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«Jesus fettes Comeback» – Die Bibel im Jugendslang

Kultur

«Jesus fettes Comeback» – Die Bibel im Jugendslang

  • Text: Claudia SennFoto: Urban Zintel

Erst gründete Martin Dreyer die Jesus Freaks, eine Art Anarcho-Abteilung des Christentums. Dann übersetzte er die Bibel in Jugendslang. Eine himmlische Erfolgsgeschichte.

Sässe Papst Benedikt XVI. mit an diesem Küchentisch in Berlin-Friedrichshain, so würde er jetzt vermutlich aus seinen roten Prada-Latschen kippen, als Martin Dreyer zu einer ersten Hymne auf den Messias ansetzt. «Jesus hat einfach einen total geilen Charakter», sagt Dreyer (47), sein kleines Kind auf dem mit Tattoos geschmückten Arm, ein sanftäugiger Hüne von 1.97 Meter. «Wie der die Leute provoziert hat, die Herrschenden, die Religiösen! Was der für krasse Ansagen gemacht hat! Supergeil!»

Blasphemie? Gütiger Himmel, nein. Dreyer ist kein Gotteslästerer, sondern bloss ein enthusiastischer Jesusfan, der eine derbere Sprache spricht als Gottes übliches Bodenpersonal. In den frühen Neunzigerjahren gründete er eine Art Anarcho-Abteilung des Christentums: die Jesus Freaks. Die Mitglieder dieser Jugendbewegung hatten null Bock auf das pastorale Gesülze und die dröge Orgelmusik in der Kirche ihrer Eltern. Stattdessen feierten sie in einer Kneipe «Jesus-Abhängeabende» mit Bier und Heavymetal-Musik. Motto: «Breit im Heiligen Geist.» 1992 waren es dreissig, 1993 mehrere Hundert, Mitte der Neunzigerjahre viele Tausend, die sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum «Hardcore-Beten» trafen – heute sind zirka dreitausend Jesus Freaks übrig geblieben. Martin Dreyer ging immer vorneweg und setzte die Macht der Provokation ebenso raffiniert ein wie sein grosses Idol und bester Kumpel Jesus. Er hielt seine Gläubigen mit einer Striptease-Predigt bei Laune oder sprang auf der Reeperbahn als Zombie kostümiert aus einem Sarg, um Nutten, Zuhältern und Freiern mit einer grossen Erweckungsshow den Weg aus dem Jammertal zu weisen.

Auch wenn er inzwischen keine Springerstiefel mehr trägt und der rote Iro einer beinah spiessigen Kurzhaarfrisur gewichen ist – Dreyer ist ein Charismatiker, der die Massen begeistert. Kürzlich ist seine Autobiografie erschienen. Es ist die Lebensgeschichte eines Mannes, den erst die Brüche in seiner Biografie, die Krisen und lebensbedrohlichen Abstürze zu dem gemacht haben, der er ist.

«Nie fragte mal einer: Wie geht es dir eigentlich?»

Schon als minderjähriger, noch unfrommer Punk hatte er seinen Kleiderschrank zu einer Indoor-Hanfplantage umgebaut und weitere verbotene Substanzen eingepfiffen. Dann fand er zu Jesus, und die Drogen waren passé. Doch mit Mitte dreissig kam Dreyer erneut vom rechten Weg ab. Ein Burnout als Folge des jahrelangen Engagements für die Freaks, dazu eine gescheiterte Ehe und eine verhängnisvolle Amour fou hatten ihn rückfällig werden lassen. Im August 1999 überlebte er eine Heroin- und Kokain-Überdosis nur knapp. Die Jesus Freaks, sonst für ihre mildtätige Obdachlosen- und Drogenarbeit bekannt, liessen ihren gestrauchelten Chefprediger in unchristlicher Manier fallen. «Das war bitter», sagt Martin Dreyer. Schockiert stellte er fest, dass er mit seinen vermeintlichen Freunden immer bloss über Jesus geredet hatte, «aber nie fragte mal einer: Wie geht es dir eigentlich?» Ging er nach seinem Absturz zu einem Gottesdienst, dann sass er allein und weinend in der letzten Reihe, geächtet von den Menschen, die ihn jahrelang als spirituelle Lichtgestalt gefeiert hatten.

Was ist das ganze christliche Brimborium wert, wenn die Gemeinschaft im Ernstfall so wenig Mitgefühl walten lässt? «Ich weiss auch nicht, warum das so gelaufen ist», sagt Martin Dreyer. «Ich kann es mir höchstens so erklären, dass zu dieser Zeit eine konservative evangelikale Gruppe damit begann, unguten Einfluss auf die Leitung der Freaks auszuüben.» Sind die Jesus Freaks denn bloss äusserlich wild, abgesehen davon aber genauso intolerant wie gewöhnliche Frömmler? Sie seien, so Martin Dreyer, «in erster Linie ein heterogener Haufen», es gebe keine Lehrmeinung, die für alle gilt.

Bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus, dass auch er selbst zu erstaunlich konservativen Ansichten neigt. Abtreibung: «definitiv nicht jesusmässig.» Homosexualität: tendenziell eher okay, «trotzdem habe ich noch nicht zu einer abschliessenden Meinung gefunden». Immerhin, das Gebot «kein Sex vor der Ehe» mache heute keinen Sinn mehr, «anders als zur Zeit Jesu, als unverheiratete Frauen sozial noch nicht abgesichert waren». Einen Muslim oder Buddhisten würde er nicht zu bekehren versuchen, «aber ich würde ihm schon von meinem Jesus vorschwärmen, so wie ein Fussballfan, der sagt, meine Mannschaft ist die beste.»

«Ich an Gottes Stelle hätte ja gesagt: Martin, du kriegst jetzt erst mal eine Runde Toilettendienst.»

Martin Dreyer macht im Gespräch einen sympathischen und humorvollen Eindruck. Auch kritische Fragen beantwortet er mit der Geduld eines Zen-Meisters. Doch sein fast schon kindlich naiver Glaube wirkt irritierend. Sein Gott ist wie ein Comic-Superheld, für den es «kein Problem gibt, das er nicht lösen kann». Die in der Bibel geschilderten Wunder nimmt er wörtlich. Auch an der Existenz von Himmel und Hölle hegt er keinerlei Zweifel, wobei er Jesus als eine Art Anwalt sieht, «der mich beim Jüngsten Gericht raushauen wird, da bin ich mir ganz sicher». Alles, was in seinem Leben passiert, interpretiert er als Teil eines göttlichen Plans. Nichts als logisch also, dass der Allmächtige ihm nach seiner Überdosis einen Engel in Gestalt seiner späteren Frau Rahel sandte, um ihn gerade noch rechtzeitig aus dem Morast zu ziehen. Denn Gott, so ist Martin Dreyer überzeugt, hatte noch Grosses mit ihm vor.

«Ich an seiner Stelle hätte ja gesagt: Okay Martin, du hasts vermasselt, du kriegst jetzt erst mal eine Runde Toilettendienst. Aber nein, Gott gab mir diese supergeile Idee mit der ‹Volxbibel›.» Dreyer übersetzte die Bibel in Jugendsprache, mit der Absicht, sie auch jungen Menschen ohne religiöse Erziehung näher zu bringen. Aus dem Stall zu Betlehem machte er einen «Pennplatz», über dem das Licht so «krass» scheint, dass die Hirten «voll die Panik» bekommen. Aus der Auferstehung wurde «Jesus fettes Comeback».

Die Reaktionen auf das Slang-Evangelium waren, diplomatisch ausgedrückt, geteilt. Manche Christen glaubten sich von Satan persönlich herausgefordert. Bis zu 600 Protestmails täglich verstopften Dreyers Mailbox. Eine evangelikale Gruppe aus der Schweiz rief gar zur öffentlichen «Volxbibel»-Verbrennung auf. «So was hatten wir doch schon mal», sagt Martin Dreyer dazu lakonisch. Doch bei der eigentlichen Zielgruppe war die «Volxbibel» so erfolgreich, dass gar nicht schnell genug nachgedruckt werden konnte. Über 250 000 Exemplare gingen seit 2006 über die Ladentische, und weil sich die Jugendsprache ständig verändert, ist die «Volxbibel» heute ein Open-Source-Projekt, bei dem im Internet jeder mitschreiben kann. Der grösste Fan der «Volxbibel» ist Nina Hagen. Was allerdings eine eher zweifelhafte Referenz ist, wenn man bedenkt, welche spirituellen Irrwege die deutsche Godmother of Punk schon eingeschlagen hat.

Suchet, so werdet ihr finden, hat Jesus gesagt. «Damit meinte er nicht den Autoschlüssel», sagt Martin Dreyer. Die Jugend sei nicht so doof, wie manche Leute glauben, sondern sehr interessiert an religiösen Fragen. Leider fände sie aber in den Landeskirchen keine attraktiven Antworten. Er selbst weiss aus seinem Konfirmandenunterricht nur noch eines: «Dass da ein Dealer war, bei dem ich mein Haschisch kaufen konnte.»

Martin Dreyer: Jesus Freak. Leben zwischen Kiez, Koks und Kirche.
Pattloch-Verlag, München 2012, 303 Seiten, ca. 26 Franken
www.volxbibel.de

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