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Warum ich jetzt einen Gipsabdruck meiner Vulva besitze

Body & Soul

Warum ich jetzt einen Gipsabdruck meiner Vulva besitze

  • Text: Sandra Brun
  • Bilder: Claudia Plattner, Unsplash; Collage: annabelle (Symbolbild)

Geplant war ein Interview über Körperdiversität mit der Gipskünstlerin Viktoria Krug, die Abdrücke von Vulven anfertigt. Weshalb Autorin Sandra Brun es stattdessen gleich selbst ausprobierte.

Und plötzlich sass ich im Badezimmer einer lichtdurchfluteten Airbnb-Wohnung voller Pflanzen und Kunst und wurde doch nervös. Bis anhin fühlte sich mein Besuch bei der österreichischen Künstlerin Viktoria Krug während ihres Stopps in der Nähe von Basel wie ein Treffen mit einer alten Freundin an. Das Gespräch mit der 30-Jährigen über eines der intimsten Themen – nämlich meinen Intimbereich – war überraschend vertraut.

Wir sprechen über die Geschichten, die wir mit unserer Vulva erleben und verbinden. Von Menstruation über Geburt bis Sexpraktiken. Von Lust über Unsicherheiten und Körpergefühl bis Schmerzen. Und finden rasch eine grosse Gemeinsamkeit: Wie unglaublich wenig wir beide lange über unseren weiblichen Körper, unsere Sexualität und eben über unsere Vulva wussten – wie wohl der Grossteil der Menschen mit Vulva.

Entsprechend sind auch Viktoria und ich mit merkwürdigem Halbwissen und noch merkwürdigeren Namen für unsere Vulva aufgewachsen («Schlitzli» wars bei mir, «Mumu» bei ihr). Entsprechend kurz war die Zeit in unserem Leben, in der wir unser Geschlechtsteil auch wirklich mit dem korrekten Namen benennen. Wissen aufbauen. Und hinschauen. Im übertragenen wie im sprichwörtlichen Sinn.

Sonst nur Gynäkologin und Sexpartner

Und da sind wir dann bei meiner Nervosität im Badezimmer: Ich war nämlich gerade dabei, mich untenrum freizumachen. Was sonst ja eher im Privaten passiert. Oder wenns um Sex geht. Oder bei der Gynäkologin. Abgesehen von ihr und meinen Sexpartnern sehen sehr, sehr wenige Menschen sonst meine Vulva.

Logisch bin ich also nervös. Dachte ich bis gerade noch, dass ich mit dem Aussehen meiner Vulva zufrieden bin, mache ich mir doch plötzlich absurde Gedanken: Sieht sie normal aus? Hübsch? Langweilig? Fürchte ich mich etwa davor, dass Viktoria über sie urteilt? Obwohl sie mir vorher versicherte, wie meine Vulva aussehe, mache höchstens ein Prozent des Bildes aus, das sie von mir hat? Aber hinsehen wird sie. So richtig. Denn sie wird einen Gipsabdruck meiner Vulva anfertigen.

Jup, meine Vulva kriegt sozusagen ihre eigene Statue. Zuerst wollte ich darüber einfach ganz unbeteiligt ein Interview führen mit Viktoria. Über ihre Beweggründe, Vulva-Gipsabdrücke herzustellen. Und über die Beweggründe der Menschen, die einen solchen ihrer eigenen Vulva möchten. Bis sie mich einlud, statt ein trockenes Interviews zu führen, doch einfach selbst die Beine breitzumachen.

Vulven sind wenig sichtbar

Mein erster Impuls war: nie im Leben. Was mich dann aber dazu brachte, zuzusagen. Weil ich herausfinden wollte, warum ich impulsiv so vehement verneinte. Ja, mit Nacktsein habe ich eher Mühe. Damit, mich mit Körperdiversität und mit meiner eigenen Weiblichkeit auseinanderzusetzen, aber eher nicht. Im Gegenteil: Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass wir unsere Sehgewohnheiten trainieren, Schönheit neu definieren, Vielfalt normalisieren.

Und genau da komme ich zu einem weiteren Punkt, warum ich eben doch hier sitze. Weil Vulven wenig sichtbar sind, sogar im Leben einer cis Frau. Auch ich kenne neben meiner eigenen Vulva nur die meiner Tochter. Und vielleicht noch die meiner Schwester, die meiner Mama, die von ein paar Freund:innen – aus der Ferne. Weil man halt dann doch nicht so genau hinschaut. Und weil ich bisher nur Sex mit cis Männern hatte.

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«Ich war erstaunt und zugleich fasziniert, als ich zum ersten Mal detaillierte Fotos von verschiedenen Vulven sah»

Viktoria Krug

Genauso ging es früher auch Viktoria. Erst vor drei Jahren stolperte sie per Zufall über Bilder der Anatomie. «Ich war erstaunt und zugleich fasziniert, als ich zum ersten Mal detaillierte Fotos von verschiedenen Vulven sah», sagt sie. Wie unterschiedlich diese waren: Farben, Formen, Feinheiten. Innere Vulvalippen, die unter den äusseren rausguckten – und solche, die quasi unsichtbar darunter verborgen blieben. Klitorisvorhäute, die weit über die Klitoriseichel ragten – und solche, die diese kaum verdeckten. Gekräuselte Intimhaare, kreativ-rasierte Intimfrisuren, Wildwuchs. Intimpiercings und -tattoos. Muttermale, Narben, Hautstrukturen.

Selten wie bei Pornodarsteller:innen

Kaum eine Vulva sei vergleichbar mit den Vulven, die wir nebst unseren eigenen am ehesten noch sehen – und mit denen wir unsere halt dann vergleichen: die von Pornodarsteller:innen. Was zu Unsicherheiten führt. Zu Scham. Vielleicht sogar zu Schönheitsoperationen. Viktoria war klar, dass sie daran etwas ändern und unterschiedliche Vulven normalisieren will. «Also setzte ich mich erst einmal hin, und machte einen Abdruck meiner eigenen Vulva.» Denn auch wenn man sich à la Charlotte in «Sex and the City» mal den Spiegel zur Hand nehme und hinschaue, sehe man auch seine eigene Vulva kaum ganz genau. Und eben nie direkt.

Ich bin also kurz davor, meine eigene Vulva aus einem völlig neuen Blickwinkel zu sehen. Zuerst aber sitze ich nach Überwinden meines kurzen Nervenflatterns auf dem gemütlichen Sofa vor Viktoria, angewinkelte Beine, Blick in den Handspiegel. Und während wir locker weiterplaudern, fühlt es sich merkwürdig unmerkwürdig an, dass Viktoria – eine Person, die ich gerade mal eine knappe Stunde kenne – mir so unglaublich nah kommt.

Ich sehe ihr zu, wie sie erst einmal Alginatpulver mit Wasser mischt. Und die dadurch entstehende lilafarbene schleimige Masse dann sorgfältig auf meine Vulva aufträgt, um jedes Detail abzuformen. Alginat besteht übrigens aus Braunalgen, ist komplett natürlich, damit fertigt man sonst auch Zahnabdrücke an. Sprich: perfectly safe für den Intimbereich.

So sitze ich dann da, mit Farbklecks zwischen den Beinen. Bisschen kühl, ziemlich ungewohnt; ich muss schmunzeln über das amüsante Bild. Dann geht es weiter mit Gipsbinden, die Viktoria Schicht für Schicht aufträgt, da die leicht fest gewordene Alginatmasse sonst zusammenfallen würde. Am Schluss warten wir noch ab, bis alles ausgehärtet ist, und fertig ist der eigentliche Akt des Gipsabdrucks, der nur etwa eine Viertelstunde dauert.

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«Jetzt liegt da quasi das Negativ meiner Vulva – was man so ja auch nicht alle Tage sieht»

Jetzt liegt da quasi das Negativ meiner Vulva – was man so ja auch nicht alle Tage sieht. Ich gucke es mir an, versuche mir vorzustellen, wie Viktoria zurück in Graz Gips reingiesst, um die Statue anzufertigen. Wir sprechen über die Farbe, die ich mir für meinen Abdruck wünsche – von klassisch gipsfarben bis zu knallig bunt und verspielten Goldapplikationen gibt es da eine riesige Bandbreite. Ich entscheide mich für den Klassiker, husche dann zurück ins Badezimmer, mache mich frisch, ziehe mich wieder an.

Schluss mit der Scham

Für Viktoria ist das Fertigen der Abdrücke nicht mehr wirklich Neuland. Von rund 1500 Vulven hat sie solche bisher angefertigt. «Doch zuerst habe ich mal rund 200 Vulven sehen müssen, bevor ich mich überhaupt traute, auch wirklich hinzuschauen», erzählt sie mir. Sie habe lernen müssen, dass sie den Moment nutzen darf, die Vulven in Ruhe anzuschauen. Und eben nicht verschämt möglichst rasch den Abdruck hinter sich bringen muss.

«Schluss mit der Scham, ganz allgemein», findet Viktoria. Denn nicht eine Vulva empfand sie als unschön. «Im Gegenteil: Je ausgefallener, desto schöner finde ich die Vulven.» Infolgedessen hat sich auch die Wahrnehmung ihrer eigenen Vulva verändert. Und sie fing an, ihre eigene Vulva zu mögen. An den meisten Tagen zumindest. Denn tief verankert ist die Unsicherheit, mit der sie aufwuchs. «Das kriegt man nicht so rasch weg.»

Viktoria erzählt mir auch, was der Vulva-Abdruck bei ihren Klient:innen auslöst – ganz unterschiedliche Menschen mit Vulva; von 17 bis 72 bisher. Frauen, nicht-binäre Personen, trans Männer. Da geht es oft auch um die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht, mit der eigenen Sexualität. Um ein Im-Reinen-Sein mit der eigenen Vulva.

Endlich – wieder – eine positive Assoziation

Die einen bauen sich mit dem Gipsabdruck einen kleinen Altar, stellen was Hübsches daneben. «Viele finden es schön, ihre Vulva feiern zu können. Freuen sich – teilweise zum ersten Mal überhaupt –, etwas Positives mit ihr zu assoziieren.» Fernab von sexualisierten Übergriffen, traumatisierenden Geburtserlebnissen, Regelschmerzen. Es löse etwas aus, seine eigene Vulva im Alltag immer mal wieder anzutreffen, anzusehen. Ein Bewusstsein, ein Gedankenanstoss, ein neues Gefühl.

Umso neugieriger bin ich darauf, was sich bei mir tut durch diesen Prozess. Für den Moment freue ich mich darüber, dass ich ganz viel positive Energie aus der Begegnung mit Viktoria mitnehme. Irgendwie empowernd, mich mal wertfrei anderthalb Stunden nur mit meiner Vulva auseinanderzusetzen. Kurz vor der Verabschiedung sagt Viktoria noch: «Ich bin gespannt, wie es sich für dich anfühlt, wenn du den fertigen Abdruck in den Händen hältst.»

Rund zwei Monate nach dem Fertigen des Abdrucks wird er dann geliefert, der Gipsabdruck. Und ich setze mich hin. Diesmal auf mein eigenes Sofa. Und schaue sie mir an, meine Vulva. Ganz in Ruhe, jede kleine Einzelheit. Und ich mag sie. Sie sieht irgendwie so aus wie erwartet. Und trotzdem auch überraschend anders, was wohl an der Perspektive liegt. Daran, dass ich sie so eben noch nie gesehen habe.

«Ganz casually laufe ich tagtäglich meiner eigenen Vulva über den Weg»

Ich trage sie an dem Tag immer mal wieder durch die Wohnung, suche ein Plätzchen für sie. Im Wohnzimmer ist mir ein bisschen zu exhibitionistisch. Ins Bad gehört sie auch nicht so recht. Ich stelle sie also in meinem Schlafzimmer ins Regal, das fühlt sich passend an. Intim, aber nicht versteckt. Sie thront jetzt über meiner Kleiderstange. Guckt von da oben aufs Geschehen. Kriegt ab und zu Besuch – aber eben ausgewählten. Sie wird angeschaut, auch mal vom Regal genommen, studiert, kommentiert. Sorgt für Schmunzeln. Guter Gesprächsstoff, so eine Vulva im Regal, merke ich.

Immer mal wieder vergesse ich, dass sie da ist. So sehr habe ich mich wohl schon daran gewöhnt, ganz casually tagtäglich meiner eigenen Vulva über den Weg zu laufen. Immer mal wieder bleibe ich aber auch stehen, gucke sie eine Weile an. Denke darüber nach, was es für mich bedeutet, eine Vulva zu haben. Was ich an ihr mag, was mich nervt. Was ich mir für sie wünsche. Wir lernen uns also gerade nochmals neu kennen – in jederlei Hinsicht.

Beim Vulva-Casting fertigt Viktoria Krug mithilfe spezieller Körperabdrucktechniken exakte Kopien von Vulven an. Daraus entstehen dann kunstvolle Gipsstatuen. Ausserdem werden – mit Einverständnis der Teilnehmer:innen – Bilder der Statuen angefertigt, die Teil einer umfassenden Sammlung werden, die reale Vulven in nicht sexualisiertem Kontext zeigen.

 

Das Anfertigenlassen einer eigenen Vulva-Statue bei der Künstlerin kostet ca. 265 Fr. – neu gibt es auch ein DIY-Kit für zu Hause (ca. 163 Fr.). Viktoria macht immer wieder Stopps in verschiedenen Städten in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Vom 14. bis 17. Dezember 2023 macht sie Halt in Zürich. Hier könnt ihr selbst einen Termin buchen und findet weitere Informationen.

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Shamblea

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