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Wie ist es eigentlich, einen katholischen Pfarrer zu lieben?

Liebe & Sex 

Wie ist es eigentlich, einen katholischen Pfarrer zu lieben?

  • Aufgezeichnet von Stephanie Hess; Bild: Pexels, Fancycrave

Sandra Segemann* (39), Versicherungsangestellte, liebt einen katholischen Pfarrer. 

Manchmal sitze ich im Gottesdienst, höre ihm bei seiner Predigt zu, schaue die Kirchenbesucher an, die neben mir sitzen, und denke: Mein Gott, wenn ihr wüsstet, dass wir einander lieben! Dabei ist es nicht so, dass die Beziehung zwischen Peter* und mir eine absolut verschwiegene Angelegenheit ist. Natürlich ist sie grundsätzlich geheim, weil sie nicht gestattet ist; er ist ein katholischer Pfarrer und damit ans Zölibat gebunden. Aber meine engsten Freunde sind über unsere Beziehung informiert, in seinem Umfeld wissen ebenfalls vereinzelte Leute Bescheid. Einige Kirchgänger ahnen es wohl auch, schliesslich sind wir so oft wie nur immer möglich zusammen.

Kennen gelernt haben wir uns vor Jahren im Pfadilager, wo ich im Küchenteam mithalf. Ich war 22, er 36 und als Pfarradministrator neu in der Gemeinde. Wir haben nur gestritten, ich konnte ihn nicht ausstehen. Wie sich später herausstellte, war das seine Art zu zeigen, dass er mich mochte. Etwas unbeholfen! Aber er hatte ja nicht viel Erfahrung mit Frauen. Als er für seine Ausbildung in eine andere Pfarrei zog, verloren wir uns aus den Augen. Er wurde Pfarrer, ich heiratete, bekam zwei Mädchen. Als ich wegen einer Rückenoperation im Spital lag, schrieb ich auf Facebook, dass ich mich über jeden Besuch freuen würde. Und wer kam? Peter! Er sei gerade in der Nähe gewesen. Wir sprachen lange. Ich erzählte ihm von den grossen Schwierigkeiten in meiner Ehe, der Gewalt. Er meinte, trenn dich, lass dich scheiden, ehe du daran zerbrichst.

Als ich einige Monate später endlich von meinem Ehemann loskam, erzählte ich Peter davon. Wir blieben in Kontakt. Irgendwann fragte er mich, ob ich mit ihm essen gehen wolle. Ich dachte mir nichts dabei. Dass er Interesse an mir, überhaupt an einer Frau haben könnte, darauf wäre ich nie gekommen. Erst nach und nach ging mir auf, dass er verliebt war. Und auch ich merkte, dass bei mir mehr da war. Nach einem gemeinsamen Skitag küsste er mich. Das war vor zwei Jahren.

Am Anfang machten wir ein grosses Geheimnis daraus. Bevor ich jeweils das Pfarrhaus verliess, schaute ich aus dem Fenster, ob jemand kommt. Dann schlich ich mit klopfendem Herzen raus. Inzwischen gehe ich bei ihm ein und aus, als wäre es mein Zuhause. Er übernachtet aber öfter bei mir als ich bei ihm: Im Pfarrhaus fühlt es sich an, als ob Gott zuschauen würde. Wir machen Tagesausflüge mit den Mädchen, gehen zu zweit spazieren und gemeinsam essen im Restaurant im Dorf. Ob die Leute da komisch reagieren? Nein. Ich glaube, den meisten ist es egal, die machen sich gar keine Gedanken.

Obwohl keine Gegenwehr aus der Kirchgemeinde kommt, kann ich nicht ewig so weitermachen. Es schmerzt mich, dass ich ihn nicht umarmen kann, wenn wir zusammen unterwegs sind. Und es ist für mich jedes Mal wie eine Ohrfeige, wenn er mich Bekannten als Kollegin vorstellt. Darum möchten wir nun den Bischof bitten, dass er Peter von seinem Pfarreramt entbindet. Eine solche Laisierung ist ein langwieriges Verfahren, das mehrere Jahre dauern kann. Für Peter ist das kein leichter Schritt, weil er Angst vor der Zukunft hat. Davor, dass er keinen Job mehr findet.

Aber den Fünfer und das Weggli kann er auf die Dauer nicht haben. Ich glaube an die Werte der katholischen Kirche. Aber ich finde, dass sie sich in einigen Punkten der heutigen Zeit anpassen muss; beispielsweise die Haltung gegenüber homosexuellen Paaren und auch, was das Zölibat betrifft. Ich kann nicht verstehen, weshalb Pfarrer Liebe zwar predigen, sie aber nicht leben dürfen.

Peter sagt, dass die Einsamkeit das Schrecklichste an seinem Beruf sei. Man helfe den ganzen Tag anderen Menschen, verheirate sie, taufe sie. Trotzdem sei man selber immer allein. Vor allem die Nächte waren schrecklich für ihn. Darum hat er jeweils den Fernseher die ganze Nacht über laufen lassen. Mittlerweile schafft er es auch mal ohne – weil ich sonst nicht schlafen kann.

*Name von der Redaktion geändert