Ella Rumpf über "Des preuves d'amour": "Es gibt nicht den einen richtigen Weg, Mutter zu sein"
Was heisst es, eine gute Mutter zu sein? "Des preuves d’amour", der neue Film von Schauspielerin Ella Rumpf, rückt diese Frage ins Zentrum. Ein Gespräch über Vorurteile, falsche Erwartungen und Queerphobie.
- Von: Sandra Brun
- Bild: Cineworx
annabelle: Sie spielen in «Des preuves d'amour» Céline, die zusammen mit ihrer schwangeren Ehefrau ein Kind erwartet. Um ohne biologische Verbindung als Mutter ihres Kindes anerkannt zu werden, muss sie für den Adoptionsprozess 15 Liebesbeweise in Form von Briefen nahestehender Personen vorbringen. Der Film basiert auf den Erlebnissen der Regisseurin Alice Douard.
Ella Rumpf: Genau, sie war eine der ersten, die nach der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und deren Adoptionsrecht in Frankreich 2014 mit ihrer Frau ein Kind bekam. Sie waren Pionierinnen und davon erzählt dieser Film. Von den Kämpfen um gleiche Rechte, den Demonstrationen, der Legalisierung und dann dem Beginn des eigentlichen Prozesses: Zu merken, dass sie sich immer noch beweisen müssen. Denn den Adoptionsprozess starten durfte man damals erst nach der Geburt des Kindes – und es konnte bis zu einem Jahr dauern, bis rechtlich klar war, ob man sein Baby adoptieren kann und entsprechend als Mutter anerkannt wird und beide rechtlich abgesichert waren. (Anm. der Redaktion: Seit 2021 können in Frankreich beide Frauen ohne Adoptionsverfahren als Eltern eingetragen werden.)
Wie war es für Sie, Alices Geschichte in Zusammenarbeit mit ihr zu erzählen?
Mir war es ein Anliegen, zuerst sehr viel besser zu verstehen, was sie durchmachte. Ich realisierte vor dem Dreh nicht, wie hoch der Einsatz ist: Wenn man in die Verantwortung reingeht, zusammen in Kind zu kriegen, ist das eine grosse Herausforderung – vor allem mit der Angst, nicht akzeptiert zu werden, sich so sehr beweisen zu müssen und dann vielleicht nicht als Mutter anerkannt zu werden, obwohl man sich nichts sehnlicher wünscht als dieses Kind. Über diese Ängste mit Alice zu sprechen, war sehr berührend.
Bei ihr hat es geklappt, sie konnte ihr Kind adoptieren.
Ja, und sie ist zweifellos die Mutter dieses Kindes, das sie so sehr liebt. Stellt man das infrage, fühlt es sich für sie an, als würde man ihr das Kind wegnehmen. Die Liebe für ihre Tochter trägt diesen Film, für sie hat sie ihn gedreht – und für alle, die diesen Prozess noch durchmachen müssen, gerade auch hier in der Schweiz. Das war für Alice ein grosser Antrieb, sie hätte sich damals diesen Film gewünscht, um sich unterstützt und repräsentiert und bestärkt zu fühlen.
Gleichzeitig ist es ein Film, in dem es um Mutterschaft geht, in dem Mutterschaft hinterfragt wird und die Fragen behandelt werden, wer Mutter sein darf und wer entscheidet, was eine gute Mutter ist.
Es ist eine moralische Frage, was es heisst, gute Eltern zu sein. Der Film zeigt vor allem auf, dass es nicht den einen einzigen richtigen Weg gibt, Mutter zu sein. Dass Elternschaft schwierig sein kann, dass es aber auch zu Versöhnungsmomenten kommen kann. Und dass man die Wahl hat, sich zu entscheiden, was für ein Elternteil man sein will.
"Die politische Haltung einer Person zeigt sich auch in der Art und Weise, wie sie intime Beziehungen führt"
Mutter ist ein stark behaftetes Wort, jede:r hat wohl andere Assoziationen damit und Erwartungen daran. Welche sind es bei Ihnen?
Mütter sind für mich unglaublich stark. Dass ich so denke, hat wohl viel mit meiner eigenen Mutter zu tun und den Frauen in meinem Umfeld, die Mama sind oder gerade werden. Zu sehen, wie sie ihre Kinder austragen, was ihr Körper alles leistet – das ist für mich eine Superpower, die leider nicht genügend gewürdigt wird. In unserer heteronormativen Gesellschaft werden Mütter, ja Frauen generell, in ihrer Rolle viel zu wenig wahrgenommen und unterstützt.
Die Liebesbeweise 15 nahestehender Personen brachte bei mir auch den Gedanken daran auf, dass es sprichwörtlich ein Dorf braucht, um ein Kind grosszuziehen. Was denken Sie darüber?
Ich fand spannend, mir zu überlegen, wer denn wirklich so nah dran ist, beurteilen zu können, wie jemand sein Leben führt und sich um sein Kind kümmert. Es wäre schön, wenn alle Eltern 15 Personen an ihrer Seite hätten, die sie supporten und versichern würden: Ihr könnt das.
Wie politisch ist Elternsein für Sie?
Ich glaube, alles ist politisch. Das Intime genauso wie das Öffentliche. Im Privaten, in unseren Beziehungen zeichnen sich politische Differenzen sehr klar ab – gerade für Frauen. Die politische Haltung einer Person zeigt sich auch in der Art und Weise, wie sie intime Beziehungen führt. Führe ich als Frau eine Beziehung mit einem konservativen Mann, spüre ich sehr schnell, was ich seiner Meinung nach zu tun und wo ich reinzupassen habe. Zudem überlege ich mir oft – wollte ich Kinder haben –, wo würde ich sie grossziehen wollen: in der Schweiz oder in Frankreich? Wo fühle ich mich als Frau in Schutz genommen?
Wo sehen Sie da die grössten Unterschiede?
Ich habe das Gefühl, in der Schweiz gibt es eine sehr starke Vorstellung, was gutes Muttersein, gutes Elternsein bedeutet, eine eher verschulte, theoretisierte Idee davon – statt einfach zu leben. Das sehe ich von aussen sehr stark bei Freundinnen in der Schweiz. In Frankreich werden meine Freundinnen mit Kindern viel weniger mit Unfreiheiten konfrontiert. Die Kita ist vom Staat bezahlt, sie arbeiten alle, nehmen ihre Babys an Events mit, an Essen. Und in der Schweiz beobachte ich schon, wie schwierig es ist, sich sein Sozialleben als Frau aufrechtzuerhalten, wenn man Mutter ist. Es ist diese Imbalance, die Mutterschaft mit sich bringt. Hierzulande müssen Mütter noch viel zu sehr für Vereinbarkeit kämpfen.
"Es geht doch eigentlich niemanden etwas an, wie man Eltern wird, solange Liebe da ist"
Gerade gleichgeschlechtliche Paare kämpfen immer noch oft mit Vorurteilen, was ihre Elternrolle angeht. Der Film spielt vor gut zehn Jahren, haben Sie den Eindruck, seit damals habe sich viel verändert?
Wir befinden uns in einer Zeit, in der unsere Gesellschaft unglaublich gespalten ist. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die ein extremes Bewusstsein entwickelt haben und es gibt Fortschritte – und dann gibt es Menschen in unserer Gesellschaft, deren Gedankengut wieder rückschrittlicher wird, was ich frappierend finde. Überall, wo sich etwas öffnet, etwas verändert, habe ich das Gefühl, schliesst sich anderswo etwas.
Wie wichtig sind da Filme, Geschichten, die Klischees sprengen und zum Nachdenken anregen können?
Sehr wichtig. Unser Film lädt alle Publikumssparten ein, zu sehen, dass es kein crazy Drama ist, wenn sich zwei Menschen lieben und eine Familie gründen wollen. Das ist etwas sehr Sanftes, Menschliches, Normales, ein Bedürfnis – und eben nicht crazy und pervers. Ich glaube, Menschen, die gegen die Ehe und Elternschaft für alle sind, pervertieren Queerness, weil sie Angst davor haben. Dahingehend finde ich unseren Film sehr entschärfend.
Inwiefern?
Es ist zwar die Liebesgeschichte zweier Frauen, aber eigentlich ist es vielmehr eine sanfte Coming-of-Age Geschichte des Elternwerdens. Es geht eigentlich einfach darum: Wenn du liebst und eine Familie gründen möchtest, tu das! Es geht doch eigentlich niemanden etwas an, wie man Eltern wird, solange Liebe da ist.
Das passt perfekt zu meiner Abschlussfrage: Was bedeutet Liebe im Kontext dieses Films für Sie?
Dinge zusammen überstehen, sich vergeben, zusammen Prüfungen durchstehen und beieinanderbleiben, nicht aufgeben, ans Leben und an die Liebe glauben, sich verstehen, Empathie haben, zuhören, auf den:die andere:n eingehen, zuhören, einen Schritt auf jemand anderes zu machen und sagen: Ich verstehe dich.
«Des preuves d'amour» läuft jetzt im Kino