
Eine Begegnung mit Schweizer Künstlerin Sandra Knecht: "Dass ich lebe, bedeutet für etwas anderes immer den Tod"
Sie sammelt tote und lebendige Tiere und beruhigt ihren Kopf mit Trash-TV: Auf der Jagd nach der Essenz der Dinge mit der eigenwilligen Schweizer Künstlerin.
- Von: Linda Leitner
- Bilder: Simon Habegger
Im Bus nach Buus im Kanton Baselland: Jugendliche kämmen sich kaugummikauend das blondierte Haar. In Buus: Künstlerin Sandra Knecht (57) hat sich ausnahmsweise auch gebürstet – schliesslich wird sie fotografiert. Die Haare sind immer noch struppig, aber das passt gut: Sie gibt sich von Herzen Mühe, bleibt aber widerspenstig.
Es ist Mitte März, draussen hat es sieben Grad, in Knechts Atelier auch. Die Heizung im Handwerkshaus funktioniert nicht, das Öl ist ausgegangen. «Den Ölscheichs krieche ich so ungern in den Arsch», sie lacht kehlig und bietet einen gestrickten Umhang an.
Wir sind da, wo Sandra Knecht die rohe Konzeptkunst macht, die sie bereits an die Biennale in Venedig, ins Kunsthaus Zürich oder die Fundació Joan Miró in Barcelona brachte. In ihrem Atelier entwickelt sie die Konzepte – die Kunst selbst entsteht im Handwerksbetrieb in Münchenstein, wo sie in diesen Tagen für den Basel Social Club, einem unabhängigen Ausstellungsformat während der Art Basel, 200 Kilo Schokolade in Form giessen wird. Im ersten Stock wohnt sie mit Partnerin Muriel, eine knarzende Holztreppe führt ins Atelier unters Dach.
«Ich mag diese Fickt-euchalle-Energie»
An der Wand: Tierschädel und Voodoo-Puppen. In den Regalen: Knochen, Gläser mit Schlangen in Formaldehyd, eine eingelegte vegane Wurst. Sandra Knecht ist eine Sammlerin. Sie sammelt Kurioses, Geschichten, Erinnerungen. Inmitten des Raums lehnt ein Aquarell der finnischen Künstlerin Sirkku Rosi – eine selig urinierende Frau in zartem Pastell. Auch das passt ganz gut. «Ich mag diese Fickt-euchalle-Energie», sagt sie.
In einer Ecke der Wunderkammer steht eine mit glitzerndem Lametta beklebte Obstkiste – das Schloss ihres verstorbenen Chihuahuas Emma. Später wird Lupina, der aktuelle, hektisch auf dem Tisch herumtanzen. Knecht liebt diese affektierten Paris-Hilton-Hunde.
Knecht mag Tiere. Ob tot oder lebendig. In Buus lebt sie mit drei Hunden und vierzehn Tauben. Am Waldrand hält sie diverses Gef lügel, darunter einen massiven Truthahn namens Kurt – dessen grösster Bewunderer Serpentine-Gallery-Kurator Hans Ulrich Obrist ist –, 25 Schafe und vier Ziegen.
«Ich bin jeden Tag im Atelier. Ab drei Uhr stehe ich im Stall», sagt sie. Zu Vernissagen serviert sie Wurst aus einem der hauseigenen Schafböcke. Es ist eine Mischung aus Sentimentalität und Abgeklärtheit: «Dass ich lebe, bedeutet für etwas anderes immer den Tod.»
Wohin gehört Sandra Knecht?
Sandra Knecht, geboren in Zürich, wuchs im Zürcher Oberland in einer veganen Familie auf, half mit 13 beim Dorfmetzger aus, arbeitete als Sozialpädagogin und kam erst mit 43 zur Kunst. Sie wohnte in der Stadt, brach aber bei jedem Alpabzug, den sie im Fernsehen sah, in Tränen aus. Sie zog nach Buus, das sich nach anfänglicher Skepsis mit der belesenen Lesbe arrangierte. Buus ist jetzt ihre Heimat.
«Für ein Projekt habe ich Bilder von Dorfbewohner:innen gemacht, mit denen ich mich verstehe. Ich korrigiere: Mit Leuten, die ich mag. Das muss nicht heissen, dass wir uns gut verstehen», so Knecht. All diese Verwirrungen gilt es zu erforschen. Wohin gehört Sandra Knecht?
«Heimat ist was Körperliches»
Bis Ende April lief ihre Ausstellung «Home Is a Foreign Place» in der Kulturstiftung Basel H. Geiger, in der sie anhand von Malerei, Installation und Fotografie den Begriff Heimat ergründete. «Es ging eigentlich um Heimatlosigkeit. Irgendwer behauptete mal, es ginge um Heimat. Ich fand: Macht doch, was ihr wollt! Ist zwar falsch, aber na ja.» Pardon, Heimatlosigkeit also. Ist ja auch der sperrigere Begriff.
Queer zu sein, bedeutet: angeblich anders sein. Zwei Jahre hat sie sich mit sich selbst beschäftigt, hat so lange versucht, sich zu verorten, bis es ihr zum Hals raushing. Jetzt weiss sie: «Heimat ist was Körperliches.» Ist ihr Körper ihre Heimat? «Er ist mein Haus. Vermutlich baue ich deshalb in meiner Kunst immer Scheunen ab und wieder auf», so Knecht. Auch durch die Basler Galerien-Ausstellung wandelte man wie durch die Zimmer eines Hauses – die Stationen ihres Lebens, ihre künstlerisch konservierte Heimat samt Fotografien ihres ländlichen Alltags, einem Ei, das Huhn Babettli vor dem Tod aus Schreck legte oder dem Bronze-Abguss ihres Lieblings-Birnbaums.
«Ich gebe immer alles. Auch in Liebesbeziehungen»
Sie selbst fühlt sich zuhause, wenn sie mit Messern hantiert und Feuer macht. Unter dem Titel «The Dinner Party» kocht Knecht heute die Geschmacksprofile von prägenden Künstler:innen. Kate Bush bekommt die kulinarische Identität von Cola-Raketeneis, Patti Smith von Sauerteigbrot mit Alpenbutter. Die queere Autorin Carson McCullers schrieb über Einsamkeit, war Alkoholikerin, hatte Rheuma. Knecht suchte nach einer Erfahrung, die so tut, als ob: der Drink Manhattan – in Schaumform.
«Der Schaum gaukelt einem etwas Schönes vor, dann verschwindet er auf der Zunge. Im zweiten Moment kommt die Harschheit des Alkohols. Man erfährt das ganze Leben dieser Person.» Ausgewählte Rezepturen performt sie in Institutionen wie der Serpentine Gallery in London – wenns blöd läuft in einem fleckigen Pulli wie letztens. Das gebügelte Hemd lag bereit, sie sei nicht mehr zum Umziehen gekommen.
Generell geht es ihr manchmal zu schnell: «Ich liebe alte Menschen, aber die sterben mir immer weg. Das ist saublöd, aber ich glaube, die Dringlichkeit solcher Freundschaften ist das Schöne. Ich gebe immer alles. Auch in Liebesbeziehungen. Im Fall einer Trennung – und irgendwann passiert das eben – will ich nicht das Gefühl haben, ich hätte nicht alles gegeben», sagt sie. Wenn das keine Liebeserklärung an Leben und Tod zugleich ist! Ist das nicht höchst romantisch? Das «Monopol Magazin» schrieb: «Sandra romantisiert nichts und zitiert die Kunst der Romantik.»
Radikale Selbstbezogenheit
Knecht beschäftigt sich mit Zwischenwelten, hat eine Nahtoderfahrung auf dem Buckel, hält aber nichts von Esoterik. Sie arbeitet mit radikaler Selbstbezogenheit und mahnt dennoch: Nehmt euch nicht zu ernst! Sie ist kein elitäres Galerie-Girl, das sich um Prestige schert. Sie will einfach nah ran an die Essenz der Dinge.
Stummschalten lässt sich dieser Drang in der Natur – und auf dem Sofa. «Bei Trash-TV wie ‹Trödeltrupp› entstehen für einmal keine Bilder in mir. Die Handlung flutscht herrlich an mir vorbei», grinst sie. Und man versteht, was sie meint, wenn sie sagt, sie selbst schmecke nach Gletschermilch, ihrem eigenen Schnaps: «Da ist unter anderem Süssholz drin, darauf habe ich als Kind ständig rumgekaut. Er ist bitter und im Abgang süss.»