Daniela B. (49), Fachfrau Kommunikation aus Zürich, erzählt, wie sich ihr Kind immer mehr zurückzog.
Ich merkte, etwas stimmt nicht mit Barbara*. Sie schloss sich immer öfter in ihrem Zimmer ein, sagte, sie sei krank und bleibe zuhause. Zuerst dachte ich, sie habe vielleicht Liebeskummer. Doch es hörte nicht auf.
Eines Tages konnte sie nicht einmal mehr einschlafen, erbrach, bevor sie morgens zur Schule ging. Da trat ich in ihr Zimmer und sagte: «Ich gehe hier erst wieder raus, wenn du mir erzählt hast, was los ist.» Endlich konnte sie sich überwinden und offenbarte sich mir: Klassenkameradinnen hatten sie auf Facebook blossgestellt, hatten geschrieben, man solle ihr die Haare abfackeln, sie müffle, sei minderwertig und schlecht gekleidet. Ich bin alleinerziehend, mir fehlt das Geld, um Barbara Markenkleider zu kaufen. Logisch will kein Vater bei so einem Kind bleiben, stand denn da auch. Selbst gedroht hatten sie ihr: Pass bloss auf, man weiss ja nie. Bald wussten es alle. Du stinkst. Du bist hässlich und dumm. Warum ist so jemand wie du überhaupt auf der Welt? Sie tuschelten, wenn meine Tochter vorüberging. Sie wollte kaum mehr aus dem Haus.
Das war vor fünf Jahren. Barbara war 15 und im letzten Schuljahr. Die Klasse bestand fast nur aus Jungs; kurz bevor es losging mit dem Mobbing, war ein weiteres Mädchen dazugekommen. Sie hat sich mit dem anderen Mädchen zusammengetan und sich gegen Barbara verschworen, ob aus Eifersucht oder aus welchem Grund auch immer. Zwei Monate lang hackten sie via Facebook auf ihr herum. Am Ende sass meine Tochter zuhinterst im Schulzimmer. In der Pause war sie immer allein.
Ich fühlte mich ohnmächtig. Natürlich verspürte ich eine Wut auf die beiden Mädchen, doch die Machtlosigkeit überschattete alles. Hatte ich bisher für alles immer eine Lösung gehabt, war ich nun auf einmal hilflos.
Sehr wahrscheinlich hatte ich die Problematik auch unterschätzt. Zunächst versuchte ich noch, meiner Tochter gut zuzureden: Kümmere dich nicht um die! Du bist hübsch und klug. Das geht vorbei. Damit hatte ich den Ernst der Lage verkannt. Das war ein Fehler. Denn was Mami sagt, interessiert die Mädchen in diesem Alter nicht. Entscheidend ist allein, wie man von seinen Altersgenossen wahrgenommen wird. Teenager wollen beliebt sein. Meine Tochter wurde gehasst.
Ich musste mich sehr zusammennehmen. Ich habe Barbara geschont und versucht, es ihr möglichst leicht zu machen, damit sie wenigstens zuhause keinen Druck spürt und sich wohlfühlt.
Zusammen haben wir dann die Facebook-Einträge ausgedruckt, und ich bin damit zur Schulleitung gegangen. Doch die wiegelte ab: Bloss nicht ansprechen – das wird sonst nur noch schlimmer. Also schlossen meine Tochter und ich einen Pakt: Wir stehen das durch. Zumal das Ende absehbar war, es waren nur noch ein paar Monate, bis das letzte Schuljahr vorbei sein würde. Ich riet ihr, gar nicht mehr auf die Provokationen zu reagieren. Und das tat sie, bis es für die Mobber langsam langweilig wurde.
Heute würde ich jedoch eine andere Strategie wählen. Ich würde mich von der Schule jedenfalls nicht mehr so leicht abspeisen lassen. Ich finde, man sollte Mobber zur Rede stellen; sind sie unbelehrbar, sogar von der Schule weisen.
Rückblickend finde ich es schön, dass meine Tochter sich mir letztlich geöffnet hat. Sie hat mir alle beleidigenden Einträge gezeigt und konnte bei mir alles abladen. Ich habe zugehört. Und vor allem habe ich aufgehört, ihr Ratschläge zu erteilen. Das hat unsere Beziehung gefestigt. Heute schaut Barbara genau, mit wem sie auf Facebook befreundet ist. Sie hat einen Freund, der sie unterstützt, ist als Person gereift. Ein solches Debakel könnte nicht mehr passieren. Wir sprechen auch nicht mehr davon. Wir haben damals so viel darüber geredet. Lieber vorwärtsschauen, sagt sie. Doch ich bin sicher, es ist noch immer in Barbara drin. Man hat ihr ein Jahr ihres Lebens gestohlen.
*Alle Namen geändert — Opfer von Cyber-Mobbing erhalten Hilfe über die Notfallnummer 147.
Weitere Informationen: www.projuventute.ch