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Wie ist es eigentlich, Mutter von 34 Kindern zu sein?

Body & Soul

Wie ist es eigentlich, Mutter von 34 Kindern zu sein?

  • Aufgezeichnet von Claudia SennBild: GettyImages

Elisabeth Stenmans (60), Euskirchen (D)

Vierundreissig Kinder, das bedeutet: Eines hat immer Liebeskummer, Stress in der Schule oder die Grippe. Viele Jahre lang waren fünf Waschmaschinen und fünf Trockner im Einsatz – rund um die Uhr. Die Haushaltsausgaben beliefen sich auf 26 000 Franken pro Monat. Und vor unserem 50-Zimmer-Anwesen stand neben vier PKWs auch noch ein Bus.

Ich bin sehr privilegiert aufgewachsen. Meine Eltern waren Unternehmer. Wir machten tolle Reisen, zum Beispiel nach Afrika, da war ich zwölf. Ich sah Kinder mit Hungerbäuchen, die, umschwirrt von Fliegen, apathisch auf dem Boden hockten. Mich hat das so erschüttert, dass ich es kaum ertrug. Ich wollte unbedingt etwas gegen das Elend dieser Kinder tun. Ab sofort verweigerte ich die sechsgängigen Menüs. Zuhause räumte ich meine beiden Kinderzimmer leer und behielt nichts als eine Matratze auf dem Boden. Die Haare schnitt ich mir mit der Heckenschere, um das Geld für den Coiffeur nach Afrika schicken zu können. Du meine Güte, war ich radikal!

Nach meinem Studium als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin arbeitete ich mit Strassenkindern in der Dritten Welt. Und überall, wo ich hinkam, baten mich die Menschen, dieses oder jenes Kinderleben zu retten. Zuerst habe ich immer versucht, eine Lösung im Heimatland des Kindes zu finden. Bei rund 200 Kindern ist mir das auch gelungen. Doch was tun mit einem Mädchen wie Liseron aus Sri Lanka, die mit ihren fünf Monaten unfassbar abgemagert und am Rücken grün und blau geschlagen war? Oder Alcione aus Brasilien, geistig behindert, schwerhörig, fast blind und voller Brandmale von ausgedrückten Zigaretten? Für solche Kinder gab es nur eine Möglichkeit zu überleben: die Adoption ins Ausland.

So kamen zu meinen zwei leiblichen Kindern immer mehr adoptierte hinzu, aus Brasilien, Sri Lanka, Rumänien und Äthiopien. Bei zwölf habe ich gesagt, jetzt ist Schluss. Doch dann meldete sich immer mal wieder eins meiner älteren Kinder und sagte: Mama, meine Tante ist vergewaltigt worden und will das Kind töten. Oder: Mama, eine Nachbarin meiner Verwandten hat ein behindertes Kind bekommen und will es aussetzen. Es war jedes Mal eine Gewissensentscheidung. Wir wussten, das Boot ist gut gefüllt. Sollten wir das Risiko eingehen, dass es vielleicht zu voll wird und kentert? Oder sollten wir das Kind seinem Schicksal überlassen?

Irgendwie haben wir es immer geschafft. Es waren ja nicht alle Kinder zur selben Zeit klein. Das Putzen, Waschen und Kochen erledigten Haushaltshilfen. Und die Kinder unterstützten sich gegenseitig. Ein beinamputierter Junge konnte einem blinden Mädchen vorlesen. Das blinde Mädchen konnte ihm dafür in die Badewanne helfen. So hat jedes die Erfahrung gemacht, dass es etwas einbringen kann in die Gemeinschaft. Finanziert habe ich das alles aus dem Vermögen meiner Eltern und mit meiner Arbeit.

Heute sind die jüngsten Kinder 8, der älteste 39. Viele sind ausgezogen und haben selbst schon Nachwuchs. Jetzt sind nur noch 14 Kinder daheim. Einige besuchen eine Schule mit Internatsanbindung in Belgien, sodass ich ständig hin- und herpendle. Sechs meiner Kinder haben sich zu Pädagogen ausbilden lassen und bringen sich in die Betreuung der Geschwister mit ein. Darunter auch Liseron, die inzwischen 22 ist. Ich bin sehr stolz auf sie. Schwere Zeiten machen viele Kinder in der Pubertät durch. Was sie an Traumata, Ausbeutung, Geringschätzung, Missbrauch und Gewalt erlebt haben, kommt wieder hoch. Manche glorifizieren plötzlich ihre leiblichen Eltern und wenden sich von mir ab. Als Mutter muss man da gelassen bleiben und darauf vertrauen, dass das Kind seinen Weg schon finden wird. Man darf auf keinen Fall klammern. Okay, sage ich deshalb, du möchtest also in einer WG leben? Im Internat? Oder mit 18 schon ganz allein? Tu das. Ich liebe dich. Du kannst die Nähe und die Distanz haben, die du brauchst. Bis jetzt sind nach einer Phase der Selbstbesinnung alle wiedergekommen.

Meine eigenen Bedürfnisse? Na ja, die lebe ich höchstens punktuell aus. Aber das stört mich nicht. Ich bin in meinem Leben immer voll an die Grenze gegangen. Es macht mich zufrieden zu sehen, dass die Kinder sich positiv entwickeln. Richtig zufrieden.

Elisabeth Stenmans: Jedes Kind ist ein Geschenk (Irisiana-Verlag, ca. 30 Fr.).

Infos über ihre Stiftung «Hände reichen. Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika e. V.»:
Der von Elisabeth Stenmans gegründete gemeinnützige Verein setzt sich für die Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in Afrika ein. Unterstützt werden derzeit u. a. eine Kinderbetreuungseinrichtung und eine Suppenküche in Addis Abeba (Äthiopien).

“Hände reichen – Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika e.V.”
Postfach 1142
D-53861 Euskirchen
Spendenkonto 5566047
Kreissparkasse Euskirchen
BLZ 38250110