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Zusammen leben – Family Affair

Body & Soul

Zusammen leben – Family Affair

  • Interview: Franziska K. MüllerIllustration: Lisa Hartung

"Du bist gar nicht mein richtiger Vater!" - Warum die Patchworkfamilie kein problemloses Familienmodell ist, erklärt Alexander Pashos, Evolutionsbiologe an der Freien Universität Berlin.

Die Patchworkfamilie ist kein problemloses Familienmodell, sagt Alexander Pashos, Evolutionsbiologe an der Freien Universität Berlin.

annabelle: Alexander Pashos,  58 Prozent der Kinder, die in Ladendiebstähle oder Schlägereien involviert waren, stammen aus Patchworkfamilien, 18 Prozent mehr als aus traditionellen Familien. Das belegt eine Schweizer Nationalfondstudie. Warum diese Diskrepanz?
Alexander Pashos: Durch den neuen Stiefelternteil wird die Hierarchie in der Familie durcheinandergebracht, die Position des Oberhaupts muss neu besetzt werden. Deshalb kommt es oft zu Konflikten zwischen Kindern und dem Stiefvater. Möglich ist auch, dass in sozialen Milieus, in denen sich die Eltern zu wenig Zeit für die Kinder nehmen, was zu Aggressivität führen kann, Patchwork-Konstellationen besonders häufig sind.

Ein Fünftel der 3600 befragten Kinder gab an, keine oder nur eine mangelhafte Bindung zum Stiefelternteil zu haben.
Mit Blutsverwandten ist man ein Leben lang verbunden, auch wenn man sich nicht leiden kann. Die Stiefbeziehung hingegen ist von der neuen Partnerschaft der Eltern abhängig. Geht diese kaputt, wird auch das Verwandtschaftsverhältnis beendet. Dadurch wird die Verbindlichkeit der Stiefeltern geringer.

Wie verhält es sich bei Adoptiveltern?
Adoptiveltern entscheiden sich bewusst für ein Kind. Wenn sich in Adoptivbeziehungen Probleme ergeben, dann nicht, weil die Eltern nicht investieren wollen, sondern weil ihr Adoptivkind ihnen unähnlicher ist als ein leibliches Kind.

Es spricht also einiges dagegen, aus einer Beziehung auszubrechen, in der leibliche Kinder involviert sind?

Nur insofern, als dass die Monogamie aus evolutionsbiologischer Sicht ein Vorteil für die Kindererziehung zu sein scheint. Durch die Bindung zur Kindsmutter wird der Vater biologisch in die Fürsorgerrolle gedrängt und versichert sich dadurch auch seiner Vaterschaft. Die Frau hingegen wählt den Mann nach seinen Fähigkeiten als väterlicher Fürsorger aus.

Eine Theorie aus der Evolutionsbiologie lautet aber: Frauen heiraten den Mann, der zuverlässig ist, begehren aber jenen, der die besten Gene für den Nachwuchs verspricht.
Frauen streben tatsächlich danach, sich mit einem Mann fortzupflanzen, der gute genetische Qualitäten hat und sich für die Nachkommenaufzucht engagiert. Können sie beides zusammen nicht finden, kommt es mitunter zu «alternativen» Lösungen: Durch Fremdgehen mit attraktiveren Männern steigern Frauen ihren Reproduktionserfolg.

Viele Männer machen heute einen Vaterschaftstest, um sicher zu sein, dass sie der biologische Vater sind. Ist das gut?
Diese Ungewissheit kann die Vater-Kind-Beziehung belasten. Wenn sich dann – wie in rund zwei Dritteln der Fälle – die Vaterschaft im Test bestätigt, ist dies eine Entlastung, die dem Nachwuchs zugutekommen kann. Aber selbst wenn sich die Vaterschaft nicht bestätigt, bleibt die Bindung zwischen den beiden Menschen erhalten. War diese Beziehung gut, wird sie es auch weiterhin sein.

Die böse Stiefmutter spielt im Märchen eine wichtige Rolle. Vom bösen Stiefvater war nie die Rede. Ist er eine neuzeitliche Erscheinung?
Eher, ja. Von Frauen erwartet man die aufopfernde Mutterrolle, die nicht jede Stiefmutter erfüllt, wenn sie ihr leibliches Kind dem Stiefkind vorzieht. Dies gilt gerade in Zeiten der Not, wie sie im Märchen häufig vorkommen. Heute erwartet man auch von einem Stiefvater Engagement. Ich bin überzeugt, dass in dieser Hinsicht in den meisten Patchworkfamilien viel geleistet wird: Es fällt vielleicht einfach ein wenig schwerer als gedacht.

Muss die Idee von der fröhlich-toleranten Patchworkfamilie revidiert werden?
Nur dann, wenn man darunter eine lustige, bunt zusammengewürfelte Familie versteht, die besser sein muss als die Standard-Kernfamilie.

Gemeinsam statt zweisam
Genaue Statistiken zu Stiefkindern und -eltern in der Schweiz gibt es nicht. Experten gehen davon aus, dass in der Schweiz jährlich 2000 neue Patchworkfamilien entstehen, da etwa die Hälfte aller geschiedenen Väter und Mütter wieder heiratet, häufig Partnerinnen und Partner, die ebenfalls Kinder haben. Hingegen ist die Verbindlichkeit gegenüber Stiefkindern gesunken:
Während 1980 noch 800 Männer und 49 Frauen ihre Stiefkinder adoptierten, waren es 2009 nur 241 Männer, aber keine einzige Frau.
Infos: www.patchwork-familie.ch