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Pop-up: Sacha Sperling

Kultur

Pop-up: Sacha Sperling

  • Text: Jina Khayyer

Die erste Fassung seines Romans schrieb er mit 14. Die zweite mit 17. Es ist ein erstaunlich gutes Buch über das Erwachsenwerden geworden.

Schriftsteller machen sich Gedanken, wenn sie einen Buchtitel wählen. «Mes illusions donnent sur la cour» heisst der erste Roman von Sacha Sperling im Original. Der Autor, der eigentlich Yacha Kurys heisst, war 14, als er anfing, sein Buch zu schreiben; 17, als er alles noch mal durchlas und beschloss, noch einmal von vorn anzufangen. Jetzt erscheint sein Debüt auf Deutsch. «Ich dich auch nicht» lautet der Titel, den er sich nicht selbst ausgesucht hat. Sein eigener Titel bezieht sich auf eine Zeile aus einem Serge-Gainsbourg-Chanson – «L’alcool» – und das passt auch gut zu seinem Buch.

Der Plot: Die Episoden spielen in den reichsten Ecken von Paris, in Luxushotels in Marokko oder auf Mauritius und am Strand in der Normandie. Eine Gauche-caviar-Clique, Cüpli-Sozialisten, alle um die 14 Jahre alt, die links denken und grossbürgerlich leben und sich die Zeit mit Alkohol, Rauchen, Kiffen, Koksen und Sex vertreiben. Sozusagen als Ausweg aus der Langeweile, als Alternative zum Eigentlich-ja-noch-Kind-Sein. Als Ansage, cool und erwachsen zu handeln. Der Held des Buchs heisst Sacha und verliebt sich gleich zu Beginn in seinen besten Freund Augustin. Eine homosexuelle Liebesgeschichte heranwachsender Jungs, die weiterhin mit Mädchen schlafen und auch sonst vor allem damit beschäftigt sind, sich zu betäuben.

Sacha Sperling sieht freundlich und gut erzogen aus. Beim Interview im Café Cassette an der Rue de Rennes trägt er Jeans, Turnschuhe, Chevignon-Jacke. Er raucht und trinkt Cola. Er lebt in einem der feinsten Pariser Viertel; im 6ème Arrondissement, nicht weit vom Jardin de Luxembourg entfernt. Er lebt in seinem eigenen Appartement gleich neben seinen Eltern: Sein Vater, Alexandre Arcady, ist algerischer Jude und Filmregisseur; seine Mutter Diane Kurys ist Filmregisseurin und Schauspielerin. Wie der Held in seinem Buch hat auch Sperling zwei Halbgeschwister. Und ja, sein Buch sei teilweise autobiografisch, «aber ich habe genauso viel erfunden. Mein Leben ist nicht so interessant». Er spricht akzentfreies Englisch. Seine Augen sind grün. Und wie sein Buchheld hat er Schwierigkeiten, seine Augen auf sein Gegenüber zu richten. Über der rechten Augenbraue hat er eine kleine Narbe, eine Schulprügelei.

In einem Gespräch über Gott sagt der Romanheld zu seinem Vater: «Ich glaube an mich, und das finde ich schon sehr schwer. Ich respektiere, dass Menschen an Gott glauben, aber ich finde es auch eigenartig. Es ist schwer genug, an sich selbst zu glauben, wie kann man da noch an etwas anderes glauben? Ich versuche, mein Leben zur Religion zu machen. Und ich habe immer noch die Illusion, dass mein Leben toll werden wird und ich viel Spass haben werde.»

Illusion – das grosse Wort der Heranwachsenden. «Ja. In meinem Buch wollen die Charaktere unbedingt etwas erfahren, das relevanter ist als das, was sie kennen. Man denkt, dass es woanders interessanter ist. Man langweilt sich, weil man denkt, dass andere glücklicher sind, mehr Spass haben, schöner sind und so. Als Heranwachsender willst du unbedingt, dass sich dein Leben ändert. Das Andere ist überbewertet, genau wie Teenager sein. Beim Heranwachsen geht es um extreme Gefühle: lieben, hassen, man hat Illusionen und keine Hoffnungen. Es ist romantisch und melancholisch, und gleichzeitig sind all diese Gefühle lächerlich.»

Es ist ein gutes Buch, mit schönen Sätzen wie «Wir könnten mehr sehen, wenn wir nur die Augen schliessen würden. Unsere Schatten breiten sich wie Tinte hinter uns auf dem Sand aus». Und es zeigt das literarische Talent dieses jungen Mannes, der, obwohl er der Internetgeneration angehört, bisher keine irrelevanten Spuren im Netz hinterlassen hat: kein Facebook-Profil, keine Fotos auf Google Image, die ihn wie einen seiner Buchhelden in kaputtem Zustand zeigen. «Ich gehe nicht mal aus, bist du verrückt. Ich bin mehr der Pizza-TV-Guy. Manchmal gehe ich in Bars, hänge mit meinen Freunden rum oder gehe ins Kino.»

Sasha Sperling, der diesen Mai 21 Jahre alt wird, mag die Ruhe und die Zurückgezogenheit. Er hat seinen Schulabschluss gemacht, «und zwar mit ziemlich guten Noten». Er sitzt jeden Tag in seinem Appartement und schreibt. Manchmal kommen ihn seine Katzen besuchen, Lou und Lila. Und abends geht er zum Essen rüber zu seiner Familie. Diesen Herbst wird in Frankreich sein zweiter Roman veröffentlicht. «Es ist eine noch schönere Liebesgeschichte als die erste. Ich freue mich sehr darauf.»

Sacha Sperling: Ich dich auch nicht. Piper-Verlag, München/Zürich 2010, 212 Seiten, ca. 29 Franken