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Keine Panik vor dem Winter: Was wir von Norweger:innen lernen können

Keine Panik vor dem Winter: Was wir von Norweger:innen lernen können

Die Psychologin Kari Leibowitz hat erforscht, warum Norweger:innen trotz monatelanger Dunkelheit kein erhöhtes Risiko für Depressionen haben. Ihre besten Tipps für eine stabile Psyche im Winter.

Die Zeitumstellung naht und schon liegt eine leichte Panik in der Luft: Urgh, Winterzeit! Erinnerungen an Graupelschauer, ewig dunkle Tage und Schnupfnasen steigen auf – und die Stimmung sinkt auf den Gefrierpunkt. Was aber, wenn wir uns ab diesem Jahr auf den Winter freuen könnten?

Die amerikanische Psychologin Kari Leibowitz hat in Norwegen erforscht, warum Menschen nördlich des Polarkreises trotz monatelanger Dunkelheit und eisiger Minustemperaturen kein erhöhtes Risiko für Depressionen haben. Es zeigt sich, dass viele der dort gelebten Strategien auch uns helfen können, die dunkle Jahreszeit aktiv und positiv zu gestalten. «Wintern» heisst das – und in ihrem neuen, gleichnamigen Buch gibt Leibowitz Anleitungen, die zeigen, dass es hier um weit mehr geht als um weichgespülte Achtsamkeitsübungen.

Unsere Lieblingstipps:

1. Dieses Mal gehen wir die Zeitumstellung richtig an

Die Zeitumstellung ist ein Mini-Jetlag, den wir in der Regel unterschätzen. Kari Leibowitz rät, ihn bewusst zu gestalten: im Kalender markieren, in der Woche des Wechsels Termine reduzieren, mehr schlafen, weniger leisten. Die innere Uhr braucht drei bis fünf Tage, um sich neu einzupendeln – gönn ihr diese Zeit.

Wenn der Körper im Winter langsamer wird, folgt er uralten Rhythmen: Mehr Dunkelheit bedeutet mehr Melatonin, mehr Schlafdrang, weniger Antrieb. Und das kann durchaus mit Arbeitszeiten und Schulstart kollidieren. In der Chronobiologie spricht man von einer circadianen Desynchronisation, wenn unser innerer Takt mit gesellschaftlichen Anforderungen kollidiert. Das ist keine Schwäche, sondern Biologie. Wer sein Ruhebedürfnis ernst nimmt und Raum dafür einplant, startet ausgeglichener in die dunkle Jahreszeit.

2. Mach den Winter zu deinem Projekt

Wer den Winter nur überstehen will, verliert. Wer ihn gestaltet, gewinnt ihn. Kari Leibowitz nennt das den positive wintertime mindset: die bewusste Entscheidung, die dunkle Jahreszeit als Möglichkeit zu sehen. Ihr Forschungsprojekt in Tromsø zeigte, dass Menschen, die diese Haltung einnehmen, messbar glücklicher, gesünder und resilienter sind – selbst jenseits des Polarkreises.

Mach also den Winter zu einem Vorhaben – zu einer Zeit, in der du etwas Neues lernst oder Altes ruhen lässt. Überlege dir drei Dinge, auf die du Lust hast, etwa mehr lesen, eine Playlist mit Wintersongs zusammenstellen, Schlittschuhlaufen lernen oder monatliche Pyjamapartys schmeissen.

3. Friluftsliv – geh raus!

Schon klar, es ist eine der schwierigsten Herausforderungen: Draussen fisselt der Eisregen vom grauen Himmel, und man selbst sitzt gemütlich drinnen im Warmen und hat sowas von keine Lust, vor die Tür zu gehen. Die Norweger:innen haben ein Wort für ihr Erfolgsgeheimnis: friluftsliv, das «Leben an der frischen Luft». Gemeint ist damit kein Freizeitprogramm, sondern eine Haltung – draussen zu sein, bei jedem Wetter.

Leibowitz bezeichnet wetterfeste Kleidung als ihren persönlichen Gamechanger. Wer beim Velofahren keine Frostfinger bekommt und beim Schneespaziergang warme Füsse behält, merkt plötzlich, wie erfrischend und belebend der Schritt nach draussen ist.

Kälte stärkt das Immunsystem, fördert die Durchblutung und hebt nachweislich die Stimmung. Psycholog:innen sprechen von «Outdoorphins» – Endorphinen, die beim Aufenthalt im Freien ausgeschüttet werden. Deshalb: Zieh dich warm an, nimm eine Thermoskanne mit heissem Tee mit und spazier los – in den Park, an den See oder einfach durch die Stadt. Winterluft macht lebendig. Und selbst ein Apéro auf dem Balkon kann, warm eingemummelt, durchaus seinen Charme haben.

4. Warmes Licht

In Norwegen wird selbst in der Unimensa bei Kerzenschein gegessen, und statt grellem Deckenlicht sorgen Kerzen auf den Fensterbänken, Lichterketten und Tischlampen für Gemütlichkeit. Wer ganz bewusst bei Einbruch der Dunkelheit eine Kerze anzündet, etabliert ein Ritual, das die Dunkelheit willkommen heisst – ein Moment der Zustimmung statt des Widerstands. Der Körper reagiert darauf unmittelbar: Das warme Licht senkt Puls und Blutdruck und signalisiert Entspannung. Psychologisch wirkt es wie eine kleine Verankerung: Hier beginnt die Behaglichkeit, ein Moment des Wohlfühlens.

5. Aufwärmtraining

In eisigen Zeiten braucht es mehr Wärme als sonst – nicht nur für den Körper, auch für den Kopf. Wenn du eine Wärmflasche ans Bettende legst oder dir am Nachmittag einen Tee kochst, sendest du deinem Nervensystem das Signal: Du bist sicher. Studien zeigen, dass Wärme auf der Haut dieselben Hirnareale aktiviert wie Zuneigung. Deshalb fühlen sich auch einsame Menschen in warmen Räumen geborgener. Wärme ist Selbstfürsorge in einfachster Form – günstig, energiesparend, aber hochwirksam.

Heisse Getränke oder Suppen fördern die Durchblutung, stabilisieren die Körpertemperatur und wirken emotional tröstend. Selbst das langsame Trinken aktiviert den Vagusnerv, der Entspannung auslöst. Mach daraus ein Ritual – brüh dir morgens eine Kanne Tee auf, koch dir eine heisse Schokolade und trink sie ganz in Ruhe. Und lade deine Freund:innen zum Tee oder Musikhören bei Kerzenschein ein: Soziale Nähe erzeugt messbar körperliche Wärme. In Norwegen gehört das zur Winterroutine – kleine, wiederkehrende Treffen ohne grossen Aufwand, dafür mit Verbindlichkeit.

6. Sprich anders über den Winter

Kari Leibowitz forscht als auf Gesundheit spezialisierte Sozialpsychologin an der Stanford University über Denkweisen, die unser Wohlbefinden formen. Sie weiss, wie stark die kulturell bedingte Verknüpfung von Winter mit Assoziationen wie «kalt, dunkel und deprimierend» unser Erleben beeinflusst. Sprache wirkt wie ein innerer Regisseur – und ein kleiner Perspektivenwechsel bewirkt schon viel.

Wer etwa die Dunkelheit mit Ruhe verknüpft, erlebt sie tatsächlich entspannender. Auch nach aussen hat das Wirkung: Wenn die Kollegin klagt, «Uff, schon wieder Regen», ruhig mal antworten: «Stimmt, aber ich geniesse es gerade, ihm zuzuhören.» Und das natürlich auch tun. So teilt man die eigene Perspektive, ohne zu missionieren, und setzt neue Narrative. Kari Leibowitz nennt das soziales Reframing und gibt sogar Workshops dazu, in denen sie zu einer bewussten Einführung neuer Geschichten über den Winter anspornt. Wer positiv spricht, verändert nicht das Wetter – vielleicht aber das Klima.

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