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Fotografin Lina Scheynius über

Fotografin Lina Scheynius über "Tagebuch einer Trennung": "Ich musste lernen, wie ich geliebt werden will"

Die schwedische Fotografin Lina Scheynius verarbeitet in ihrem literarischen Debüt "Tagebuch einer Trennung" das Ende einer toxischen Beziehung und ihre Heilung davon. Wir haben mit ihr über das Teilen intimer Erlebnisse und Liebe als Lernprozess gesprochen.

annabelle: Lina Scheynius, Sie haben Ihre Trennung 2018 mit Tagebucheinträgen verarbeitet – diese erscheinen nun als Buch. Wie hat sich dadurch Ihr Bezug zu den Erlebnissen verändert?
Lina Scheynius: Es war ein unglaublicher Prozess, an diesem Buch zu arbeiten und zu beobachten, wie dies meine Beziehung zu den Ereignissen im Tagebuch verändert hat. Das Tagebuch beginnt in einem Hotelzimmer in Stockholm, wo mir mein Ex einen Abschiedsbrief überreicht. Dieser Moment war niederschmetternd und die folgenden Monate waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Anfangs war es nicht leicht, diese Erinnerungen bei der Arbeit am Buch wieder aufzugreifen. Ich habe das ursprüngliche Tagebuch mit neuen Essays ergänzt, um die darin niedergeschriebenen Erlebnisse aus meiner heutigen Sicht zu beleuchten. Nach all der Zeit frei über Themen schreiben zu können, die damals so belastend waren, war sehr bestärkend. Es ist erstaunlich, wie heilend und transformativ Kreativität sein kann.

Wie fühlen Sie sich dabei, dass Ihre intimsten Gedanken nun öffentlich zugänglich sind? Gibt es Themen, die Ihnen schwerer fallen, mit anderen zu teilen als andere?
Es war eine Herausforderung für mich, meine verletzlichsten Gedanken zu teilen, und ich hatte auch damit zu kämpfen, dass sich meine Gedanken im Tagebuch immer wiederholten und immer wieder auf die Beziehung zurückkamen, die mir so sehr fehlte – auch, nachdem ich sehen konnte, wie destruktiv sie für mich war. Aber ich wollte diese Gefühle und Gedanken nicht auslassen, denn in dem Buch geht es darum, die Verletzlichkeit zu erforschen, die mit einer Trennung einhergeht. Insbesondere mit einer Trennung, während der man sich konstant darum bemüht hat, sich selbst bewusst wahrzunehmen. Verletzlichkeit ist die Grundlage meiner gesamten Arbeit.

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"Verletzlichkeit ist die Grundlage meiner gesamten Arbeit"

Ein Satz, der sich in ihrem Tagebuch mehrmals wiederholt, lautet: «Man muss so lieben, dass sich der geliebte Mensch frei fühlt.» Wie gelingt das? Haben Sie dafür ein Geheimrezept?
Ich habe das am Anfang des Tagebuchs immer wieder wiederholt, weil ich wohl damals das Gefühl hatte, dass ich darin versagt hatte; und dass ich das für die Zukunft lernen muss. Aber ironischerweise habe ich mich selbst in dieser Beziehung nicht frei gefühlt. Vielleicht war das Mantra also etwas, das ich in diesem Moment selbst brauchte: Nicht um zu lernen, wie man liebt, sondern um zu lernen, wie ich geliebt werden will.

«Mein Partner ist der Spiegel, der mir zeigt, dass ich existiere und in Ordnung bin.» Stimmen Sie dem heute noch zu? Oder wie sehen Sie heute die Bedeutung einer romantischen Beziehung im Vergleich zum Single-Dasein?
Das habe ich in Bezug auf meine eigene fotografische Arbeit untersucht. Ich habe mich gefragt, warum ich während der Zeit mit meinem Ex-Partner weniger Selbstporträts gemacht habe. Ich glaube, Beziehungen sind unglaublich wichtig für uns. In einem wohlwollenden Licht gesehen und bewusst wahrgenommen zu werden, ist für das menschliche Wohlbefinden von grundlegender Bedeutung: Anderen nahe zu sein, mit anderen zu lachen. Das muss nicht unbedingt ein:e romantische:r Partner:in sein – obwohl romantische Liebe und Sex eine Art Lebenselixier sein können. Alle Menschen um uns herum und unser Umgang mit ihnen, aber auch mit uns selbst, sind wichtig. Heute denke ich, dass ich mich in dieser bestimmten Beziehung vielleicht aus dem einfachen Grund weniger selbst fotografierte als in anderen, weil ich mich nicht wohlfühlte.

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"Du hast absolut keine Macht über die Erinnerungen anderer Menschen an dich"

Sie schreiben, dass es jetzt jemanden auf der Welt gibt, zu dem man keine Verbindung mehr hat, der aber mehr über einen weiss, als die meisten Menschen jemals wissen werden, einschliesslich sehr intimer Dinge: Er weiss, «wie ich schmecke, wie ich beim Sex klinge, wie ich mich von innen anfühle». Dies bedarf eines weiteren Loslassens – nicht nur der Person selbst, sondern auch dessen, was diese Person noch mit sich trägt, oder?
Ja, unbedingt alles loslassen! Du hast absolut keine Macht über die Erinnerungen anderer Menschen an dich. Es sei denn, du hast jemanden schlecht behandelt und möchtest um Vergebung bitten, das kann sehr wirkungsvoll sein. Aber was andere über dich in intimsten Momenten in Erinnerung behält, ist deren Sache; sie können sich daran erinnern, wie sie wollen. Für mich stellte sich in diesem Buch auch die Frage nach der Erinnerung selbst: Was erinnern wir uns eigentlich, wie verändert die Zeit unsere Erinnerungen und können wir unsere Erinnerungen selbst wählen?

Wie geht es Ihnen heute? Denken Sie noch immer an diese Beziehung und die Trennung, oder hat Ihnen das Tagebuch geholfen, alles damit Verbundene hinter sich zu lassen?
Mir geht es wirklich gut. Ich denke gerade wieder viel darüber nach, weil ich mich jetzt, da das Buch veröffentlicht ist, natürlich intensiv damit befasse und darüber spreche. Es kann auch ein wenig überwältigen sein, wenn etwas so Privates öffentlich wird, aber die positiven Reaktionen der Leser:innen sind sehr bereichernd. Einige erzählen mir, dass sie sich selbst in dem Buch wiedererkannt haben, andere zeigen mir sogar ihre eigenen Tagebücher. Die Beziehung selbst hat jedoch definitiv ihre Macht über mich verloren. Das, was jetzt kraftvoll und lebendig ist, ist das Buch – nicht die Beziehung.

«Tagebuch einer Trennung» von Lina Scheynius ist im September 2025 in deutscher Übersetzung im AKI-Verlag erschienen.

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