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Warum Frauen ihre Beziehung auf Social Media verstecken

Warum Frauen ihre Beziehung auf Social Media verstecken

Boyfriend-Posts gelten online plötzlich als altmodisch. Warum dieser Wandel längst überfällig ist und weshalb echte Romantik trotzdem nicht aussterben muss. Ein Kommentar.

Kürzlich habe ich – wie gefühlt meine gesamte Social-Media-Bubble – den Essay «Is having a boyfriend embarrassing now?» der Vogue-Journalistin Chanté Joseph gelesen. Darin beschreibt sie, wie es online plötzlich als unzeitgemäss gilt, seinen Partner auf Social Media zu zeigen.

Der frühere «Boyfriend-Content», einst so etwas wie ein öffentliches Zertifikat sozialer Anschlussfähigkeit, sorgt heute eher für genervtes Weiterscrollen. Statt Gefühlsbekundungen posten viele Frauen nur noch minimale Hinweise auf ihre Beziehung: eine Hand am Lenkrad, ein zweites Glas im Bild, ein unscharfer Mann im Hintergrund. Beziehung als Andeutung.

Viele der Frauen, mit denen Joseph für ihren Text gesprochen hat, möchten unabhängig wirken und haben zugleich Angst davor, nach der Trennung den digital dokumentierten Beziehungsabsturz erklären zu müssen. Der Tenor: Übertriebene Hetero-Romantik gelte inzwischen als rückwärtsgewandt. Als Konsequenz wird der Boyfriend online also lieber verschwiegen.

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"Eine Beziehung mit einem Mann ist kein Statussymbol mehr für eine Frau"

Joseph deutet diesen Trend als Symptom eines kulturellen Shifts: Eine Beziehung mit einem Mann sei kein Statussymbol mehr für eine Frau. Im Gegenteil: Single zu sein wirke heute moderner, leichter und selbstbestimmter. Diese neue Coolness besteht folglich darin, niemanden vorweisen zu müssen, um ein Ganzes zu sein.

Beziehungsstatus? Uninteressant

Als Frau in einer Beziehung mit einem Mann spricht mich das an. Für mich war der Umstand, dass ich einen Partner habe – bei aller jahrelangen Liebe und Romantik – schon immer das Uninteressanteste an mir. Und umgekehrt hat es mich noch nie grossartig interessiert, ob die Frauen, die ich kennenlerne, in einer romantischen Beziehung mit Männern sind.

Viel spannender finde ich, was die Frau mir gegenüber liest, welches Album sie hört, wenn sie sich etwas Feines kocht und welche Filmszene mietfrei in ihrem Kopf lebt.

Umso überraschender ist für mich der Zorn, der Joseph entgegenschlägt und dass dieser vor allem von Frauen kommt, die selbst einen Freund haben: Sie unterstellen Joseph Verbitterung oder Neid, obwohl der Essay nichts dergleichen durchblicken lässt. Aber wir leben in einer Zeit, in der Headlines reichen, um eine kollektive Empörung auszulösen.

Davon abgesehen, dass der Essay mit einer Frage betitelt ist und Joseph keineswegs eine haltlose Behauptung in den Raum stellt, sondern eine kluge und reflektierte Abhandlung über ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen geschrieben hat: Ich finde, sie hat ganz einfach auch recht damit.

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"Männer aus der eigenen Lebensmitte zu verabschieden, ist beinahe chic geworden"

Viele Frauen meiner Generation definieren sich nicht mehr über ihren Beziehungsstatus. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, welche Bilder uns geprägt haben: Mädchenzeitschriften, die erklärten, wie man Jungs gefällt. Disney-Filme, in denen die Krönung des weiblichen Lebens stets in Form eines Prinzen auftauchte. Cool war man, wenn man einen Boyfriend hatte, noch cooler, wenn man schon Sex mit ihm hatte.

Kein Interesse mehr an einem Prinzen

Heute wirkt die Sehnsucht nach diesem Narrativ eher veraltet. Viele meiner Single-Freundinnen haben gar kein Interesse mehr an der Suche nach einem Prinzen.

Sie kultivieren stattdessen ihre Hobbys, machen Kunst, lernen Instrumente, bauen Netzwerke und gründen eigene Projekte. Sie sind sich selbst genug. Männer aus der eigenen Lebensmitte zu verabschieden, ist beinahe chic geworden.

"Historische Verschiebungen verändern den Blick auf heterosexuelle Beziehungen"

Diese Entwicklung hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir zu den ersten Generationen von Frauen gehören, die Männer nicht mehr benötigen, um finanziell oder rechtlich zu existieren. Meine Grossmutter konnte kein eigenes Konto eröffnen, ohne das Einverständnis eines Mannes. Als meine Mutter mich im Kinderwagen schob, war Vergewaltigung in der Ehe noch kein Strafbestand. Solche historischen Verschiebungen verändern den Blick auf heterosexuelle Beziehungen.

Das absolute Gegenteil: Tradwives

Dieses zurückhaltende Verhalten gilt aber nicht überall: In konservativeren Bubbles – etwa in der Community der Tradwives, wo traditionelle Rollenbilder bewusst gepflegt werden – erlebt der öffentlich zelebrierte Ehemann gerade eine Art Renaissance.

Dort dient der «Hubby»-Post als Zeichen von Loyalität, Stabilität und politischer Haltung. Für viele Frauen ausserhalb dieser Blase ist genau das jedoch ein zusätzlicher Grund, sich davon abzugrenzen: Wer eine gewisse Form von Weiblichkeit nicht mittragen will, möchte auch nicht deren Ästhetik reproduzieren.

"Wir befinden uns in einer Phase widersprüchlicher Erwartungen"

Gleichzeitig zeigt der Hype um Jennifer Anistons jüngstes Liebesposting, dass öffentliche Romantik noch immer eine Faszination besitzt. Aber eher als Ausnahme, denn als Regel: Wenn eine Ikone wie Aniston etwas teilt, reagiert die Welt nicht, weil sie einen Mann zeigt, sondern weil sie es so selten tut.

Auch das macht deutlich: Es geht nicht darum, Beziehung zu verstecken, sondern darum, sie nicht mehr als identitätsstiftendes Display zu nutzen.

Und dennoch sehnen sich auch meine Single-Freundinnen nach Romantik, natürlich tun sie das, der Mensch, die Frau ist schliesslich keine Insel. Wir befinden uns in einer Phase widersprüchlicher Erwartungen: Frauen akzeptieren kein «bare minimum» mehr, während viele Männer – geprägt von einem System, das ihnen nie eine Anpassung abverlangt hat – mit der neuen Realität überfordert sind. Die oft zitierte male loneliness epidemic ist weniger Überraschung als patriarchale Konsequenz.

Es reicht nicht mehr, einfach ein Mann zu sein

Es reicht heute nicht mehr, einfach ein Mann zu sein. Und wenn das für manche eine Krise auslöst, sagt das weniger über Frauen und ihre Ansprüche aus als über die Vorstellungen von Männlichkeit, die lange unangetastet blieben.

Gleichzeitig eröffnet genau dieser Moment auch eine Möglichkeit: Auch die Männer, die das bis anhin noch nicht getan haben, können sich neu definieren – als wirkliche Partner.

Vielleicht markiert dieser Wandel deshalb kein Ende der Romantik, sondern das Ende eines Systems, das Männern Privilegien ohne Beteiligung erlaubt und Frauen Anpassung ohne Gegenleistung abverlangt.

Was danach kommt, ist offen – doch es eröffnet die Chance auf ein Miteinander, das wirklich auf Augenhöhe stattfindet. Und auf dieser Ebene einen Prinzen zu küssen ist ohnehin sehr viel cooler.

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