zu einer sehr radikalen und einheitlichen Vorstellung davon, was der einzig richtige, gute Körper ist – und zum gesellschaftlichen Druck, dass wir optisch alle damit übereinstimmen müssen», sagt die österreichische Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner, die an der Universität Wien zu Körperidealen forscht.
Dem westlichen Schönheitsideal entspricht heute ein skulpturaler Körper, der keinen Eigensinn hat, sondern beherrscht wird. Konkret also einen, der nicht schwabbelt. Das erklärt die deutsche Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky: «Ein Körper, der ganz deutlich zeigt, dass er bearbeitet wurde, dass er genauso gewollt ist.» Villa Braslavsky ist Lehrstuhlinhaberin für Soziologie und Gender Studies an der Universität München, forscht zu Körpern und ist Mitautorin des Buchs «Fat Studies» (2022).
Es finde eine unglaubliche moralische Überhöhung dieses ästhetischen Ideals statt und entsprechend eine Abwertung all dessen, was davon abzuweichen scheint, sagt sie – gibt zur schwindenden Sichtbarkeit von Körpervielfalt aber gleichzeitig zu bedenken: «Die Sichtbarkeit grosser, dicker Körper war stets auch von bestimmten Schönheitsidealen begleitet. Von Körpern, die dick und sportlich, dick und fit, dick und gesund, dick und selbstbestimmt sein mussten.» Um legitimiert zu werden als mehrgewichtige Person, habe man sich toll finden müssen und genauso aussehen wollen.
Reaktion auf Kontrollverlust
So war auch zum Höhepunkt der Body-Positivity-Bewegung immer nur so viel Vielfalt erlaubt, wie sich finanziell vermarkten liess in Werbung, Mode oder Film. «Es gab minimale Erweiterungen unserer Vorstellung von Schönheit, aber die grosse Revolution war es nicht», erklärt Lechner. «Man durfte höchstens in einem Punkt von der Normschönheit abweichen. War man also dick, durfte man beispielsweise keinesfalls auch noch Körperbehaarung haben.»
Ein Körper, der einfach nur ist, wie er ist? Darf es nicht geben in einer Zeit, deren Schönheitsideal darin gipfelt, das eigene Aussehen stets unter Kontrolle zu halten. Der skulpturale Körper passt bestens in eine Zeit, in der viele Menschen das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. «Dass man auf das Gefühl des Kontrollverlusts mit Diät-Verhalten reagiert, ist menschlich», meint etwa Melanie Dellenbach. «Man hat das Gefühl, wenigstens etwas beeinflussen zu können.»
«Es kommt vor, dass Menschen in einer Krise oder in einer äusseren, unkontrollierbaren Situation so versuchen, die Kontrolle zurückzuerlangen», sagt auch die Schweizer Medien- und Ernährungspsychologin Ronia Schiftan. «Ich erlebe in der Praxis, dass sich ein Sicherheitsbedürfnis, das etwa aus einer kritischen Weltsituation heraus entsteht, aufs Essen verschiebt.»
Schiftan untersucht die Auswirkungen sozialer Medien auf unser Gesundheitsverhalten. Sie sagt: «Medikamente wie Ozempic könnten auf einer gesellschaftlichen Ebene das Gefühl verstärken, Schlanksein sei problemlos erreichbar. Und es kann passieren, dass Mehrgewicht so an Legitimation verliert.» Ganz nach dem Motto: Alle können schlank sein, wenn sie es nur wirklich wollen.
Zwar tauchen in der Werbung nach wie vor curvy Models auf, das beobachtet auch Ronja Furrer: «Es gibt einen Markt und der wird bleiben. Wir sind als Gesellschaft zu weit gekommen, um auf Vielfalt zu verzichten.» Doch oft handelt es sich dabei lediglich um Imagekampagnen, wenn etwa gezeigte Grössen dann in den Läden gar nicht verfügbar sind. Mit reiner Repräsentation und Sichtbarkeit ist es ausserdem nicht getan.
«Es geht auch darum, auf welche Weise dicke Menschen gezeigt werden. Wenn dicke Personen vorkommen, diese aber als dumm oder böse gezeigt werden, hat sich überhaupt nichts verändert», sagt Lechner. Noch immer werde Mehrgewicht oft mit Dummheit und Ungebildetheit assoziiert, stark moralisch bewertet, als ungesund deklariert.
"Sehen wir nur sehr schlanke Körper, speichert unser Gehirn diese als Norm ab"
Auch unter dem Vorwand des Gesundheitsbewusstseins wird die Abwertung mehrgewichtiger Körper aktuell wieder salonfähiger. Felicity Hayward schreibt in ihrem Essay, dass mit der zunehmenden Akzeptanz von Plus-Size-Models damals auch immer mehr der Vorwurf entstand, dass grössere Körper auf Magazin-Covern und in der Werbung Fettleibigkeit verharmlosen, ja sogar fördern würden. Dabei kann der Gesundheitszustand einer Person nie allein anhand ihrer äusserlichen Erscheinung eruiert werden.
Die Inklusion aller Körperformen hilft auch jenen Frauen und jungen Mädchen, ihren Körper besser zu akzeptieren, die gar nicht mehrgewichtig sind. Sie vermindert bei allen den Druck, dünn sein zu müssen. Den eigenen und viele weitere Körper repräsentiert zu sehen in der Werbung, in Berufsbroschüren, in den Medien, sagt etwas über unsere Möglichkeit aus, in dieser Gesellschaft zu existieren. Wir lernen durch Bilder. Sehen wir nur sehr schlanke Körper, speichert unser Gehirn diese als Norm ab. Weichen wir von dieser ab, kriegen wir das Gefühl, nicht okay zu sein.
Fettfeindlichkeit als Witz
Wie sehr wir uns in unserem Körperbild prägen lassen, hängt allerdings auch davon ab, wie wir aufgewachsen sind. Ob wir aus unserer Kindheit bereits ein stabiles Selbstbild mitbringen. In diesem Fall, so erklärt es Schiftan, würden Menschen selbstredend ihre Identität weniger davon abhängig machen, ob sie einer Schönheitsnorm entsprächen oder nicht. «Wenn man aber schon mit einem essgestörten Elternkontext aufwächst oder mit negativen, abwertenden Kommentaren über den eigenen Körper, ist man später massiv vulnerabler.»
Die Tendenz, seinen Körper einer starren Norm anpassen zu wollen, ist aktuell auch in den Sozialen Medien stark spürbar: Unter dem Hashtag #skinnytok verbreiteten vor allem weibliche Tiktokerinnen massenhaft gefährliche Tipps, wie man rasch Gewicht verliert. Parallel verherrlichen sie strenge Restriktionen unter Videos mit Titeln wie «Eat small to be small, eat big to be big.» Tiktok geriet unter Druck, seit wenigen Tagen sind entsprechende Inhalte nicht mehr verfügbar; auf anderen Social-Media-Plattformen kursieren die Videos jedoch nach wie vor.
Schlimmer noch: Es kursiert ein Trend auf Tiktok, für den normschöne schlanke Frauen einen «Chubby»-Filter über ihre Körper legen, um dicker auszusehen. Fettfeindlichkeit als Witz. Das ist das Gegenteil von Diversität; vielmehr geht es um Bodyshaming.
Felicity Hayward erhielt nach der Veröffentlichung ihres Essays überdurchschnittlich viele abwertende Kommentare. Normalerweise schenke sie diesen keine Beachtung, schreibt sie auf Instagram. Diesmal aber legte sie einige der Aussagen in Form einer Collage auf ein Bild von sich. Um zu zeigen, wie sehr gerade nur Schlankheit toleriert wird. Dünnsein ist, auch wegen Ozempic, für Frauen wieder eine der wichtigsten Währungen.
Mir kommt gerade der Spruch in den Sinn: „nehmen wir an es gibt Krieg und keiner geht hin“. Wenn alle eine Abnehmspritze anbieten, müssen wir Frauen die noch lange nicht gebrauchen. Wir Konsumentinnen und Konsumenten bestimmen was gekauft wird und da sollten wir einfach alle selbstbewusster sein. Ich bin vor ein paar Wochen für den Schweizer Starcoiffeur Martin DÜRRENMATT in Hamburg für die Intercoiffeur Mondial Show mit meinen 70 Jahren, mit meinen grauen Haaren und einer Körbchengrösse 75 F über den Laufsteg gelaufen. Meine Model- Kolleginnen hatten alle graue Haare und eine Kleidergrössen zwischen 34 und 44! Wir bekamen als einzige Truppe Standing Ovation. Es waren Menschen aus der ganzen Welt dort und wir wurden gefeiert wie Rockstars. Wir Frauen sollten uns von niemandem sagen lassen was schön oder modern ist. Selbstachtung und Selbstbewusstsein an den Tag legen ist angesagt, dann wird die Werbe- und Modebranche wieder umkehren müssen! 👍
praktisch nie wird über den side-effekt des abnehmens gesprochen: schlabberbauch, hängebusen, armflügeli, truthahnkinn, herunterlampender po.
aber wer diese spritzen nimmt, hat wohl auch das geld für hautreduzieroperationen (jedenfalls ein neues feld für die scheinheitschirurgie-industrie auch für noch mehr geld).
nach 15% gewichtsabnahme (nota bene ohne spritzen, mit sport und geänderter ernährung wegen diabetes2) bin ich am punkt, wo ich überlege, nicht mehr weiter abzunehmen, da ich mir solche operationen nicht leisten kann und der ästhetische effekt noch schlimmer ist als pralles übergewicht mit grösse 44-46!