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Solomütter: 3 Frauen über das Kinderbekommen ohne Mann

Familie

Solomütter: 3 Frauen über das Kinderbekommen ohne Mann

Ein Kind bekommen, ohne Mann? In der Schweiz ist das rechtlich nicht möglich, in Berlin, der Hauptstadt der alternativen Lebensmodelle, schon. Drei Frauen erzählen.

An einem Sonntagmittag des neuen Lebens, in das Shirin vor drei Monaten eingetaucht ist, füllt sie Milchpulver in einen Schoppen. Shirins Haare sind noch nass, sie hat gerade geduscht. Nach der Dusche ist sie wieder in ihre karierte Schlafanzughose geschlüpft, es ist die bequemste, die sie besitzt. Viele ihrer alten Hosen drücken noch am Bauch, wenige Monate nach der Geburt.

Am Esszimmertisch in ihrer Berliner Wohnung sitzt ihre Freundin Eva, die fasziniert beobachtet, wie Shirin mit ihrem Zeigefinger über den Portionierer fährt und das feine Pulver abstreicht. Das Zubereiten der Milch folgt strengen Gesetzen, das hat Shirin ziemlich schnell verstanden – und das ahnt Eva, die nun beobachtet, wie Shirin das heisse Wasser in die Flasche füllt. Sind das schon 120 Milliliter? Shirin hält den Schoppen in Richtung Fenster.

Regeln und Ideologien

Shirin hat ziemlich schnell gelernt, dass eine Mutter ständig mit gesellschaftlichen Glaubenssätzen, Regeln und Ideologien konfrontiert wird. Stillen oder nicht stillen? Das Kind bei sich im Bett schlafen lassen, im Kinderwagen oder in der Trage? Für Shirin ist es nicht immer leicht, sich von all dem freizumachen.

Eine Regel, die lange Zeit vielleicht als die wichtigste galt für Neugeborene, hat Shirin schon vor der Geburt von Lucia gebrochen, nämlich: Ein Kind wächst in einer Vater-Mutter-Kind-Familie auf. Natürlich gibt es Trennungen und Scheidungen, Familien zerbrechen – aber am Anfang jedes neuen Lebens steht eben dieses Ideal, mit dem auch Shirin aufgewachsen ist. Mutter, Vater, Kind, eine Familie wie aus der Werbung.

Braucht ein Kind einen Vater?

Lucia, ihre Tochter, mit Flaum auf dem Kopf und geröteten Wangen, die friedlich, wie nur Babys es können, auf dem Sofa schläft, hat primär nur sie, ihre Mutter. Shirin, vierzig Jahre alt, geboren in Teheran, die zum Maschinenbaustudium nach Hannover kam, dann nach Berlin zog und bis zum Mutterschutz in einem IT-Unternehmen arbeitete. Kann und muss eine Mutter alles für ihr Kind sein? Braucht ein Kind einen Vater? Und was bedeutet Familie überhaupt? Das sind Fragen, die Shirin sich stellte, als ihr das erste Mal der Gedanke kam, dass sie vielleicht allein ein Kind bekommen könnte. Ohne einen Mann.

Neben der Packung mit Milchpulver liegt eine Scheibe Vollkornbrot auf dem Tisch, in die Shirin zweimal reingebissen hat, bevor ihr das mit der Milch eingefallen ist. Beim letzten Mal war sie gerade im Supermarkt, als Lucia Hunger bekam. Sie hatte keine Milch dabei und Lucia schrie wie am Spiess. «Das war schrecklich», sagt sie. Eva nickt mitfühlend: «Du Arme.»

Nudeln mit Tomatensauce, was sonst

Seitdem ist Shirin lieber vorbereitet. Und sowieso: Organisation ist wichtig, gerade, wenn man allein ist. Eigentlich wollte Shirin zu dem Brot das Gemüse-Curry essen, welches sie gestern Abend beim Inder bestellt hatte. Selber gekocht hat sie seit Lucias Geburt vor drei Monaten vielleicht ein- oder zweimal. Nudeln mit Tomatensauce, was sonst.

Manchmal, wenn Lucia abends endlich schläft, Shirin kaputt ist vom Tag, vom Tragen und Schaukeln, vom Schieben und Beruhigen, dann wünscht sie sich, dass einfach mal jemand etwas für sie gekocht hätte. Sie sich auf einen Stuhl fallen lassen könnte, an einem gedeckten Tisch, und einfach essen. Aber diesen Gedanken verdrängt sie schnell.

Der Plan B

Seit Lucia auf der Welt ist, schmerzt es kaum noch, dass alles anders gelaufen ist, als sie es sich früher erträumt hatte. Dass sie ein Kind bekommen hat mit dem Samen von einem Mann, von dem sie nur ein paar biografische Details weiss, seine Grösse, seine Augenfarbe, seinen Beruf und ob es Erbkrankheiten in der Familie gibt. Ein paar Babyfotos. Nicht gerade romantisch, sagt sie. Und dennoch: Der Plan B fühlt sich die meiste Zeit ziemlich gut an.

«Kannst ja auch mich anrufen, ich komme gerne vorbei und koche für dich. Jedenfalls, solange es hier noch ruhig ist.» Eva streicht mit der Hand über ihren Bauch, der sich unter ihrem Kleid deutlich wölbt. Noch knapp zwei Monate, dann kommt auch ihr Baby zur Welt.

Die 37-Jährige scrollt durch ihre Nachrichten. Gestern hat sie ihre Babybauchfotos in ihrem Status bei Whatsapp geteilt. Es sind schöne Bil­der geworden. Eva trägt ein ocker­farbenes Kleid mit einer Kordel unter­ halb der Brust, welche die Grösse ihres Bauches zusätzlich betont. «Wie, wo, was?», schrieb eine alte Freundin, von der Eva länger nichts gehört hatte. «Selbst ist die Frau ;)», antwortete Eva.

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Auch Evas Baby wurde mit einer Samenspende aus einer Samenbank gezeugt. Die beiden Frauen haben sich bei einem Geburtsvorbereitungskurs für Singlefrauen in Berlin kennen­ gelernt. Und sie mochten sich sofort. Seitdem treffen sie sich regelmässig, mal im Café oder bei einer zuhause, manchmal mit weiteren Müttern aus ihrem Kurs. Zwischendurch chatten sie, schicken Fotos von Babybäuchen oder von Lucia. Das Gefühl, nicht al­lein zu sein zwischen all den Vater­ Mutter­-Kind­Familien, verbindet.

Shirin und Eva gehören einer neuen Generation von Frauen an, von denen es immer mehr gibt: Alleinstehende, die sich entscheiden, ihren Kinder­wunsch nicht länger aufzuschieben, sondern mit einer Samenspende aus einer Samenbank umzusetzen. Solo­mütter oder auch Single Mothers by Choice werden sie genannt. Über den Zusatz by Choice wird in der Commu­nity der Solomütter immer wieder ge­stritten.

Einige Frauen, die sich mit Ende dreissig oder Anfang vierzig für diesen Weg entscheiden, fühlen sich nicht so, als hätten sie die Wahl. Rein biologisch gesehen haben sie nicht mehr viel Zeit, um schwanger zu werden. Mit Anfang vierzig beträgt die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen, rund fünf bis acht Prozent.

In der Schweiz immer noch verboten

In der Schweiz ist die Samenspende für alleinstehende Frauen im Jahr 2023 immer noch verboten – obwohl die Nationale Ethikkommission 2020 eine Stellungnahme verfasste, die empfahl, «alleinstehenden Frauen den Zugang zur Samenspende zu gewäh­ren» – auch um die Schweizer Single Mothers by Choice aus der Anonymi­tät herauszuholen, wie die Ethikkommission es formuliert. Denn die Folge des Verbotes: Schweizer Frauen, die allein ein Kind bekommen möchten, reisen ins Ausland, nach Deutschland, Spanien oder nach Dänemark, um die Behandlung durchführen zu lassen.

Die Zahl der Singlefrauen in Deutschland, aber auch den nordi­schen Ländern, die durch eine Samen­ spende schwanger werden, steigt, laut der Einschätzung der Ärzt:innen und der Betreiber:innen der Samenban­ken. Exakte Zahlen, wie viele Single Mothers by Choice es weltweit gibt, existieren nicht. Der Direktor der Samenbank Cryos International in Aarhus, der nach eigenen Angaben grössten Samenbank der Welt, gab im Jahr 2015 an, dass mittlerweile etwa fünfzig Prozent der Interessentinnen alleinstehende Frauen seien. Er prog­nostizierte, dass diese Zahl in Zukunft noch weiter stark anwachsen wird.

«Wie findest du das?» Eva schiebt das Handy über den Tisch zu Shirin. Ein Foto einer weiss getünchten Villa mit Pool, der Himmel blau. Madeira, die Insel, auf der so oft die Sonne scheint. «Vielleicht können wir da alle Anfang des Jahres hin? Du und ich und vielleicht noch andere Solomütter?» «Klingt gut», sagt Shirin. Warum auch nicht? Gerade ist Shirin zwar froh, ir­gendwie durch den Alltag zu kommen, die Nächte sind anstrengend, die Tage oft auch. Aber wer weiss, bis Januar ist ja noch etwas hin.

Die Vernetzerin

Dass Eva und Shirin, aber auch viele andere Solomütter in Berlin, sich – zu­mindest virtuell – kennen, liegt an einer Frau: Sie heisst Katharina Horn und sitzt am frühen Nachmittag ein paar Tage später im «Milch und Ho­nig», einem Café in Berlin­ Friedrichs­hain, knapp drei Kilometer von Shi­rins Wohnung entfernt, und wartet auf ihren Milchkaffee. Viel Zeit hat sie nicht, um halb vier wird sie ihren vier­-jährigen Sohn von der Kita abholen – und dieser wartet nicht gern.

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Katharina Horn ist die zentrale Instanz aller Solomütter in der deut­schen Hauptstadt. Es gibt wohl kaum eine, die nicht zumindest von Horn gehört hat. Horn ist selbst Solomut­ter. 2019, als ihr Sohn zur Welt kam, hätte sie sich ein Netzwerk von Frauen, denen es ähnlich geht, gewünscht. Damals aber gab es das noch nicht.

«Bin ich denn die Einzige, die das macht?», fragte Horn ihre Ärztin aus der Kinderwunschklinik. «Von ihnen gibt es mehr, als Sie denken», antwortete diese. «Und wo bitte sind die anderen Solomütter?», dachte Horn damals. Sie besuchte einen Geburtsvorbereitungskurs für Alleinerziehende – und plötzlich: Die Hälfte der Schwangeren waren Frauen wie sie.

«Balsam für die Seele»

Als ihr Sohn sechs Monate alt war, organisierte der Verband «Alleinerziehende Mütter und Väter» ein erstes Vernetzungstreffen mit Solomüttern aus Berlin: Dort traf Horn 19 andere Mütter und ihre Kinder, die mit einem Spender gezeugt worden waren. «Das hat mir unheimlich geholfen», sagt Horn: «Balsam für die Seele.»

Framily nennt sie diese Frauen, eine Mischung aus Freundinnen und Familie. Nach dem Treffen wurde jemand gesucht, der den E-Mail-Verteiler organisiert. Horn sagte ja. Vier Jahre später sind aus diesen zwanzig Pionierinnen über 700 Newsletter-Abonnent:innen geworden, eine Whatsapp-Gruppe mit 200 Teilnehmerinnen sowie regelmässige Treffen in verschiedenen Berliner Stadtteilen. Und für Horn, die es liebt, die Frauen zusammenzubringen, ist ein neuer Job entstanden.

«Verrückt, dass ich jetzt Mutter bin»

Shirin

Horn fährt ihren Computer hoch. Auf ihrer Seite kiwu-beratung.de beschreibt sie ihr Profil: «Ich informiere, begleite und unterstütze alleinstehende Frauen mit Kinderwunsch, Solomütter und alle anderen Personen, die eine Familie gründen wollen oder bereits eine Familie sind.»

Vorher arbeitete sie als Sozialarbeiterin und beriet Menschen in sozialen oder psychischen Notlagen – so weit weg ist ihre heutige Arbeit davon nicht. Zu ihr in die Beratung kommen nicht selten Frauen, die verzweifelt sind und unsicher, ob sie den Schritt in die Mutterschaft alleine wagen sollen.

Wichtig, sagt Horn, sei, dass der Trauerprozess abgeschlossen sei, die Vorstellung von einer Vater-Mutter-Kind-Familie, eventuell auch verbunden mit der Trennung von dem Partner oder der Partnerin. All das versuche sie, aufzufangen und in Gesprächen mit den Frauen zu reflektieren. Manche ihrer Klientinnen, sagt Horn, stünden mit dem Rücken zur Wand. «Die biologische Uhr», sie vollendet den Satz nicht, aber die Not ist bei nicht wenigen Frauen gross.

Mit dem Rücken zur Wand

Auch Shirin fühlte sich mit dem Rücken zur Wand, so beschreibt sie es an diesem Sonntagmittag Ende Juli. Lucia ist mittlerweile aufgewacht, sie liegt in Shirins Arm und saugt gierig an ihrem Schoppen. Gut, dass der schon fertig war. «Magst du mal schauen?», fragt Shirin Eva. Sie deutet auf einen Stapel blauer Ikea-Tüten, die sie in eine Ecke des Zimmers geschoben hat. Babysachen von Lucia aus den ersten Monaten. «Vielleicht findest du ein paar Sachen.» «Wahnsinn, wie schnell die Babykleider nicht mehr passen», sagt Eva und zieht einen Strampler aus der Tüte. «Ja, verrückt, dass ich jetzt Mutter bin», sagt Shirin.

Zu Lucia war es ein langer Weg. Vor gut drei Jahren ging ihre Beziehung in die Brüche. Immer wieder hatte sie mit ihrem Ex-Freund über Kinder gesprochen, aber sie waren nie weiter gekommen als diese eher vagen Gespräche. Schon damals fühlte sich Shirin bereit für ein Kind, er aber wollte sich noch nicht festlegen. Nach der Trennung reiste Shirin drei Monate lang durch Lateinamerika. Unterwegs traf sie eine Argentinierin, auch Ende dreissig, frisch getrennt, die sich entschlossen hatte, ihren Kinderwunsch mit einem Samenspender umzusetzen.

Hauptsache ein Baby

Sie führte Shirin in die Welt der Solomütter ein. Erklärte ihr, wo sie den Samen bestellen kann, welche Samenbanken es gibt – und welche Möglichkeiten, damit schwanger zu werden: Insemination (der Samen wird in die Gebärmutter gespritzt) oder In-vitro-Fertilisation (die Eizelle wird ausserhalb des Körpers befruchtet). Shirin schwirrte der Kopf, aber während der Reise hatte sie Zeit, ihre Gedanken zu sortieren. Bei ihrer Rückkehr war die Entscheidung gefallen und sie wollte keine Zeit mehr verlieren.

Auf der Seite einer dänischen Samenbank suchte sie – unterstützt von ihren engsten Freundinnen – einen Spender aus. Zusammen sassen sie vor dem Laptop und klickten sich durch die Babyfotos und Profile der Spender. Sie hatte keine genaue Vorstellung vom idealen Spender, nur über 1.70 Meter gross sollte er sein, der Rest war Shirin egal. Hauptsache ein Baby. Es wurde ein lustiger Abend, am Ende war die Flasche Wein leer und Shirin hatte sich für einen Spender entschieden. Ein Däne, Mateo, Student. Auf der Seite der Samenbank hatte sie sich Kinderfotos angeschaut. Braune Haare und Augen, süss.

Wie sag ichs meinem Kind?

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass allein Mutter zu werden teuer ist. Ein IVF-Versuch kostet rund 3000 Euro, manchmal auch mehr – und viele Frauen ab Mitte dreissig brauchen mehrere Anläufe. Dazu kommen noch die Kosten für die Medikamente und natürlich für den Spendersamen. So überrascht es nicht, dass die Single Mothers by Choice, wie auch Shirin und Eva, häufig sehr gut ausgebildet sind, einen sicheren Job haben und Vollzeit arbeiten, wie eine Studie aus dem Jahr 2019 belegt.

Das Sperma von Shirins Spender wurde nach Berlin in die Praxis von Matthias Bloechle geschickt, eine Kinderwunschklinik im Westen von Berlin. Shirin hatte sich direkt für eine künstliche Befruchtung entschieden und nicht für eine Insemination, weil IVF zwar aufwendiger ist und für den Körper anstrengender, aber auch eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Bis sie endlich schwanger wurde, vergingen drei Jahre, fünf künstliche Befruchtungen, zwei Schwangerschaften – bei einer verlor sie das Kind, bei der zweiten klappte es.

Und da ist sie nun: Lucia. Es sei nicht so, dass man alles vergesse, sobald das Kind da sei, aber doch sehr viel, sagt Shirin. «Du hast echt viel mitgemacht», sagt Eva. «Soll ich sie mal nehmen?» Shirin drückt Eva das Baby in den Arm. Vorsichtig hält Eva das Köpfchen. Manchmal kann Eva es gar nicht glauben, dass sie sehr bald ihr eigenes Kind im Arm halten wird.

Auch Eva hatte sich nach einer langjährigen Beziehung getrennt. Schon mit ihrem damaligen Freund hatte sie versucht, schwanger zu werden. Doch es klappte nicht. Sie stritten immer mehr. «Wenn du mit dem Typen Kinder bekommst, wird es nach der Geburt noch zehnmal schlimmer», sagte eine Freundin. Die Beziehung zerbrach – nicht hauptsächlich am Kinderwunsch, aber die ständigen Versuche, das Auf und Ab, belasteten die Beziehung stark.

Nach der Trennung im vergangenen August ging alles sehr schnell. Mitte September besuchte Eva ein Solomütter-Treffen von Katharina Horn. Danach fuhr sie in ein Schweigeretreat nach Portugal, um über ihren neuen Lebensplan, mit Kind, aber ohne Mann, nachzudenken. Nach ihrer Rückkehr machte auch sie einen Termin bei der Kinderwunschklinik von Matthias Bloechle.

Kein Geheimnis vor dem Kind

Bloechles Klinik liegt direkt neben der Gedächtniskirche im Westen von Berlin. Auf den ersten Blick sieht die Praxis aus wie eine normale Frauenarztpraxis. Im Wartezimmer hängen dutzende Kinderbilder und Geburtskarten, die dem Ärzt:innenteam von den glücklichen Eltern zugeschickt worden sind. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man, dass hier nicht nur Paare, sondern auch alleinstehende Frauen behandelt werden. Auf vielen Geburtskarten sieht man Babys (nur) mit ihren Müttern.

Auf einem Regal, gleich links neben der Eingangstür, liegt ein Flyer von Beraterin Katharina Horn. «Angebote für Solomütter»: Beratung und Coaching, Gruppen, Webinare und Kurse, Vernetzung. In der Ecke liegt das Buch «Mein aller- schönstes Geschenk: Ein Buch für alle Wunschkinder, die von Anfang an mit einer Mama in einer Ein-Eltern-Familie aufwachsen» von Hanna Schiller, einer weiteren Solomutter, die mit ihrem Kinderbuch ihrem Sohn und allen anderen Kindern erklären möchte, wie sie zur Welt gekommen sind.

Denn natürlich ist es eine der Fragen, die Shirin, Eva und die anderen Solomütter mit am meisten bewegen: Wie erkläre ich meinem Kind, wie es entstanden ist? Und auch: Was macht es mit meinem Kind, wenn es so aufwächst? Die Forschung weiss mittlerweile, dass es keinen negativen Einfluss auf das Kind hat, wenn es durch eine Samenspende gezeugt wird. Im Frühling veröffentlichte die Universität Cambridge eine Studie, die die Qualität der Familie und das psychologische Wohlergehen zwischen Kindern, die in einer klassischen Familie aufwachsen, und Kindern, die mit Leihmutterschaft, Eizellenspende oder Samenspende gezeugt wurden, vergleicht.

«Es ist viel leichter, nicht auf den einen Tag X zu warten, sondern von Geburt an selber zu üben. Das ist die beste Vorbereitung, denn Fragen kommen viel früher als angenommen»

Katharina Horn

Wichtig sei, so die Forschenden, dass die Kinder möglichst früh, am besten vor dem Grundschulalter, über ihre Entstehung Bescheid wissen. Ähnlich hatte es auch die Berliner Kinderwunschberaterin Katharina Horn bei dem Treffen im «Milch und Honig» erklärt: Es ist wichtig, dass aus der Entstehungsgeschichte kein Geheimnis gemacht wird. Horn empfiehlt in ihren Beratungen, von Beginn an und vor dem Kind offen, aber natürlich kindgerecht, über seine Entstehung zu sprechen.

Bilderbücher wie «Unsere Familie» von Petra Thorn und Margaret Ritter und «Wo ist Karlas Papa?» von Karla Elena Olsen und Pia Olsen seien da eine gute Unterstützung. «Es ist viel leichter, nicht auf den einen Tag X zu warten, sondern von Geburt an selber zu üben. Das ist die beste Vorbereitung, denn Fragen kommen viel früher als angenommen», sagt sie.

Weniger konfliktreich

Auch die psychologische Entwicklung von Kindern, die bei Solomüttern aufwachsen, wird durch die Solomutterschaft nicht beeinträchtigt, dies wurde in einer britischen Studie belegt. Eher im Gegenteil: So stellte sich das Verhältnis zwischen den Solomütter-Kindern und ihren Müttern als weniger konfliktreich heraus. Und auch das Vorurteil, dass ein Kind zwingend mit beiden Geschlechtern, also mit Vater und Mutter als Bezugspersonen, aufwachsen muss, wurde durch die Forschung zu Regenbogenfamilien widerlegt.

Und trotzdem: Horn weiss, dass es gerade in ländlichen, eher konservativen Gegenden manchmal schwierig ist für die Mütter, so offen zu sein. «Wie erzähle ich es den Nachbar:innen?», wird Horn dann in ihrer Sprechstunde gefragt. In Berlin, sagt sie, sei das anders. Vielleicht auch ein Grund, warum es in keiner anderen Stadt in Deutschland so viele Kinderwunschkliniken gibt wie die von Matthias Bloechle, die auch Singlefrauen bei ihrem Kinderwunsch unterstützen.

Eine starke Gemeinschaft

Bloechle war der erste Arzt in Berlin, so erzählt er es, der vor 15 Jahren mit der Behandlung von Singlefrauen begann. Damals galt in vielen deutschen Bundesländern noch die von der Bundesärztekammer (BÄK) in Deutschland veröffentlichte «Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion». In dieser Richtlinie wurden Singlefrauen explizit von Fertilitätsbehandlungen ausgeschlossen.

Da diese Richtlinie aber kein Gesetz war, übernahmen damals Berlin und die Bundesländer Brandenburg und Bayern diese Handlungsempfehlung nicht – und Ärzt:innen wie Bloechle konnten die Fruchtbarkeitsbehandlungen bei Singlefrauen ohne Angst vor Strafen durchführen. In dieser Zeit reisten teilweise Frauen aus ganz Deutschland nach Berlin zu Bloechle.

Mehr Sicherheit bekamen die Ärzt:innen in Deutschland dann durch das Samenspenderegistergesetz, welches die Samenspende für Singlefrauen im Jahr 2018 aus einer rechtlichen Grauzone herausholte. Das bundesweite Gesetz legt fest, dass der Spender kein rechtlicher Vater werden kann. Das Gesetz ist nicht nur für Shirin, Eva und die Spender eine Absicherung, sondern auch für die behandelnden Ärzt:innen wie Bloechle.

«Wahrscheinlich gibt es bald in jeder Kita-Gruppe ein Kind, welches mit einer Samenspende gezeugt wurde»

Matthias Bloechle

Bloechle ist von seiner Arbeit auch ideologisch überzeugt: «Ich finde, jeder Mensch hat das Recht, sein Leben so zu gestalten, wie er möchte», sagt Bloechle, ein unaufgeregter Mann Anfang sechzig, der in seinem Behandlungszimmer empfängt. Zu Beginn waren es nur wenige Frauen, erzählt er, vielleicht zwanzig oder dreissig pro Jahr. Aber er war damals viel in den skandinavischen Ländern auf Kongressen unterwegs, dort war man schon sehr viel weiter und die Samenspende bei Singlefrauen kein Tabuthema mehr.

Zum Glück sei das heute auch in Deutschland anders: «Wahrscheinlich gibt es bald in jeder Kita-Gruppe ein Kind, welches mit einer Samenspende gezeugt wurde», sagt Bloechle. Heute behandelt er sechzig bis achtzig Frauen pro Jahr und seine Klinik ist nur eine von zwölf in Berlin, die sich explizit an Singlefrauen wenden. «Die Gemeinschaft der Solomütter in Berlin ist stark», sagt er.

Am Ende des Nachmittags sitzen Shirin und Eva im Park, ein paar Minuten von Shirins Wohnung entfernt. Shirin hat Lucia auf ihrer karierten Picknickdecke abgelegt, das Baby schläft, während die Frauen ihren Latte macchiato trinken, decaf natürlich. Maxi, eine andere Solomutter, hatte sich auch noch gemeldet. Maxi hat zwei Kinder von einem Samenspender.

«Es klingt vielleicht blöd, aber: es geht alles, wenn man will»

Maxi

Gerade hebt sie ihre sechs Monate alte Tochter aus der Trage. Ihre dreijährige Tochter wuchtet ihr Laufrad über die unebene Wiese. Maxi legt das Baby an die Brust, mit der anderen Hand deutet sie auf den Rucksack: Für ihre dreijährige Tochter hat sie Äpfel und Melone dabei. Maxi streift ihre Schuhe ab, den ganzen Tag war sie auf den Beinen. «Wie schaffst du das, mit zwei kleinen Kindern?», fragt Shirin. «Organisation und ein gutes Netzwerk», antwortet Maxi. Erst neulich hat ihre ältere Tochter wieder bei einer Kita-Freundin geschlafen.

Mal nur für ein Kind verantwortlich zu sein, hat gutgetan. «Manchmal träume ich auch von einem zweiten.» Shirin legt Lucia, die langsam aufwacht, ihre Hand auf den Bauch. Ein verrückter Gedanke, Shirin weiss das. Aber irgendwie auch schön. «Es klingt vielleicht blöd, aber: es geht alles, wenn man will», sagt Maxi. Sie verzichtet auf Urlaube und lange Reisen, kauft nur Secondhand-Kleider und beteiligt sich an Food-Sharing-Aktionen – wer alleine ein oder zwei Kinder grosszieht, braucht Geld.

Eine freie Entscheidung

Natürlich auch starke Nerven, wie damals, als sie Corona bekam und keine Kraft mehr hatte, ihre Tochter zu versorgen, und es nur mit Hilfe ihrer Schwester und ihrer Nachbar:innen schaffte. Und sie braucht ein dickes Fell, wenn sie Nachrichten bekommt wie die von einer Mutter aus dem Geburtsvorbereitungskurs: «Es tut mir leid, dass du allein bist.» «Muss dir nicht leidtun, war eine freie Entscheidung», antwortete Maxi.

Denn im Gegensatz zu einer Mutter, die unfreiwillig alleinerziehend ist, hat sie keinen Trennungsschmerz, keinen Liebeskummer, keinen Streit mit dem Ex um Geld oder Sorgerecht – und ihre Beziehung zu ihren Kindern ist frei von all dem. Natürlich hat sie keinen zweiten Elternteil, den sie zur Not anrufen kann. Aber all das wusste sie vorher – und konnte planen. Und am Ende ist Maxi auch nie alleine. Es gibt Eva, Shirin und viele andere. Frauen und ihre Kinder. Dazu noch Grosseltern, eine Tante oder den besten Freund. Framily.

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