Werbung
Rock Me, Baby: Musik für Kleinkinder

Body & Soul

Rock Me, Baby: Musik für Kleinkinder

  • Text: Frank Heer; Foto: SXC

Good News für Eltern, die noch immer an den Mozart-Effekt glauben, auch wenn ihnen nach Black Sabbath ist: Klassik macht Babys nicht glücklicher und schon gar nicht klüger als Popmusik, sind sich Neurobiologen einig. Was zählt, sei nicht der Stil, sondern ein «positives Hörerlebnis». Unser Musikredaktor verrät, welche Popmusik er und seine 19 Monate alte Tochter gerade hören.

Augustus Pablo

El Rocker’s (2000)

Er war der Verspielteste unter den grossen Reggae-Musikern. Da bimmeln Glöckchen, mal tutet die Melodica, dort groovt die Rhythmusgitarre. Klingt nach bekifftem Kindergeburtstag auf Jamaica – nur ohne harzig riechende Schwaden. Effekt: Beruhigend — Ab 0 Jahren

Brian Eno

Apollo (1983)

Ein Monumentalwerk der Ambientmusik. Vor allem der Track «Deep Blue Day» (am besten im Repeat-Modus abgespielt) hat auf Kleinkinder die Wirkung von Valium. Effekt: Einschläfernd — Ab 0 Jahren

Au Revoir Simone

The Bird of Music (2007)

Die Lieder dieser drei Brooklynerinnen klingen wie ein Sommerabend auf der Dachterrasse. Mit farbigen Lämpchen und Veggie-Burgern auf dem Kugelgrill. Dazu orgelt, schwirrt und flötet es wie in einem Wald voller Plastikinstrumente. Sweet! Effekt: Aufmunternd — Ab 6 Monaten

Filmsoundtrack

O Brother, Where Art Thou? (2000)

Bluegrass war immer auch Hausmusik und somit Familienmusik. Bei diesem tollen Soundtrack für den gleichermassen tollen Film der Cohen-Brothers wird einem selbst beim Kinderzimmerblockbuster «You Are My Sunshine» feierlich ums Gemüt. Und bei «Man of Constant Sorrow» rockt das Baby. Effekt: Stimulierend — Ab 3 Monaten

Neil Young

Live at Massey Hall (1971)

Navid Kermani hat ein philosophisches Buch darüber geschrieben, wie einzig Neil Youngs quengelige Stimme sein von Koliken geplagtes Töchterchen beruhigen konnte («Das Buch der von Neil Young Getöteten»). Dazu eignen sich vor allem die frühen Alben wie «Harvest» oder «After the Gold Rush», am besten aber «Live at Massey Hall» von 1971. Hier gibt es Neil Young solo und an der akustischen Gitarre zu hören, erst 26 Jahre alt, doch schon umgeben von der Aura des grossen Mystikers. Effekt: Tröstend — Ab 0 Jahren

Daft Punk

Random Access Memories (2013)

Hier ist nicht gespart worden, hier geht die Post ab, eine Nonstopsause unter tausend Discokugeln, schamlos barock, peinlich gut gelaunt und den-noch ein überwältigendes Mitklatsch-Opus für grosse Ohren und kleine Hände. Effekt: Sehr belebend — Ab 12 Monaten

Giant Sand

Tucson (2012)

Im Orchestergraben dieser freundlichen Country-Operette sitzen Gitarristen und Geiger, Trommler und Trompeter, Akkordeonisten und Cellisten. Auf der Bühne klimpert ein Pianist, der Sänger nuschelt ins Mikrofon. Es schunkeln Walzer und rumpeln Polkas, das Görpslein folgt sogleich. Effekt: Aufmunternd — Ab 6 Monaten

Axel Krygier

Pesebre (2009)

Die Musik des argentinischen Multiinstrumentalisten und DJs ist wie ein Mobile aus Tönen: Es trötet, hupt und klimpert und nervt trotzdem kein bisschen. Im Gegenteil: Was der Maestro Takt um Takt aus seinem Zylinder zaubert, ist tollkühne Musik ohne Grenzen. Effekt: Anregend — Ab 6 Monaten

Kitty, Daisy & Lewis

Kitty, Daisy & Lewis (2008)

Rock’n’Roll, wie ihn Bill Haley um 1954 spielte, nur dass diese drei Geschwister aus London ihr Debüt erst vor fünf Jahren aufgenommen haben. Mit Mama am Kontrabass und Papa an der Westerngitarre. Swingend, fingerschnippend, gut gelaunt. Effekt: Belebend — Ab 6 Monaten

Aphex Twin

Selected Ambient Works 85–92 (1992)

Etwa so könnte es im Mutterbauch tönen: warm, feucht wabbelnd, entspannt. Das Herz schlägt den Beat, und von weitem winken Fetzchen schöner Melodien aus der Zukunft. Effekt: Hypnotisierend — Ab 0 Jahren

Ella Fitzgerald

Lullabies of Birdland (1954)

So singen zu können, wünscht sich jede Mutter, denn bei dieser Stimme verharren auch kleine Schreihälse in verzauberter Irritation. Fitzgeralds Organ erschüttert und tröstet, mahnt und befiehlt. Da ist alles drin an menschlicher Regung. Mehr kann Musik nicht. Effekt: Stimulierend — Ab 3 Monaten

Rufus Wainwright

Out of the Game (2012)

Vorbei die Weekends, an denen sich Mama und Papa durchs Nachtleben pirschten, durch Bars und Clubs bis in die frühen Morgenstunden. «I am out of the game», singt hier Wainwright programmatisch, doch beschwingt lässig wie Frank Sinatra. Effekt: Belebend — Ab 12 Monaten

Judee Sill

Judee Sill (1972)

Obwohl sträflich in Vergessenheit geraten, gehört Judee Sill zu den ganz grossen Stimmen der Siebzigerjahre. Dass sich mit ihren überirdisch schönen Liedern jedes Kinderzimmer beschallen lässt, täuscht nicht über das Drama ihres kurzen Lebens hinweg. Mit bewaffneten Raubüberfällen beschaffte sie sich das Geld für die Drogen, die sie 1979 umbrachten. Effekt: Einlullend — Ab 3 Monaten

Django Reinhardt

The Essential (2011)

Als er 1947 seine Gitarre in einen Verstärker stöpselte, klang sie noch wärmer, sein Spiel noch makelloser. Reinhardts Virtuosität ist atemraubend, doch zupfte er nicht nur Tonleitern, sondern immer auch Geschichten. Musik, die jedes Kind versteht. Effekt: Erfrischend — Ab 3 Monaten

Was sich unsere Tochter sonst noch so reinzieht: Elvis, Cesária Évora, Moondog, Beach Boys, Röyksopp, The Stranglers, Willie Nelson, Simon & Garfunkel, Belle & Sebastian, Sonntagsradio auf www.piratenradio.ch, Papas Gitarrengeklimper und vieles mehr.

Next Read