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Haim über ihr neues Album «I quit»: «Wir mussten mal wieder richtig Spass haben»

Haim über ihr neues Album «I quit»: «Wir mussten mal wieder richtig Spass haben»

Haim besingen auf ihrem vierten Studioalbum «I quit» die Kraft des Loslassens. Wir haben mit den kalifornischen Schwestern über Neuanfänge und die Macht der Nostalgie gesprochen.

«I quit» – ein knapper Ausdruck, aber ein gewichtiger. Er trägt mehrere Bedeutungen in sich, immer schwingt ein Ende mit. «I quit», so lautet auch der Titel des neuen Haim-Albums. Im Falle der kalifornischen Rockband ist es womöglich eine ganze Ära, die sich verabschiedet.

Die Schwestern Este, Danielle und Alana Haim machen seit Kindertagen zusammen Musik. Anfangs taten sie das im heimatlichen San Fernando Valley mit ihren Eltern Mordechai und Donna, in einer Coverband namens Rockinhaim. Seit 2013 ist ihre eigene Band Haim weltbekannt.

Das Debütalbum «Days Are Gone» brachte dem Trio den internationalen Durchbruch und eine Grammy-Nominierung in der Kategorie «Best New Artist», seither fallen regelmässig Vergleiche mit Fleetwood Mac. Es folgten erfolgreiche Welttourneen, grosse Pop-Kollaborationen und zuletzt Eröffnungskonzerte für Taylor Swifts gigantische «Eras»-Tour.

Die schwesterliche Chemie wirkt authentisch

«Die Arbeit am neuen Album begann wohl so um 2023», erzählt Danielle, die mittlere Haim-Schwester, über Zoom. Alana, die Jüngste, und Este, die Älteste, bestätigen. Unser Telefonat bestätigt wiederum, was man immer wieder über die drei liest: Sie antworten im Chor und beenden die Sätze der anderen. Das ist manchmal etwas wild, aber nie hitzig. Die schwesterliche Chemie wirkt schnell authentisch.

Jedenfalls: «I quit», jenes neue und vierte Haim-Album, begann ziemlich genau eine Dekade nach dem gefeierten Debüt – und drei Jahre nach ihrem bisher erfolgreichsten, dritten Album «Women in Music Part III» sowie einigen besonders herausfordernden Jahren. Letztere waren auf «Women in Music Part III» unüberhörbar: Das Album klang experimenteller und kantiger als der bis anhin Haim-typische, von kalifornischer Wärme geprägte Soft Rock mit seinen leichtfüssigen R’n’B-Schlenkern.

Depression und Zusammenbruch

Die Themen waren schwerer, die Texte direkter vom Leben der Schwestern inspiriert. Danielle kämpfte mit einer Depression, nachdem ihr langjähriger Partner Ariel Rechtshaid – bis und mit «Women in Music Part III» auch Produzent der Band – eine Krebsdiagnose erhielt, die er inzwischen überwinden konnte. Este, die Typ-1-Diabetes hat, wurde nach einem Zusammenbruch von ihrer Ärzteschaft empfohlen, die Karrierewahl zu überdenken. Alana widmete einen Song auf «Women in Music Part III» ihrer besten Freundin, die 2012 bei einem Autounfall ums Leben kam.

«I quit» klingt nun vertraut und doch neu, vor allem aber wieder merklich leichter: «Dieses Album zu machen, war kathartisch für uns drei», sagt Este. Die Karten waren nach der Tour zu «Women in Music Part III», für alle überraschend, neu gemischt: «Wir waren, zum ersten Mal seit der Highschool, alle gleichzeitig Single – ein Wunder!»

Neu entbrannte Spielfreude

Die Songtexte machen deutlich, dass Danielles Beziehung zu Rechtshaid schon einige Zeit brüchig gewesen war – «I quit» ist in vielerlei Hinsicht ein Trennungsalbum, das mit den Nachbeben einer ungesunden Beziehung abrechnet. Musikalisch schweift es zwischen klassischen Haim-Tracks, etwa der sehr poppigen ersten Single «Relationships», in Country und ausschweifendem Rock ab, sogar mal in nervöse elektronische Gefilde.

Die Musik spiegelt die Spielfreude, die unter den Schwestern in dieser Zeit neu entbrannte. Nach dem Ende ihrer Beziehung zog Danielle für einige Zeit bei Alana ein. Este kam «zum Musikmachen und für Pyjama-Partys» vorbei. Erstmals seit Jahren gingen alle drei wieder gemeinsam feiern. «Ohne dass jemand zu Hause auf einen wartet», erinnert sich Danielle. «Es fühlte sich wirklich ein bisschen so an, als wären wir wieder auf der Highschool.»

Ein Neuanfang – und ein Abschied

Kein Zufall also, dass auf «I quit» neben der wiederentdeckten Leichtigkeit auch eine starke 90er-Jahre-Nostalgie durchklingt. Das Album beginnt mit einem Song namens «Gone», auf dem ein verzerrtes Sample des George-Michael-Klassikers «Freedom! ‘90» zu hören ist – es ist nicht das zugänglichste Lied der Platte, aber ein Highlight. Dazu legt es nahe, dass die Schwestern nach den mitunter sehr schweren Jahren vielleicht sogar ein Stück Freiheit gewinnen konnten. «Stimmt», bestätigt Danielle. «Aber ich denke, es ist auch ein Neuanfang.» Ein Neuanfang und ein Abschied von alten Gewohnheiten, die ihnen nicht mehr dienten.

Als die Promo für das Album begann, teilte die Band einen Ausschnitt von einem Konzert samt flackernder Projektion: «I quit» stand dort, gefolgt von einer Reihe an Dingen, die man getrost hinter sich lassen könnte – darunter: «shame / nicotine / fear / dick / judgement / avoiding emotional intimacy / my job / caring about what you think / waiting for an apology / fucking around / fucking everything / fucking you / asking my boyfriend to pick the restaurant / wanting you all over again».

Danielle sagt, sie selbst habe aufgehört zu rauchen. «Das war gut, obwohl ich nie eine Raucherin im eigentlichen Sinne war.» Bei anderen Dingen, etwa wenn sie anfängt, zu grübeln, sei der Prozess noch in vollem Gange: «Ich muss mir manchmal aktiv sagen: ‹Stop, das mache ich nicht mehr.› Das kann schwierig sein, aber es hilft. Wir sagen es auch uns untereinander immer wieder: Diese ‹I quit›-Energie ist dazu da, sich von den Dingen wegzubewegen, die dir nicht mehr guttun.» Alana bestätigt: «Du musst wirklich auf dich selbst setzen.»

Neue Facetten entdecken

Diesen Grundsatz scheinen tatsächlich alle drei Haim-Schwestern in den letzten Jahren praktiziert zu haben. Alana feierte mit der Rolle in «Licorice Pizza» einen ersten Schauspielerfolg und hat mit «One Battle After Another», «The Mastermind» und «The Drama» weitere Filmprojekte in der Pipeline. Danielle scheint ihr Singleleben in vollen Zügen zu geniessen und liebäugelt mit einem Wegzug aus Los Angeles. Este ist inzwischen verlobt und hat an verschiedenen Soundtracks für Film und Fernsehen, darunter «The White Lotus» und «Maid», als Komponistin mitgewirkt.

«Nostalgie ist ein komisches, ein sehr kraftvolles Gefühl», sagt Danielle. Letztlich bot die Arbeit am neuen Album und das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen den Schwestern auch Zeit zur Reflexion. «Das Schöne am Erwachsenwerden ist, dass du immer wieder neue Facetten an dir entdeckst», sagt Alana. «An dem Punkt, an dem wir heute stehen, können wir drei uns gegenseitig ins Gesicht sehen und wissen, dass wir die Personen, die Musikerinnen und Songwriterinnen, zu denen wir geworden sind, lieben. Und das ist grossartig – richtig schön.»

«We’re back, baby!»

Auch die gemeinsamen Partynächte entfalten bis heute Wirkung: «Wir hatten die Kunst verloren, einfach in einer Bar tanzen zu gehen und eine gute Zeit zu haben. Es war grossartig, endlich mal wieder richtig Spass zu haben, es fühlte sich belebend an und regenerierend. Ich glaube, das brauchten wir für dieses Album. We’re back, baby!»

«I quit» ist für Haim am Ende eben doch vor allem der Neuanfang – und vielleicht auch eine Anleitung für ein kleines bisschen Freiheit.

«I quit» erscheint am 20. Juni bei Polydor Records.

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