Film "Hallo Betty": Die wahre Geschichte hinter Betty Bossi
Aus einer Werbeidee wuchs Mitte der 1950er-Jahre ein nationales Phänomen: Betty Bossi. Im neuen Film "Hallo Betty" rückt Erfinderin Emmi Creola-Maag in den Fokus – wir haben mit ihrer Tochter gesprochen.
- Von: Stephanie Hess
- Bild: Ascot Elite
Ihr Vermächtnis lagert in zigtausenden Küchenschränken – ringgefasst, oft verfleckt und speckig. Und es lebt im kulturellen Gedächtnis eines ganzen Landes: Betty Bossi – die perfekte Hausfrau, erschaffen von Emmi Creola-Maag, Zürcher Werbetexterin und selbst ziemlich perfekte Berufsfrau. Jetzt kommt mit «Hallo Betty» eine Adaption ihrer Lebensgeschichte ins Kino.
Verwaltet wird dieses Stück Schweizer Frauen- und Kulturgeschichte von Ines Diacon, der Tochter von Emmi Creola-Maag. Wir besuchen sie in Chur in einer Neubauwohnung, sie sitzt in einem Sessel, hinter ihr schwingt eine grosse Pendeluhr.
Sie habe am Abend zuvor zufällig im «Zitate und Aussprüche»-Duden geblättert, sagt Ines Diacon – 79 Jahre alt, weisser Bob, offenes Gesicht. Da sei ihr diese Redensart ins Auge gesprungen: «Menschen wie du und ich».
Sie finde, das passe sehr gut zu ihrer Familie. «Wir hatten nie das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, weder meine Mutter oder mein Vater noch wir drei Kinder. Aber wir waren immer sehr verbunden miteinander.» Und diese unaufgeregte Wärme floss von Beginn weg auch in die Kunstfigur Betty Bossi.
«Kurz, eingängig, auf eine Art gefällig rhythmisch»
Geboren wurde Betty Bossi Mitte der 1950er Jahre: Das Unternehmen Unilever hatte die firmeneigene Agentur Lintas – wo Emmi Creola-Maag als Werbetexterin arbeitete – beauftragt, für Margarine, Bratfett und Öl zu werben.
Ines Diacon zieht ein schon etwas vergilbtes, maschinenbeschriebenes Blatt aus einem Stapel auf dem Salontisch. Es ist übersät von kleinen Löchern, offenbar war der Anschlag der Verfasserin so energisch wie ihr Gang durchs Leben.
Fragesteller an Betty Bossi"Ich habe nichts dagegen, dass meine Frau auch nach der Hochzeit weiterarbeitet. Mein einziges Bedenken ist die Küche!"
Ines Diacon beginnt vorzulesen, wie ihre Mutter für einen Vortrag die «Geburt der Betty Bossi» beschrieben hatte: «Weil ich aus eigener Erfahrung wusste, dass jede Hausfrau sich jeden Tag fragt, was sie bloss zu Mittag kochen soll, was am Geburtstag des Anneli. Oder dass Fragen auftauchen wie: Warum werden meine Plätzli immer so zäh? Warum die Mayonnaise nicht dick?»
Die Direktion sei einverstanden gewesen, nicht nur eine fiktive Figur zu entwickeln, sondern um diese herum auch eine Kochberatungsstelle einzurichten. Ähnlich wie das eine US-Getreidefirma in den 1920er-Jahren mit der Figur Betty Crocker getan hat, um Mehl an die backende Frau zu bringen.
«Eines war mir klar», liest Ines Diacon aus den Aufzeichnungen ihrer Mutter weiter. «Es musste ein Name sein, den man genau so ausspricht, wie man ihn schreibt. Und zwar so einfach wie möglich. Ob Deutsch, Französisch oder Italienisch.» Sie habe also die Telefonbücher von Lugano und Genf zur Hand genommen, eine ganze Seite voller möglicher Nachnamen seien zusammengekommen.
Einige Vorschläge hat sie daraus zusammengestellt, am besten gefallen habe ihr von Beginn weg: Betty Bossi. «Weil er kurz ist, eingängig und auf eine Art gefällig rhythmisch.» Man hat die Kreationen innerhalb der Werbeabteilung getestet, auch eine Handvoll Journalisten und fünfzig Hausfrauen beigezogen – alle kamen zum gleichen Schluss: Betty Bossi, so soll diese künftige Köchin der Nation heissen.
Wochenpläne für knappe Budgets
1956 lag die erste «Betty Bossi Post», ein Faltblatt, in Lebensmittelläden auf. Darin fanden sich Wochenpläne für die knappen Budgets der Nachkriegszeit, etwa: «Mittags: Champignonsuppe, Spaghetti mit Restenfleisch und Restensuppe. Abends: Schalenkartoffeln mit Quark und Schabziger, Nüsslisalat.» Dazu gab es die entsprechenden Rezepte, in denen Fette und Öle der zu bewerbenden Marke selbstredend zentrale Zutaten waren.
Daneben beantwortet Emmi Creola-Maag Fragen, etwa jene eines besorgten Mannes: «Meine Braut hat eine gute Stellung als Sekretärin. Ich habe nichts dagegen, dass sie auch nach der Hochzeit weiterarbeitet, solange wir noch keine Kinder haben. Mein einziges Bedenken ist die Küche!»
Betty Bossi fand tröstende Worte: «Tausende Frauen arbeiten heute und die Technik und die Lebensmittelindustrie wetteifern darin, es ihnen so bequem und leicht wie möglich zu machen.» Und sie schloss jeweils mit den Worten: Ihre Betty Bossi.
«Einen starken Willen»
Auch wenn Emmi Creola-Maag diesen Umstand in ihrer Antwort elegant umschiffte – dass Mütter wie sie selbst in einer solchen Stellung arbeiteten, war unüblich für diese Zeit. Doch das Einkommen von Ernst Creola, der den Steinbruch seines Vaters übernommen hatte, war knapp.
Emmi Creola-Maag musste dazuverdienen, erst schrieb sie freiberuflich Texte für Zeitungen und Magazine, später stieg sie bei der Werbeagentur Lintas ein und vertraute die drei Sprösslinge einem Kindermädchen an.
Dass Frauen in der damaligen Arbeitswelt nicht vorgesehen waren, verdeutlichen Episoden wie diese, die Emmi Creola-Maag ihrem Mann in einem Brief beschrieb: «Ein Telefönler war da, wegen dem Anschluss. Nachdem ich einen langen Mais mit ihm hatte, weil er unbedingt meinen Beruf eintragen wollte, fragte er ganz diskret, ob ich geschieden sei oder verwitwet. Auf mein ‹ganz normal verheiratet›, antwortet er, dass ich dann das Telefon nicht auf meinen Namen nehmen könne, sondern auf deinen eintragen lassen müsse.»
Verheiratete Frauen konnten damals ohne Zustimmung des Mannes keine rechtlich verbindliche Unterschrift leisten.
In Emmi Creola-Maags Familie hatte es schon immer zahlreiche Figuren gegeben, die innerhalb der engen gesellschaftlichen Schranken ihre Ideen zu verwirklichen suchten.
Emmi Creola-Maags Grossmutter etwa bildete Lehrtöchter aus, ihre Mutter nähte Hemden für die wohlhabenden Männer am Zürichberg. Mit dem so erwirtschafteten Geld finanzierte sie ihren Kindern eine musische Ausbildung.
Emmi besuchte Rhythmikunterricht, lernte Klavier. «Viele Frauen in dieser Familie hatten einen starken Willen», sagt Ines Diacon. Ein solcher trieb auch die 1912 geborene Emmi Maag an und er war gepaart mit einem grossen Wissensdurst.
Sie absolvierte eine kaufmännische Ausbildung, holte in der Abendschule die Matura nach, studierte einige Semester Germanistik und Anglistik an der Universität Zürich.
Dann verliebte sie sich mit 27 Jahren in Ernst Creola, einen Mitschüler an der Abendschule. Nach dem Abschluss schrieb er ihr, so haben es die beiden später erzählt: «Wie gehts, wie stehts?» Da lud sie ihn zum Tee ein.
Ines Diacon, Tochter von Emmi Creola-Maag"Dass meine Mutter diesen Weg hat gehen können, dazu hat mein Vater wesentlich beigetragen"
Sie sei ständig mit dem Kopf in den Büchern gewesen, erzählte sie später ihren Kindern, habe wenig mitbekommen von dem, was um sie herum passierte. Aber als sie die Tür öffnete und er da wartete, mit weissen Schneef locken in den dunklen Locken, da sei es um sie geschehen gewesen. Ines Diacon erinnert sich lächelnd: «Meine Mutter sagte immer, er sei vor ihr gestanden wie das blühende Leben.»
Brösmeli unter dem Tisch waren nie ein Thema
Und Ines Diacon sagt auch: «Dass meine Mutter diesen Weg hat gehen können, dazu hat mein Vater wesentlich beigetragen.» Er habe sich keineswegs bedroht gefühlt durch seine erwerbstätige Frau. Im Gegenteil.
«Er hat sie immer unterstützt, in allem, was sie tat.» Sichtbar geworden sei das für die Kinder jeden Abend: Die Mutter kochte – und nach dem Essen krempelte der Vater die Hemdärmel hoch, um abzuwaschen.
«Ich denke, das Arbeitsmodell meiner Eltern hat bei uns zuhause den Platz fürs Wesentliche freigeräumt. So etwas wie Brösmeli unter dem Tisch war nie ein Thema», sagt sie. «Wir drei Kinder haben uns einfach immer wahnsinnig gefreut, wenn die Eltern nach Hause kamen. Und sie haben sich auf uns gefreut.»
Ihre Mutter hätte einmal zu ihr gesagt: «Ich hatte ja gar keine Zeit, um euch zu erziehen.»
Ein schlechtes Gewissen
In der späteren Berichterstattung hiess es bisweilen, Emmi Creola-Maag habe ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie erwerbstätig gewesen sei, dass sie nicht jener perfekten Hausfrau entsprochen habe, die sie mit der Kunstfigur Betty Bossi selbst gezeichnet hatte.
Doch Ines Diacon sagt: «Wenn ich an meine Mutter denke, kommt mir als Erstes ihre Liebe und Güte in den Sinn.»
Es sei durchaus nicht einfach gewesen für sie, wenn sie etwa frühmorgens aus dem Haus musste und ein Kind krank zuhause lag, auch wenn immer ein Kindermädchen vor Ort gewesen ist. «Aber meine Mutter hat ihre Arbeit sehr gern gemacht, sie hat Erfüllung gefunden in ihrem Beruf.»
Einfache, aber «gelingsichere» Rezepte
Emmi Creola-Maag war keine vordergründig politische Frau, sie war weder in einer Partei, noch setzte sie sich öffentlich für bestimmte Anliegen ein. Aber man findet ihren Namen klein im Ausstellungskatalog der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) 1958, deren Ziel es war, die Bedeutung des «weiblichen Anteils» an der gesellschaftlichen, aber auch volkswirtschaftlichen Arbeit in der Schweiz aufzuzeigen.
Sie hatte dessen Redaktion übernommen, also Texte gesammelt, redigiert, korrigiert. Und natürlich sei sie eine Verfechterin des Frauenstimm- und Wahlrechts gewesen, sagt ihre Tochter.
Die «Betty Bossi Post» umfasste bald mehr und mehr Seiten, erschien erst vier, später acht Mal im Jahr und wurde schliesslich zur Abo-Zeitschrift, wo auch freie Mitarbeitende Texte beisteuerten. Die Werbeagentur mietete eine Wohnung, wo Emmi Creola-Maag mit einer Sekretärin und einem früheren Chefkoch der Polizei Rezepte entwarf, vereinfachte und verschriftlichte.
In einem Interview sagte sie später: «Mit Fett kochten nicht die Leute vom Zürichberg, sondern eher jene des Mittelstands und der Arbeiterklasse. Dieser Zielgruppe passten wir unsere Rezepte an.» Es waren einfache Gerichte, nur «gelingsicher» mussten sie sein, das war ihr Anspruch.
So entstand eine schweizerische Esskultur, zu der bis heute Kreationen wie Riz Casimir gehören, das im allerersten Rezept übrigens noch Geschnetzeltes Florida hiess.
"Meine Mutter war nicht nostalgisch. Sie wusste schon immer, Zeiten ändern sich"
Die Auflage der Abo-Zeitschrift stieg in den nächsten zehn Jahren auf 100'000 Exemplare. Die Themen reichten von Tischkärtchen über die Bewirtung von Gäst:innen bis zu Erziehungsfragen und Budgetberatung. Emmi Creola-Maag verfasste die Texte dazu in leichtem, warmem Ton, durchdrungen von feinem Humor.
Zurück erhielt sie, wie sie einmal in einer Ausgabe schrieb, hunderte von Dankesbriefen – pro Woche. Sie bat die Schreibenden, ihre Anschrift doch möglichst leserlich zu halten, damit sie «auf die lieben Worte» antworten könne.
Der Wissensdurst blieb
Zusätzlich zur immer umfassenderen Zeitschrift erstellte Emmi Creola-Maag Rezeptboxen und schliesslich auch Kochbücher. «Die Bücher waren es, die ihr den Rest gegeben haben», sagt Ines Diacon. Es wurde ihr zu viel, dieser Frau, die ein riesiges Pflichtgefühl hatte, alles perfekt machen wollte.
Sie entschied sich, in Rente zu gehen. Emmi Creola-Maag war damals sechzig Jahre alt und schon länger herzkrank, nahm täglich Medikamente. Heute würde man wohl sagen: Es war der Stress.
Damals schickte sie ein Arzt für einen Monat ins Krankenhaus. Es habe viele Monate gedauert, sagt Ines Diacon, vielleicht sogar Jahre, aber sie erholte sich, blühte mit den Enkelkindern wieder auf. Renovierte zusammen mit ihrem Mann ein Rustico im Tessin.
«Das Leben B»
Nachdem Ernst Creola 1989 gestorben war, startete sie «in das Leben B», wie sie es gegenüber ihrer Tochter bezeichnete. Ihr Wissensdurst versiegte nicht. Sie nahm erneut Klavierunterricht, fuhr im hohen Alter im Nachtzug nach Lübeck, um die Wirkungsstätte des Schriftstellers Thomas Mann zu besuchen, dessen Schaffen sie verehrte.
Einmal fand ihre Tochter sie am Boden kniend in ihrer Wohnung, vor sich Packpapier-Bahnen, darauf geschichtliche und literarische Jahreszahlen und Ereignisse notiert. Sie wolle, erklärte Emmi Creola-Maag, endlich die Zusammenhänge von Geschichte und Literatur verstehen.
2006 starb Emmi Creola-Maag mit 94 Jahren. In ihrer Todesanzeige stand nach ihrem Namen auch jener der von ihr geschaffenen Kunstfigur: Betty Bossi.
Mehr als nur Reklame
Betty Bossi ihrerseits lebte ab 1977 im neugegründeten Betty-Bossi-Verlag fort. Während rund zwanzig Jahren verkaufte die Marke Zeitschriften, Kochbücher und Küchenutensilien.
1995 wurde sie vom Medienunternehmen Ringier und bis 2012 schrittweise von Coop aufgekauft, wo der bauchige Schriftzug auf rotem Grund seither zahlreiche Fertigprodukte ziert.
Dass Betty Bossi heute auch dafür steht, stiess gewissen Kreisen sauer auf. Die Idee des Selbermachens sei korrumpiert, hiess es. Ines Diacon jedoch sagt: «Meine Mutter war nicht nostalgisch. Sie wusste schon immer, Zeiten ändern sich.»
Ines Diacon zieht eine Weihnachtskarte hervor. Darin steht: «1956 bat ich Sie um Vorschläge für ein Hochzeitsessen. Wir haben davon Gebrauch gemacht, bis heute gibt es bei uns Schinkennudeln und sogar meine Kinder kochen sie. Mit diesen Zeilen möchte ich mich bei Ihnen für Ihr grosses Wirken bedanken.» Ines Diacon lässt die Karte sinken: «Das zeigt doch, dass es mehr war als Reklame.»
Emmi Creola-Maag ging ihren eigenen Weg, blieb nahbar, echt – ein Mensch wie du und ich. Womöglich waren das die magischen Zutaten dafür, dass Betty Bossi bis heute in so zahlreichen Küchen und Köpfen weiterlebt.
«Hallo Betty» läuft ab heute im Kino