
Gary Oldman im Interview: "Hätte ich nicht aufgehört zu trinken, wäre ich jetzt tot"
Gary Oldman ist seit über 40 Jahren ein begnadeter Charakterdarsteller. Im Interview zum Film "Parthenope" spricht er über seine Alkoholsucht, Geldprobleme und den Tag, an dem er Demi Moore enttäuscht hat.
- Von: Mariam Schaghaghi
- Bild: Pathé Films - Gianni Fiorito
Er ist einer der begnadetsten Charakterdarsteller der Filmwelt. Dass Gary Oldman aber auch bei jüngeren Zuschauer:innen als Kultschauspieler gilt, liegt an der TV-Serie "Slow Horses", in der er einen abgehalfterten Agenten spielt. Aber er überrascht in jeder Rolle mit einer fast furchteinflössenden Originalität.
Jetzt ist Oldman in Paolo Sorrentinos "Parthenope" zu sehen, einer Ode an Neapel und seine Frauen. Darin spielt der Engländer den geistreichen, aber meist versoffenen Dichter John Cheever. Wir trafen den 67-Jährigen zu einem Gespräch über Suff und Sucht, Erfolg und Einsamkeit.
annabelle: Gary Oldman, haben Sie nach 40 Jahren Berufserfahrung und zwei Oscars manchmal noch Angst vor einer Rolle?
Gary Oldman: Oh ja! Als ich Churchill spielte, zum Beispiel, in "The Darkest Hour". Er war der grösste und bekannteste Engländer, der je gelebt hat, eine Ikone – das ist schon furchterregend. Bei "Parthenope" war es anders, ich spiele den Romancier John Cheever. Für mich ist er eine Art melancholische, romantische, dauerbetrunkene Version von Regisseur Paolo Sorrentino.
Paolo Sorrentino gilt als Regiegenie. Was reizt Sie an der Zusammenarbeit mit ihm?
Seine oft wilden Visionen. Ich habe alle seine Filme gesehen und liebe sie. Sobald ich höre, dass ein neuer Sorrentino in die Kinos kommt, kann ich es nicht abwarten, ihn zu sehen. Auf einem Filmfestival an der Amalfi-Küste fragte mich mal ein Journalist, mit wem ich nach Oliver Stone, Chris Nolan und David Fincher noch unbedingt mal gerne drehen würde, und ich sagte: "Paolo Sorrentino. Ich bewundere seine Filme." Davon hat Paolo Wind bekommen, und ich bekam eine E-Mail von ihm. "Ich drehe demnächst einen Film, darin gäbe es eine kleine Rolle..." So kam es! Ich hätte alles für ihn gespielt. Ich würde für ihn auch einen Schatten an der Wand spielen. Ich war begeistert.
Sie scheinen sehr glücklich mit den Entscheidungen, die Sie getroffen haben. Sind Sie so zufrieden und ausgeglichen, wie es nach aussen hin wirkt?
Ich bin vielleicht nicht der allerglücklichste Mensch, den es je gab – aber ich bin schon lange nüchtern. Wenn ich nicht aufgehört hätte zu trinken, würde ich heute nicht hier sitzen. Dann wäre ich tot, wirklich. Das weiss ich ganz genau.
Wie lange sind Sie jetzt trocken?
Seit bald 29 Jahren. Und das ist eine grosse Sache. Seitdem hat sich in meinem Leben einiges getan: Ich lebe das beste Leben, das ich mir vorstellen kann. Ich habe eine Familie, die mich sehr unterstützt, meine Frau ist Fotografin und sie begleitet mich überall hin. Ich reise meistens mit ihr oder einem der Kinder, und so bin ich nicht mehr der einsame, betrunkene Mann in einem Hotelzimmer, der aus einem Koffer lebt – und der Minibar. Ich habe etliche Jahre erlebt, die ziemlich düster waren. Und sehr selbstzerstörerisch.
Oft wird das Trinken bei Schriftstellern romantisiert, als sei ein Rausch für das Schreiben legitim. Hatten Sie je das Gefühl, dass der Alkohol Ihnen mehr Inspiration gab?
Nö. Man bildet sich nur ein, es würde einem mehr Tiefe verleihen.
Wie schafften Sie es aus dieser dunklen Phase heraus?
Ich habe bewusst aufgehört, Schurken zu spielen. Das half. Keine Schurken. Das hat eine Zeit lang Spass gemacht, aber dann kam es mir vor, als sei ich Hauptfigur im Spiel "Wähle einen Schurken". Sobald eine Produktion einen Bösewicht brauchte, hiess es: "Holt Gary". Harrison Ford gab mir schon den Spitznamen scary Gary.
Aber Ihre Bösewichte in der Serie "Fallen Angels" oder in dem Klassiker "Léon – der Profi" waren grandios.
Ja, ja. Ich sage ja, eine Zeit lang war es ganz nett. Nach den Schurken habe ich dann auf lustig gemacht, erst mit "Mank", dann mit der TV-Serie "Slow Horses". Jetzt bin ich wohl in meiner Alkoholiker-Phase. Es tat mir gut, mit den Bösewichten aufzuhören und in kleinen Indie-Filmen mitzuspielen. Wenn es ging, habe ich immer versucht, meine Filmrollen vom Material und dem Regisseur abhängig zu machen. Aber das kann man nicht immer.
Gary Oldman"Ich weiss, wie schwer es ist, seine Würde als Schauspieler zu behalten"
Sie meinen, auf ideeller Basis zu entscheiden, nicht auf materiellen Bedürfnissen?
Für jeden, der sich künstlerisch anspruchsvoll betätigt, ist es schwer, zu überleben. Ich weiss, wie schwer es ist, seine Würde als Schauspieler zu behalten. Ich kenne nicht nur Höhen, sondern auch tiefe Tiefen. Und trotzdem musst du das Schulgeld für die Kinder aufbringen und die Hypothek fürs Haus bezahlen und all das. Ich habe Jobs angenommen, die ich sonst nicht auf dem Radar hatte. Wo ich unter anderen Umständen gesagt hätte: "Nein, ich passe." Und das ist seelenzerstörend.
Sie sind aber schonungslos ehrlich.
Ja, denn wir alle haben das doch schon getan. Ich wundere mich längst nicht mehr, wenn ich einen wirklich guten Schauspieler in einer etwas zweifelhaften Produktion sehe. Die Leute sagen schnell mal: "Oh, was hat der denn da verloren?" Ich weiss Bescheid. Ich sage dann: "Er hat sich gerade scheiden lassen."
Vermeiden Sie es, sich alte Filme aus der Zeit anzusehen, als Sie Alkoholiker waren? Oder war die Arbeit in jenen Jahren genauso gut wie die heute?
Vielleicht ist sie das sogar. Ich habe ja nicht jeden Tag am Set getrunken. Aber das Trinken wird ein Teil deines Lebens: Du gehst zur Arbeit und wenn du Feierabend hast, dann trinkst du, oder wenn du nicht arbeitest, oder am Wochenende, dann trinkst du mehr als normalerweise unter der Woche. Es war nicht so, dass ich einen Flachmann im Kostüm hatte und in einer unbeobachteten Ecke Wodka trank.
Was war das Schlimmste, was Sie an einem Set durchs Trinken verursacht haben?
Enttäuschung. Ich habe mal zusammen mit Demi Moore gespielt, "Der scharlachrote Buchstabe". Ich habe mich bei diesem Film ab und zu besoffen. Gerade gegen Ende, wo ich viel grübelte und in einer sehr, sehr düsteren Phase war, total deprimiert. Ich habe mir in der Mittagspause einen Drink genehmigen wollen und trank zu viel. Und ich wusste es. Dabei stand eine grosse Szene an. Ich habe sie irgendwie überstanden. Als Zuschauer wirst du nichts bemerken, aber ich war ziemlich tapsig. Am nächsten Tag entschuldigte ich mich bei Demi und sagte ihr: "Es tut mir so leid. Du hasst mich jetzt sicher." Ich war zutiefst beschämt, dass ich mich so unprofessionell verhalten hatte. Sie sagte zu mir ganz lieb: "Ich hasse dich nicht, es ist alles okay. Ich bin nur enttäuscht."
Gary Oldman"Nur weil ich nüchtern bin, erwarte ich nicht, dass man die Schnapsregale im Supermarkt räumt"
Autsch. Dennoch wird Alkohol als soziale Droge zelebriert, wir blicken gerade auf eine Wodka-Werbung. Ist es daher nicht immens schwer zu widerstehen?
Oft werde ich von der Familie oder Freunden gefragt: "Macht es dir nichts aus, wenn ich was trinke?" Nö. Trink ruhig, keine Sorge. Ich kann Wein sogar öffnen und habe dabei kein bisschen Lust, auch nur einen Schluck zu nehmen. Ich meine, ich erwarte doch nicht, nur weil ich nüchtern geworden bin, dass man nun die Schnapsregale im Supermarkt räumt! Die Welt ist nicht daran schuld. Ich habe das Problem. Es liegt nicht an der Wodka-Werbung.
Sie haben selbst Regieerfahrung, aber Ihr Regiedebüt "Nil by Mouth" liegt bald 30 Jahre zurück. Gibt es Projekte, die Sie noch als Regisseur reizen könnten?
Ich habe ein Projekt "Flying Horse", in dem es um die Anfänge des Kinos durch Eadweard Muybridge geht, einen Fotografen des 19. Jahrhunderts. Daran arbeite ich nun seit elf Jahren. Es ist ein Historienfilm und ich brauche 30 Millionen, um ihn auf die Beine zu stellen. Haben Sie die Summe vielleicht gerade parat?
Wie kommen Sie denn darauf?
Als ich Sie gerade so ansah, dachte ich, Sie könnten es haben. Aber haben Sie nicht, okay.
Warum benötigen Sie gleich so viel?
Ich weiss, was es kostet, so einen Film ordentlich zu machen. Ich weiss, warum Regisseur:innen oft so verzweifelt sind: Ihnen wird ein Budget versprochen, das wird gekürzt, plötzlich gibts weniger Drehtage, dann werden ganze Seiten aus dem Drehbuch gerissen, und schliesslich endet das Ganze als, so nenne ich es, "filmische Grütze". So will ich nicht arbeiten.
Dann verzichten Sie lieber ganz auf die Regie?
Ich kann dann als Schauspieler besser gutes Geld verdienen. Ich will mich unter keinen Umständen auf meiner eigenen Premiere verstecken müssen. Ja, dann ziehe ich es vor, es sein zu lassen.
Sie wurden zum Star der gefeierten TV-Serie "Slow Horses". Was bedeutet Ihnen der rüde, aber brillante Geheimdienstler Jackson Lamb?
Jackson Lamb ist meine Rente. Ich bin überglücklich über diesen Schicksalsstreich, mir ist bewusst, wie privilegiert ich bin. Ich bin jetzt 67 Jahre alt und da fliegt dir so ein fantastisches Projekt ins Haus: Das Drehbuch ist toll geschrieben, diese Figur ist einfach der Wahnsinn. Die vierte Staffel ist stark geworden und während wir die fünfte drehen, wird schon überlegt, die sechste Staffel auf die Beine zu stellen.
Und dann ist Schluss?
Soweit ich weiss, sind es insgesamt neun Bücher. (grinst) Apple stellt die Schecks aus, also entscheiden sie, ob sie uns auf Sendung halten wollen, und das hängt davon ab, ob wir ein Publikum haben. Aber sie sind sehr gut darin, das Niveau zu halten! Einige Streaminganbieter enttäuschen ihr Publikum richtig, Netflix zum Beispiel gibt ein, zwei Staffeln heraus und zieht dann plötzlich den Stecker. Da steht man dann. Die Serie endet im Nichts, ohne echtes Ende.
Wie entscheiden Sie heute, was Sie machen und was nicht? Strategisch, intuitiv?
Ich lasse Rollen auf mich zukommen. Nun, jetzt wissen die meisten, dass ich nicht verfügbar bin. Im Grunde bin ich wegen der Serie vom Markt verschwunden. Aber ich mag das. Weil ich die Serie sehr, sehr mag.
Wenn Sie Rollen ablehnen und nachher sehen, wie gut sie waren – reitet Sie dann nicht manchmal das Bedauern?
Es ist schon passiert, dass ich etwas abgelehnt habe, für den dann der andere einen Oscar bekam. Vielleicht hätte ich den Oscar gar nicht gewonnen oder es wäre mit mir ein ganz anderer Film gewesen. Man weiss es nie.
Im Kino: "Parthenope" von Paolo Sorrentino