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Introvertierte Kinder: Was tun, wenn mein Kind wenig Anschluss hat?

Familie

Introvertierte Kinder: Was tun, wenn mein Kind wenig Anschluss hat?

Wenn das Kind kaum Freund:innen findet, sind Eltern besorgt. Entwicklungspsychologe Moritz Daum rät jedoch, das Bedürfnis, allein zu sein, nicht automatisch negativ zu bewerten.

annabelle: Moritz Daum, warum haben manche Kinder jede Menge Freundschaften, andere sind eher einzelgängerisch?
Moritz Daum: Das liegt zum grossen Teil an der Persönlichkeit eines Kindes. Besitzt es die Eigenschaft, der Aussenwelt gegenüber zugewandt zu sein – man nennt das Extraversion –, fällt es ihm leichter, mit Menschen in Kontakt zu treten und Freundschaften zu schliessen. Kinder, bei denen diese Eigenschaft nicht so ausgeprägt ist, sind eher introvertiert. Sie richten den Fokus auf ihr Innenleben und sind damit durchaus zufrieden. Einen Einfluss auf das Freundschaftsverhalten haben auch soziale Kompetenzen wie Empathie und gemeinsame Interessen. Es ist hilfreich fürs Miteinander, wenn man die Ansichten des Gegenübers anerkennt oder feststellt, etwas gemein zu haben wie Fussball oder Musik.

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«Bereits in den ersten Lebensmonaten lässt sich beobachten, ob das Kind sich gern zurückzieht»

Wann zeigt sich beim Kind, welche Eigenschaften überwiegen?
Bereits in den ersten Lebensmonaten. Schon da lässt sich beobachten, ob ein Kind eher impulsiv ist oder ob es sich gern zurückzieht. Das bleibt meist im späteren Leben erhalten. Ein zurückhaltendes Kind wird zu einem eher zurückhaltenden Erwachsenen, ein offenes Kind zum offenen Erwachsenen. Wenn man seine eigenen Kinder beobachtet, hilft es, sich daran zu erinnern, wie man selbst als Kind war. Denn Persönlichkeitseigenschaften sind vererbbar.

Eltern nehmen oft mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis, dass ihr Kind kaum Freundschaften hat, und fragen sich schnell, warum es nicht «wie die anderen» ist.
Mit Vergleichen sollte man immer aufpassen. Was für das Nachbarskind gut ist, muss für mein Kind nicht zwingend stimmen. Es ist eine gesellschaftliche Norm, dass «viele Freunde haben» gleichgesetzt wird damit, beliebt, sogar erfolgreich zu sein. Selbstvertrauen, soziale Kompetenz, eine höhere Extraversion – all die Voraussetzungen dafür, schnell Freundschaften schliessen zu können, sind positiv konnotiert. Wir kombinieren also: Verfügt jemand über viele Freund:innen, muss diese Person sozial kompetent sein. Hat eine Person wenige Freundschaften, ist sie wohl sozial inkompetent. Dieser Rückschluss ist nicht zulässig. Man kann auch mit ein, zwei Menschen eine sehr tiefe Freundschaft haben, geprägt von Empathie und Tiefsinnigkeit.

Aber wenn das Kind ständig allein auf dem Schulhof steht oder nie zum Geburtstag seiner Schulkamerad:innen eingeladen wird, macht man sich als Eltern schon Sorgen …
Ja, das ist nicht ganz einfach auszuhalten. Ich rate dazu, sein Kind zu beobachten: Beschäftigt es sich am liebsten allein, auch wenn andere da sind? Ist seine Stimmung ausgeglichen oder leidet es unter der Einsamkeit? So entwickelt man ein Gespür fürs Kind und merkt im besten Fall, dass es zufrieden ist mit dem Alleinsein. Dann schaden wir ihm möglicherweise eher, wenn wir es mit einer grossen Gruppe zusammenführen. Es kann aber auch sein, dass es sich ungewollt im Abseits befindet. Introvertiert zu sein, heisst eben nicht, dass man zu jeder Zeit alleine sein will. In diesem Fall können wir es unterstützen, indem wir ein Kind, das es mag, nach Hause einla­den und ihm so helfen, in Kontakt zu treten.

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«Introvertiert zu sein, heisst eben nicht, dass man zu jeder Zeit alleine sein will»

Wie kann ich erkennen, ob mein Kind einfach intro­ vertiert ist oder ob es gemobbt wird?
Mobbing läuft häufig subtil ab. Aber meist ist eine Veränderung des Verhaltens zu beobachten. Ein in­trovertiertes Kind kann zufrieden sein, ein gemobb­tes Kind leidet unter der Situation, läuft zum Bei­spiel auf einmal mit hängendem Kopf herum, zieht sich zurück, macht dicht.

Was tun, wenn der Verdacht auf Mobbing fällt?
Eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, damit das Kind sich traut, auszusprechen, was es bewegt. Sich an die Lehrpersonen wenden, damit die Schule Bescheid weiss, handeln kann und dem Kind eine Vertrauensperson an die Seite stellt.

«Akzeptieren Sie Ihr Kind, wie es ist»

Wie kann ich ein einzelgängerisches Kind bestärken?
Akzeptieren Sie es, wie es ist. So kann es ein gesun­des Selbstbewusstsein entwickeln. Bewerten Sie es nicht. Sätze wie «Verabrede dich doch mal!» bringen wenig. Das Kind wird das möglicherweise als Vor­wurf interpretieren und denken, dass es nicht gut ist, wie es ist. Aber: Introvertiert zu sein, ist keine Krank­heit.

Was können wir Erwachsene von unseren Kindern lernen, die gerne allein sind?
Dass das Bedürfnis, allein zu sein, keinen negativen Touch haben sollte, sondern einfach eine Facette der Persönlichkeit ist. Alleinsein bedeutet nicht gleich, dass etwas nicht stimmt. Im Gegenteil: Es kann erholsam sein, etwa wie ein Mittagsschlaf. Sich in so einer Phase reflektieren, sich in etwas vertiefen, die Gedanken schweifen lassen, tut nicht nur Kindern und Jugendlichen gut, sondern auch Er­wachsenen. Es ist eine Reise zu uns selbst – wir ler­nen, es mit uns selbst auszuhalten und finden her­ aus, wer wir sind.

Moritz Daum ist Professor für Entwicklungs­psychologie an der Universität Zürich. Er forscht insbesondere im Bereich der Entwicklungs­psychologie im Säuglings­ und Frühkindalter und ist Vater von drei Kindern.

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Julia Remy

Guter Artikel! Bei Introvertierten Menschen ist der Filter für Reize von außen schwächer als bei extravertierten, die sich standardmäßig unter dem gewünschten Reizlevel befinden und so viele Aktivitäten und Kontakte benötigen, um diesen zu sättigen. Bei introvertierten Menschen ist der Reizlevel schon durch normale Umgebungseindrücke ausgelastet, sodass zusätzliche Aktivität und Interaktion viel Energie kostet. Da sind tiefere Freundschaften mit Einzelnen sinnvoller als oberflächliche mit Vielen. Das Merkmal Offenheit trifft, anders als im Artikel dargestellt, in gleichem Maße auf introvertierte und extravertierte Menschen zu. Es beschreibt die Offenheit im Sinne von Neugier auf Neues, Kultur, Wissen etc. Man merkt introvertierten diese Offenheit häufig nicht auf den ersten Blick an, aber das heißt nicht, dass sie nicht existiert. In Schulen werden introvertierte Kinder häufig noch immer negativ gesehen, weil sie nicht so proaktiv am Unterricht teilnehmen wie extravertierte. Hier sollte es mehr Aufklärung geben, denn introvertierte Menschen haben andere Stärken, die ebenso wichtig für unsere Gesellschaft sind.

Last edited 5 months ago by Julia Remy
Carsten

Interessanter Artikel, der Wechsel von Allein sein wollen und gemobbt werden geht ganz ganz schnell und ich hoffe Eltern haben ein gutes Auge darauf wie es dem Kind geht.

Claudia

Ein Thema, welches mich auch sehr beschäftigt. Meine Tochter ist so ein introvertierter Typ. Sie ist sehr klug, liest sehr viel und hat sehr gute Noten. In der Grundschule meinten die Lehrer sie wird von den anderen für ihre sorgfältige, ruhige Art und korrektes Auftreten sehr bewundert. Ich sah das auch eher als Mobbing, Anschluss hatte sie kaum. Erst mit der Zeit verstand ich, dass sie sehr viel hinterfrägt, jedes Wort abwägt und mit Ungerechtigkeit überhaupt nicht klarkommt. Beispiel: an einem Tag lästert ein Mädchen über das andere, am anderen Tag spielt Sie wieder mit dem Mädchen. Sowas verstand sie überhaupt nicht.
Meine Tochter ist nicht immer glücklich mit ihrer Art, trotzdem hat sie 2 Freundinnen, Smalltalk kann sie gar nicht, sie ist sehr loyal und verliert kein schlechtes Wort über andere.
Auf Fremde zugehen und ansprechen kann sie gar nicht, hätte jetzt aber schon gerne einen Freund und das nagt wieder sehr an ihr. Puh der Artikel beschreibt das sehr schön, es ist für Eltern nicht einfach das zu beobachten. Sie wird auf jeden Fall ihren Weg machen denke ich.

Karin

Das kommt mir sehr bekannt vor. Allerdings war ich vielleicht gar nicht so introvertiert, das sah vielleicht nur so aus, da ich gemobbt wurde. weil ich beim Sport nicht mithalten konnte.

Aus meiner Erfahrung wird das mit dem Freund nach der Pubertät und nach der Schulzeit besser, weil sich die meisten in dieser Zeit ein neues Umfeld schaffen müssen und auch mit einer gefestigten Persönlichkeit individueller agieren.

Könnte Ihre Tochter vielleicht in einem Verein etwas, das sie speziell interessiert mit anderen teilen? Diese Möglichkeit haben meine Eltern leider total verpasst. Ich hoffe, Ihre Tochter verliert nicht die Freude am Lernen: in einer Schule mit Ziel Matura findet sie bestimmt eher ähnliche Persönlichkeiten (ausgenommen jene, die nur dort sind, weil sie von den Eltern gepusht werden).

In solchen Fällen fragt man sich schon: liest man z.B. viel weil man mangels Sozialleben viel Zeit hat oder hat man kein Sozialleben, weil man vielfältige Interessen hat und gar nicht versteht, über welche Banalitäten die anderen Smalltalk machen oder gar negativ Tratschen. Oder beides: zuerst Rückzug in die Bücherecke wegen Mobbings, wo dann viele Interessen geweckt werden, welche man mit Gleichaltrigen schwer teilen kann. Irgendwann hat man das Gefühl, man könne nicht mithalten, wenn die anderen zusammen plaudern, dabei sind deren Gespräche doch ziemlich belanglos.

Was mir aber bestimmt auch mit 62 geblieben ist: das mit den Ungerechtigkeiten.