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Mental Load: «Das Thema kommt in Partnerschaften oft viel zu spät auf den Tisch»

Familie

Mental Load: «Das Thema kommt in Partnerschaften oft viel zu spät auf den Tisch»

Die Diplom-Psychologin Patricia Cammarata hat den Bestseller «Raus aus der Mental-Load-Falle» geschrieben. Wir wollten von ihr wissen: Wieso ist das Planen und Koordinieren zuhause vor allem Frauensache? Welche politischen Massnahmen brauchts, damit das besser wird? Und: Was können Frauen selbst dagegen tun?

annabelle: Frau Cammarata, in unserer grossen Frauenstudie geben 81 Prozent der Befragten an, dass sie in ihrer Partnerschaft deutlich mehr planen, organisieren und «dran denken». Überrascht es Sie, dass es so viele sind?
Patricia Cammarata: Überhaupt nicht. Wir wissen ja, dass Frauen generell deutlich mehr Sorgearbeit leisten. Da ist es naheliegend, dass das Ungleichgewicht beim Mental Load noch grösser ist. Selbst wenn der Mann das Bad putzt, fürs Abendessen einkaufen geht oder ein Geburtstagsgeschenk besorgt, ist es häufig sie, die daran denkt und ihn daran erinnert. Mental Load bedeutet oft Delegieren – und ist somit auch ein «To Do».

Sehr viele Mütter arbeiten Teilzeit, während die Väter meist Vollzeit arbeiten. Könnte man da nicht argumentieren: Ist doch irgendwie klar, dass die Mutter dann auch mehr für Haushalt und Kids zuständig ist?
Die Rechnung geht in den meisten Fällen eben nicht auf. Wenn der Mann zum Beispiel fünfzig Stunden pro Woche erwerbstätig ist und sie dreissig, kann man davon ausgehen, dass die Frau nicht einfach zwanzig Stunden mehr Sorgearbeit leistet als er – sondern ein Vielfaches davon. Nach dem Feierabend geht es mit der sogenannten «Second Shift» weiter – je nach Alter des Kindes auch in der Nacht und am Wochenende sowieso. Und konstant rattert der Kopf, woran noch alles gedacht werden muss. In den allermeisten Fällen ist und bleibt die Frau die Familienmanagerin, und die Erwerbsarbeit kommt einfach on top. Das Problem ist: Dieses grosse Ungleichgewicht ist vielen Frauen selbst nicht klar. Oftmals kommt das Thema Mental Load in Partnerschaften erst viel zu spät auf den Tisch – nämlich dann, wenn sie schon völlig ausgebrannt ist.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie erleichtert Sie waren, als Sie zum ersten Mal den Begriff gehört haben.
Mental Load ist nicht individuell und nicht mein persönliches Versagen – das zu begreifen, war extrem wohltuend! Die allermeisten Frauen wissen sofort, was gemeint ist, wenn man die Begriffserklärung auch nur kurz anreisst. Mental Load ist universell.

Woran liegt das?
Vor allem in Lebensphasen, in denen es zu Umbrüchen kommt – etwa mit der Geburt des ersten Kindes oder wenn ein Familienmitglied zum Pflegefall wird – greifen Geschlechter-Stereotype. Es gibt Studien, die zeigen, dass meist überhaupt nicht darüber gesprochen und verhandelt wird, sondern ganz automatisch klar ist: Das ist jetzt ihr Aufgabenbereich, denn – so das Klischee – Frauen liegt das Kümmern nun mal mehr. Aber auch wenn ein Paar keine Kinder hat, ist die Frau meist als Koordinatorin die Projektverantwortliche in der Beziehung – und schleppt dementsprechend auch mehr Mental Load mit sich herum.

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«Es braucht zusätzlich zum Mutterschutz dringend einen Vaterschutz»

Patricia Cammarata

Ist Mental Load ein reines Hetero-Thema?
Interessanterweise nicht – zumindest dann nicht, wenn ein Kind in die Beziehung kommt. Die Annahme, es sei am schlausten, eine Person zu haben, die in erster Linie für die finanzielle Versorgung zuständig ist, und eine, die sich vor allem um die Sorgearbeit kümmert, ist in unserer Gesellschaft tief verankert – auch bei homosexuellen Paaren. Dabei werden allerdings viele Konsequenzen übersehen.

Nämlich?
Es wird nicht nur übersehen, dass die Sorgearbeit meist zeitaufwendiger und kräfteraubender ist, sondern auch, dass die Person, die nicht oder nicht im relevanten Masse erwerbstätig ist, kaum etwas in die Pensionskasse einzahlt. Die Person, die wiederum fürs Haupteinkommen zuständig ist, muss finanziell immer liefern – auch wenn sie beispielsweise mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden ist oder sich beruflich gern umorientieren würde.

Im Buch raten Sie deshalb dazu, sich nicht nur den Mental Load, sondern auch den sogenannten Financial Load als Paar untereinander aufzuteilen.
So gut es geht, ja. Oftmals verdienen Frauen ja leider aus verschiedenen Gründen tatsächlich weniger als Männer und können deshalb, selbst wenn sie gleich viel arbeiten, nicht gleich viel zum gemeinsamen Einkommen beitragen. Aber wenn beide zu gleichen Prozenten erwerbstätig sind – was in den meisten Fällen bedeutet, dass sie aufstockt und er reduziert –, ist die Ausgangsbasis am besten, um in der Sorgearbeit ein Gleichgewicht entstehen zu lassen.

Wie wichtig ist der Vaterschaftsurlaub beziehungsweise die Elternzeit?
Immens wichtig! Es braucht zusätzlich zum Mutterschutz dringend einen Vaterschutz. Denn in der Anfangszeit geht es um Kompetenzaufbau. Frauen haben genauso wenig Ahnung von Säuglingen wie Männer, aber sie informieren sich, weil sie sich verantwortlich fühlen. Mütter erarbeiten sich, vor allem wenn sie allein mit dem Kind zuhause sind, einen riesigen Kompetenzvorsprung – und der Vater wird zum Handlanger. Aus diesem Muster finden Eltern später nur ganz schwer wieder heraus.

Immerhin sind Paare zu zweit – für Alleinerziehende muss das Thema Mental Load noch viel belastender sein.
Das nicht unbedingt. Nach einer Trennung fällt nämlich bei vielen das ewige Delegieren an den Partner weg – und auch das Im-Kopf-Behalten seiner Angelegenheiten. Je nachdem, wie die Sorgearbeit aufgeteilt war, empfinden gerade Frauen eine Trennung zum Teil als echte Erleichterung. Gleichzeitig muss natürlich gesagt sein: Die allgemeinen Rahmenbedingungen für Alleinerziehende sind sehr ungerecht.

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«Es ist schwierig, dem Partner dabei zuzusehen, wie er Fehler macht»

Patricia Cammarata

Wieso fällt es vielen Frauen schwer, die Verantwortung abzugeben – obwohl sie wissen, dass es sie entlasten würde?
Weil es schwierig ist, dem Partner dabei zuzusehen, wie er plötzlich als Anfänger rumwerkelt und Fehler macht. Auch wenn man meint, für gewisse Abläufe längst die perfekte Lösung gefunden zu haben, ist es wichtig, dem Partner seinen eigenen Weg zu gestatten. Wenn dieser dann aufholt und in Sachen Sorgearbeit immer besser wird, kann es für manche Frauen ebenfalls herausfordernd werden. Da kann es vorkommen, dass die Kinder plötzlich Sachen sagen wie: «Papa kocht viel besser als du».

Und dann?
Dann muss die Frau das aushalten können und sich daran erinnern: «Gut, das tut jetzt weh – aber dafür habe ich weniger Stress.» Man muss sehen: Gerade für Frauen, die in ihrer Beziehung, was beispielsweise finanzielle Entscheidungen angeht, wenig Mitspracherecht haben, ist die Sorgearbeit oft die letzte Bastion, auf die sie Einfluss haben. Sobald etwas identitätsstiftend ist, gibt man es nicht ohne Weiteres ab.

Oft heisst es ja auch, Frauen müssten einfach weniger perfektionistisch sein – und zack, wäre das Stress-Problem gelöst.
Klar hilft es, weniger perfektionistisch zu sein. Sonst läuft das Hamsterrad immer schneller. Aber oft hat Mental Load mehr mit Pragmatismus als mit Perfektionismus zu tun – zum Beispiel dran zu denken, den Fiebersaft in die Nähe des Bettchens zu stellen, wenn das Baby zahnt, damit nachts vor lauter minutenlangem Gebrüll nicht auch noch die Geschwister aufwachen. Ausserdem kann man sich als Frau noch so gut sagen: «Jetzt mach dich mal locker». Aber wenn Besuch ansteht und die Wohnung aussieht wie Sau, weiss sie ganz genau, dass der Besuch höchstwahrscheinlich nicht denkt: «Mensch, der Peter hat mal wieder nicht gesaugt». Sondern viel eher: «Die Andrea hat ihren Haushalt nicht im Griff». Das in Kauf zu nehmen, fällt vielen Frauen extrem schwer.

«Oftmals wissen Männer nicht, wie viel in den Köpfen der Frauen abgeht»

Patricia Cammara

Ihr Buch heisst «Raus aus der Mental-Load-Falle». Wie kann es denn gelingen, Mental Load untereinander aufzuteilen? Viele Frauen denken wahrscheinlich zurecht: Wenn ich es nicht im Kopf habe, denkt niemand dran.
Wichtig ist, das Thema mit dem Partner erst einmal in Ruhe anzusprechen und den Begriff zu erklären. Oftmals wissen Männer ja gar nicht, wie viel in den Köpfen der Frauen abgeht. Ich empfehle in einem weiteren Schritt, die ganzen To-Dos, die so anfallen, auf einen Zettel oder eine Tafel in die Küche zu hängen – mit dem Zusatz, wer daran gedacht hat. Das ergibt dann diese wunderschöne Liste, anhand deren auch moderne Paare, in denen die Männer viel machen, sehen: Da läuft echt irgendwas schief, wenn hundert Mal der Name der Frau auftaucht.

Was hilft noch?
Frauen können damit beginnen, rigoros Dinge zu ignorieren. Die leere WC-Papier-Rolle etwa. Nichts delegieren, nichts selber machen – es einfach nicht tun. Ein aktuelles Beispiel aus meiner Familie: Die Kids kamen kürzlich stocksauer von der Schule, weil mein Mann vergessen hat, das Mittagessen für sie vorzubestellen, und sie sich mit irgendeinem weniger feinen Plan B begnügen mussten. Ich hatte daran gedacht – aber ihn bewusst nicht daran erinnert. In solchen Situationen kann man dann lächelnd zu den Kindern sagen: «Das war Papas Aufgabe, müsst ihr also mit ihm besprechen.» Wetten, dass er es zum letzten Mal vergessen hat?

Das heisst: Manche Situationen ganz bewusst an die Wand fahren lassen?
Genau – natürlich nur da, wo keine echte Gefahr besteht. Es ist hart, einfach wegzuschauen und das auszuhalten. Bei manchen Dingen hat es bei mir bestimmt ein Jahr gedauert, bis mein innerer Reminder nicht immer wieder angesprungen ist. Aber irgendwann ist es aus dem Kopf. Und dann entsteht Platz, der einen wunderbar durchatmen lässt.

Diplom-Psychologin Patricia Cammarata ist Bestseller-Autorin, unter anderem von «Raus aus der Mental-Load-Falle: Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt». Im Buch beschreibt sie anhand zahlreicher persönlicher Anekdoten, wie belastend der Mental Load für sie wurde – und anhand konkreter Tipps, wie sie sich davon losmachen konnte. Cammarata ist ausserdem Podcasterin (z. B. nur30min.de oder MKL.wtf) und preisgekrönte Bloggerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

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Karin Domig

..danke für das tolle Interview, gilt mE nicht nur in der Familie.. d.h. die Familie ist aber ein guter Managementkurs, auch für andere Bereiche..