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Autorin Mascha Unterlehberg:

Autorin Mascha Unterlehberg: "Ich wollte von einer Freundinnenschaft erzählen, die nicht perfekt ist"

Die deutsche Autorin Mascha Unterlehberg schreibt in ihrem Debütroman "Wenn wir lächeln" zart und schmerzhaft über die Freundinnenschaft zweier Teenager-Mädchen. Wir haben mit ihr gesprochen.

Eine Stadt im Ruhrgebiet, ein Sommer in den Nullerjahren: Beim Fussballspielen lernt die schüchterne Jara die rebellische Anto kennen, beide sind um die fünfzehn. Sie ziehen um die Häuser, trinken Wodka, klauen im Drogeriemarkt, lassen sich von älteren Männern Getränke bezahlen – und ab und zu schlagen sie mit Baseballschlägern etwas kaputt. Denn irgendwo muss ihre Wut raus: Die Wut auf die täglichen Belästigungen, Zurufe, ungewollten Berührungen. Dann kommt Jara auf eine neue Schule, und alles wird anders.

Davon erzählt der Roman "Wenn wir lächeln" der deutschen Autorin Mascha Unterlehberg. Sie ist selbst im Ruhrgebiet aufgewachsen, hat am Literaturinstitut Leipzig studiert und am Theater gearbeitet. "Wenn wir lächeln" ist ihr erster Roman - und er ist eine Wucht: So beengend und berauschend wurden die Nullerjahre aus weiblicher Perspektive noch nicht erzählt. Ein Gespräch mit einer Autorin, von der man noch viel mehr lesen will.

annabelle: Wenn man Ihr Buch liest, schmeckt, spürt und riecht man die Zeit, in der es spielt: Vom verbrannten Geruch der Haare, wenn das Glätteisen zu heiss war, bis zum klebrigen Gefühl von Lipgloss und dem Geschmack von süssen Mischgetränken. Sie sind selbst in den 90er Jahren geboren - was vermissen Sie aus Ihrer Kindheit und Jugend am meisten?
Mascha Unterlehberg: Was ich immer noch sehr gerne mag, ist die Musik, vor allem alte Britney-Songs. Es kommt viel Nullerjahre-Pop vor in dem Buch. Ich habe mich auch gerne an die Mode der Zeit erinnert, es hat Spass gemacht, darüber zu schreiben. Miss-Sixty-Jeans, zum Beispiel. Was mich auch nostalgisch macht, sind gemischte Tüten vom Kiosk – Papiertüten mit Süssigkeiten drin, die man selbst zusammenstellt.

Sie sind im Ruhrgebiet aufgewachsen. Wie wichtig ist es für dieses Buch, dass es dort spielt?
Das Ruhrgebiet hat so viele verschiedene Seiten, das mag ich daran. Einerseits liegen viele grosse Städte dicht beieinander. Andererseits gibt es Orte, die sich sehr verlassen anfühlen. Meine Protagonistinnen finden sich oft an aufgegebenen Orten ohne klaren Nutzen wieder, stillgelegten Bahngleisen zum Beispiel. Auch der Fluss und die alten Industriebrücken, die nicht mehr genutzt werden und auf denen man teilweise herumlaufen und klettern kann, sind ein gutes Terrain für Jugendliche, die ihre Ruhe haben und unbeobachtet sein wollen. Gleichzeitig kann man als Teenager raus in die Stadt gehen und es gibt Kneipen, die die ganze Nacht hindurch geöffnet sind. Diese Mischung hat für mich atmosphärisch sehr gut gepasst.

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" Wenn man sehr jung ist, fühlen sich Freundinnenschaften oft nochmal krasser und grösser an. Sie sind die ersten Beziehungen, die man nach der Familie führt."

Wenn ich an meine Teenagerjahre zurückdenke, kommt mir das Zeitempfinden entgrenzter und gleichzeitig sprunghafter vor – ein Sommer konnte sich zum Beispiel anfühlen wie ein ganzes Leben. "Wenn wir lächeln" ist nicht chronologisch erzählt, es gibt zahlreiche Zeitebenen und -sprünge. Hat die Erzählweise etwas mit diesem spezifischen Zeitgefühl der Jugend zu tun?
Nicht unbedingt. Ich glaube, für mich ist es generell realistischer, dass manche Dinge sich sehr ausgedehnt anfühlen und manche sehr kurz. Jara, die Ich-Erzählerin, fällt immer wieder zurück in bestimmte Momente ihrer Erinnerung, die sie so überhöht, dass man manchmal nicht weiss, was real war und was nicht. Vor allem, wenn sie an Anto denkt. Solche sehr schönen, sehr grossen Momente zwischen den beiden bekommen mehr Platz und werden in schillernden Farben von ihr gezeichnet.

Wie kamen Sie dazu, über Freundinnenschaft zu schreiben?
Ich wollte die Geschichte einer Freundinnenschaft erzählen, die nicht perfekt ist, in der es Abgründe gibt und in der sich beide nicht immer richtig verhalten, aber gleichzeitig diese wahnsinnig starke Nähe da ist. Wenn man sehr jung ist, fühlen sich Freundinnenschaften oft nochmal krasser und grösser an. Sie sind die ersten Beziehungen, die man nach der Familie führt, mindestens so wichtig wie Liebesbeziehungen, die meist später folgen. Das hat mich interessiert: Wie nah kann man einem Menschen sein, und wo liegen die Grenzen einer solchen Freundinnenschaft?

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"Beim Schreiben musste ich Pausen einlegen und mal zwei, drei Wochen gar nicht am Text arbeiten"

Was sich immer wieder zwischen die beiden drängt, sind Männer – einerseits die Gewalt von Männern, die in ihren Raum und ihren Körper eingreifen. Andererseits aber auch Männer, um deren Anerkennung sie trotz allem konkurrieren, auch wenn sie es sich anders wünschen. Dieses brutale Patriarchat vermittelt einen Eindruck von Ausweglosigkeit. War das Absicht?
Ich wollte auf keinen Fall nur Ausweglosigkeit zeigen, aber ich wollte eine Geschichte erzählen, die sich aufbaut aus Erfahrungen, von denen ich glaube, dass sie viele junge Frauen kennen. Die beiden wachsen in einer Zeit vor der MeToo-Bewegung auf. Es gibt in ihrer gemeinsamen Welt wenig Austausch darüber, dass die Gewalt, die sie erleben, vielleicht etwas Strukturelles ist. Es gibt kein Social Media - was gute und schlechte Seiten hat. Jara und Anto sind auf sich selbst zurückgeworfen. Aus einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit entwickeln sie eine grosse Wut. Ihre Freundinnenschaft ist eigentlich ein Versuch, dem allem etwas entgegenzustellen. Ob das klappt, ist eine andere Frage.

Manchmal hat man das Gefühl, dass in Ihrem Buch eine Rachefantasie durchdekliniert wird: Was passiert, wenn Frauen tatsächlich zurückschlagen?
Es hatte tatsächlich etwas sehr Befreiendes, Jara und Anto diese Wut mitzugeben und damit auch eine gewisse Handlungsmacht. Was nicht bedeutet, dass ich alles, was sie machen, gutheissen würde. Aber ich kann es zumindest teilweise nachvollziehen. Diese Wut war nicht unbedingt geplant, als ich mit dem Schreiben begonnen habe, aber ich habe sie dann mit den Protagonistinnen zusammen entwickelt und gespürt.

In feministischen Diskursen wird häufig über eine produktive Wut gesprochen, die dazu führen soll, dass man sich mit anderen vernetzt, demonstrieren geht, sich engagiert. In Ihrem Buch geht es aber um eine andere Wut: um die, die kaputtmachen und zerstören will.
Genau, weil ich realistisch erzählen wollte. Ich wollte keinen Thesenroman schreiben, in dem ganz klar ist, was richtig und was falsch ist und es am Schluss eine Lösung für alles gibt. Jara und Anto haben all diese destruktiven Gefühle, die sind nicht auflösbar, weil es schlicht nicht so einfach ist. Das wollte ich zeigen.

Die Freundinnenschaft, die Sie erzählen, hat mich ein wenig an einen Film erinnert, der ebenfalls aus den Nullerjahren stammt: "Dreizehn" von Catherine Hardwicke, in dem es ebenfalls um die eskalierende Dynamik zwischen einem angepassten und einem rebellischen Teenie-Mädchen geht. Haben Sie beim Schreiben an den Film gedacht?
Filme wie "Dreizehn" haben mich auf jeden Fall fasziniert, als ich jünger war, und sind so vielleicht auch eingeflossen in diese Geschichte. Diese Geschichten sind für mich spannend, weil es um die Intensität von Freundinnenschaft geht. Gleichzeitig war es mir wichtig, die Dynamik nicht so einseitig darzustellen, wie das in "Dreizehn" der Fall ist, dass Anto die Böse, Dominante und Starke ist und Jara einfach mitläuft.

"Wenn wir lächeln" ist ein hartes Buch: Die psychischen Folgen von Gewalt werden für die Leserin fast schon körperlich nachfühlbar. Wie war der Schreibprozess für Sie?
Er war tatsächlich hart. Ich habe parallel viel zu sexualisierter Gewalt gelesen, Filme geschaut, mich informiert. Erst im Laufe des Schreibprozesses habe ich gemerkt, wie sehr es mich emotional mitnimmt – dann musste ich Pausen einlegen und mal zwei, drei Wochen gar nicht am Text arbeiten. Ich steckte so sehr in dieser Welt drin, die teilweise die Welt meiner Jugend ist. Ich bin froh, dass ich über sie geschrieben habe. Aber als das Buch abgeschlossen war, war ich auch erleichtert.

Mascha Unterlehberg, geboren in den 1990er Jahren in Mülheim an der Ruhr, hat am Literaturinstitut Leipzig studiert. Sie war Finalistin beim renommierten Open-Mike-Wettbewerb für Nachwuchsautor:innen und hat an Theatern in Deutschland und der Schweiz gearbeitet. "Wenn wir lächeln" ist ihr erster Roman und erscheint am 11. Februar 2025 im Dumont-Verlag (ca. 35 Fr.).

Informationen und Hilfsangebote zum Thema sexualisierte Gewalt findest du hier:

Opferhilfe Schweiz

143 – Die Dargebotene Hand (Crisis support in English: heart2heart.143.ch)

BIF – Beratungsstelle für Frauen

Telefon gegen Gewalt

Beratungsstellen für Gewaltvorfälle

Frauenhäuser in der Schweiz

Für Männer, die Gewalt einsetzen und/oder sich in einer sonstigen Konflikt- und Krisensituation befinden, bietet das Mannebüro Beratungen an, auch telefonisch.

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