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Kind & Karriere – Genossinnen Mütter

Body & Soul

Kind & Karriere – Genossinnen Mütter

  • Interview: Julia Hofer, Barbara AchermannFoto: Vera Hartmann

Wahlkampf der anderen Art: Kind oder Karriere? Oder beides? Die beiden schwangeren SP-Spitzenpolitikerinnen Ursula Wyss und Pascale Bruderer über den Spagat zwischen Mandat und Mutterschaft.

Eigentlich sollte dieses Interview nicht stattfinden müssen. Es handelt von zwei jungen Nationalrätinnen, die in den Ständerat wollen und zur selben Zeit schwanger werden. Die eine, Ursula Wyss, zieht ihre Kandidatur zurück. Die andere, Pascale Bruderer, nicht. Was soll daran interessant sein? Heute kann eine Mutter Karriere machen oder die Priorität bei der Familie setzen – jede nach ihrem Gusto, reine Privatsache. Doch leider ist die viel beschworene Wahlfreiheit in der Schweiz bestenfalls eine gesellschaftliche Vision. Viele berufstätige Mütter entscheiden sich für die Familie und gegen einen Karriereschritt, weil sie die Erfahrung machen, dass es zwar eine Doppelbelastung, aber keine echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt. Sie gewichten das «persönliche Glück» höher, so, wie es auch Ursula Wyss getan hat. Nur wenige wollen wie Pascale Bruderer beides: Familie und Karriere. Wie man die Weichen nach der Geburt eines Kindes auch stellt, der Schritt will durchdacht sein. Es geht einerseits um das neue, noch zarte Familienglück, andererseits um zukünftige berufliche Chancen. Ursula Wyss und Pascale Bruderer haben verschiedene Wege eingeschlagen. Und reden mit annabelle für einmal über Privates: Rollenverteilung, Krippenplätze und Karriereplanung.

annabelle: Ursula Wyss, Pascale Bruderer, hatten Sie schon Zeit, das Kinderzimmer einzurichten?
Ursula Wyss: Das Kinderzimmer einrichten ist unter all dem, was ansteht, noch das Einfachste.

Was gestaltet sich denn so kompliziert?
Wyss: Wir sind gerade dabei, die Betreuung zu organisieren. Meine Mutter und meine Schwester sind voller Vorfreude und möchten unser Kind regelmässig hüten. Aber wir brauchen zusätzlich einen Krippenplatz.

Auf wie vielen Wartelisten steht Ihr Name?
Wyss: (lacht) Bis jetzt auf zwei. Und wir haben noch ein paar Besichtigungstermine.

Wie siehts bei Ihnen aus, Pascale Bruderer?
Pascale Bruderer: Ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe als Mutter. Wenn ich in den Ständerat gewählt werde, gebe ich meine Berufstätigkeit als Geschäftsführerin der Krebsliga Aargau auf. Mein Mann und ich übernehmen einen grossen Teil der Betreuung selber. Und auch wir dürfen zusätzlich auf die Unterstützung der Eltern zählen und sind auf der Warteliste einer Krippe.

Um wie viel wird Ihr Mann sein berufliches Pensum reduzieren?

Bruderer: Er wird es reduzieren, das ist ihm ein grosses Anliegen.

Sie weichen aus.
Bruderer: Ich weiche nicht aus, sondern beantworte Ihre Frage so, wie sie sich heute beantworten lässt.

Ursula Wyss, wie oft wird Ihr Partner auf dem Spielplatz sein?
Wyss: Da wir bereits einen 13-jährigen Sohn haben, sind wir ein eingespieltes Team. Wir werden uns die Kinderbetreuung teilen.

Wie viel Zeit möchten Sie mit Ihrem Kind verbringen?

Wyss: So viel wie möglich. Aber ich habe mir das nie in Tagen überlegt. Ich weiss ja noch nicht einmal, ob das Kind gesund sein wird oder ob es eventuell eine spezielle Betreuung braucht.

Käme eine Vollzeitkrippe infrage?
Wyss: Nein. Obwohl ich daran nichts Negatives sehe. Krippen sind heute sehr professionell geführt. Und Kinder gehen dort auch wichtige Beziehungen
ein. Mein Sohn hat seinen besten Freund in der Krippe kennen gelernt.

Zurzeit erlebt das Parlament einen Babyboom. Braucht es eine Bundeshauskrippe?
Bruderer: Letztes Jahr habe ich mit einer Delegation Schweden besucht, wo es eine Parlamentskinderkrippe gibt. Da machten einige Kollegen grosse Augen. Bei uns haben Parlamentarierinnen die Möglichkeit, ihre Kinder temporär in Berner Krippen unterzubringen.
Wyss: Allerdings gilt es zu bedenken, dass wir hier eine andere Situation haben. Wegen des Milizsystems muss jede Familie am Wohnort eine Betreuungslösung finden.

Pascale Bruderer, Sie wollen sich mit dem gesetzlich verankerten Minimum von 14 Wochen Mutterschaftsurlaub begnügen. Ist das der Preis für die Karriere?
Bruderer: Wir haben den Wählern gegenüber eine Verantwortung. Aber wann genau ich wieder einsteige, hängt davon ab, wie es mir und meinem Kind gehen wird.
Werden Sie Ihr Baby ins Parlament mitnehmen?
Bruderer: Das lässt sich sicher anders organisieren. Verboten wäre es aber nicht.
Wyss: Bei den Parlamentarierinnen, die jetzt kleine Kinder haben – Tiana Moser, Evi Allemann, Adèle Thorens Goumaz –, hatte ich das Gefühl, sie seien gar nie weg gewesen. Man kann in einer ersten Zeit wichtige Sitzungen wahrnehmen, anderes auslassen. Es geht nicht um die Alles-oder-nichts-Frage: Bleibe ich zuhause, oder arbeite ich?

Wenn Politik und Familie so einfach zu vereinbaren sind, warum haben Sie dann Ihre Ständeratskandidatur zurückgezogen?
Wyss: Nationalratsmandat, Fraktionspräsidium und ein Ständeratswahlkampf sind definitiv mehr als ein Hundertprozentpensum. Dazu noch eine Geburt mitten in der heissen Wahlkampfphase, wenn beinahe jeden Abend ein Podium stattfindet, da stösst man schlicht an eine physische Grenze. Ausserdem zählt für mich nicht nur die Karriere. Auch meine Familie soll nicht zu kurz kommen. Ich gehe einen Mittelweg, der mich fordert, aber nicht überfordert. Jede Mutter, jede Familie muss dieses Gleichgewicht für sich suchen. Patentrezepte gibt es nicht.

Sind diese Podien tatsächlich unerlässlich für den Wahlkampf? Sie erlangen doch auch mit einem Interview zur neuen Familiensituation Aufmerksamkeit?

Wyss: Da habe ich einen höheren Anspruch an meinen Wahlkampf. Ausserdem kann man keinen Stellvertreter schicken, wenn die verschiedenen Kandidaten im Wahlkampf zu einem Streitgespräch eingeladen sind. Es wäre allzu schade, wenn Politikerinnen nur noch auf ihr Muttersein reduziert würden.

Ursula Wyss, Sie sagen, das private Glück sei «manchmal einfach wichtiger» als die Karriere. Empfindet man so beim zweiten Kind?

Wyss: Ich habe bis jetzt nicht den Eindruck, dass es da einen Unterschied zwischen erstem und zweitem Kind gibt. Aber ganz ehrlich: Obwohl mich das Ständeratsmandat reizen würde, tut mir der Verzicht nicht im Herzen weh.

Pascale Bruderer, Sie sind trotz Schwangerschaft bei Ihrer Kandidatur geblieben. Es geht also doch!
Bruderer: Als ich nominiert wurde, wusste ich noch nicht, dass ich schwanger bin. Ein Kind ist nur bedingt planbar – und das ist auch gut so. Ich räume der Gesundheit oberste Priorität ein, gehe aber davon aus, dass ich im Wahlkampf präsent sein kann. Den Geburtstermin habe ich erst nach den Wahlen, im November. Die Vereinbarkeit mit einem politischen Amt ist an sich unproblematisch, andere bringen sogar einen CEO-Job in einer grossen Firma und dreissig Verwaltungsratsmandate mit der Politik unter einen Hut.

Gab es sanften Druck aus der Partei, die Kandidatur zurückzuziehen, so nach dem Motto: Schwanger? Blöder Zeitpunkt …
Bruderer: Überhaupt nicht.

Laut einer Umfrage haben nur 41 Prozent Verständnis für Ihre Kandidatur. Egal, ob sich eine Mutter für oder gegen die Karriere entscheidet – falsch ist es immer.
Bruderer: Das sind sehr persönliche Entscheide, die jede Familie für sich fällen muss. Meine Vision ist eine Gesellschaft, die verschiedene Wege offenhält. Möglich wird das durch genügend bezahlbare Krippenplätze und weitere Betreuungsangebote.

Ihre Ex-Nationalratskollegin Jasmin Hutter, die mittlerweile Hausfrau und Mutter ist, versteht Ihren Entscheid überhaupt nicht.
Bruderer: Sie hat sich für einen anderen Weg entschieden, das ist ihr gutes Recht.

Dass wir dieses Interview führen, zeigt doch, dass sich Frauen immer rechtfertigen müssen – egal, wie sie sich entscheiden.
Bruderer: Ich habe nicht den Eindruck, mich rechtfertigen zu müssen. Die Wähler und Wählerinnen haben das Recht zu erfahren, warum ich an der Kandidatur festhalte, wie ich mit der Situation umgehen will. Aber ich gebe zu, dass es mir nicht leichtfällt, öffentlich über meine Schwangerschaft zu reden. Als ich und mein Mann vor zwei Jahren geheiratet haben, wollten wir das unbedingt im Privaten halten.
Wyss: Vor zwanzig Jahren stiegen die Frauen nach der Familienphase in die Politik ein. Heute haben wir eine andere Ausgangslage: Es gibt zum Glück immer mehr junge Frauen im Parlament, viele von ihnen bekommen Kinder. Das zeigt, dass wir heute eine emanzipiertere Rollenteilung leben. Es ist legitim, als Politikerin über die eigene Karriere und Kinder zu sprechen.

Eine ganze Generation junger Frauen beschäftigt die Frage, wie man Karriere und Kinder zusammenbringt, wahrscheinlich stärker als die Frage, ob die Schweiz in die EU geht oder nicht.
Bruderer: Ja, diese Diskussion ist notwendig. Ich fand es dennoch unangenehm, der Öffentlichkeit via Medien zu sagen, dass ich ein Kind erwarte. Auf solche Schlagzeilen bin ich nicht scharf. Aber ich musste es tun, es gab bereits Gerüchte.
Wyss: (lacht) Parlamentarier fragten mich, ob Pascale schwanger sei. Ohne zu ahnen, dass ich selbst schwanger bin.

Ursula Wyss, was ist das Schwierigste am Muttersein?
Wyss: Sich in unserer strukturierten Gesellschaft auf ein neues Leben einzulassen und ihm so viel Raum und Zeit zu geben, wie es braucht.

Und welchen Tipp geben Sie Pascale Bruderer?
Wyss: (lacht) Keinen. Mit jedem Kind beginnt etwas Neues.